Thomas Jansen über die Kirche und den Holocaust

Warum haben die deutschen Bischöfe geschwiegen?

Veröffentlicht am 02.02.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Thomas Jansen über die Bischöfe und den Holocaust

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Als die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch am Mittwoch im Deutschen Bundestag ihre Lebensgeschichte schilderte, ging mir eine Frage durch den Kopf: Was wäre gewesen, wenn die deutschen Bischöfe im Dritten Reich öffentlich und geschlossen gegen die nationalsozialistische Judenvernichtung protestiert hätten? Stünde Frau Lasker-Wallfisch dann womöglich heute nicht an diesem Ort?

Doch zurück zu den harten Fakten: Die deutschen Bischöfe haben zum Holocaust geschwiegen. Das ist seit langem bekannt. Wer allerdings nach Erklärungen dafür sucht, stößt auf eine Lücke in der ausufernden Literatur über Kirche und Nationalsozialismus. Die Bischöfe und Hitler, die Bischöfe und das Reichskonkordat oder die Bischöfe und der deutsche Widerstand, das alles wurde intensiv erforscht. Nur eine umfassende historische Studie über die katholischen (Gleiches gilt für die evangelischen) Bischöfe und den Holocaust steht immer noch aus. Das ist – 73 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz – nicht nur für die Historikerzunft beschämend, sondern auch für die katholische Kirche in Deutschland.

Es geht hier um weit mehr als nur eine historische Fußnote. Die katholische Kirche muss sich im ureigenen Interesse Rechenschaft darüber geben, warum die Bischöfe schwiegen; um Lehren daraus zu ziehen, nicht, um Anklage zu erheben. Man möchte als Katholik wissen, ob und in welchem Umfang damals Restbestände des christlichen Antijudaismus eine Rolle spielten, die Angst vor Repressalien des NS-Staates, die Überzeugung von der Aussichtslosigkeit von Protesten, schlicht Mutlosigkeit oder andere Gründe.

Dabei muss klar sein: Die katholische Kirche in Deutschland hat – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz - nach dem Zweiten Weltkrieg mehr zur Aufarbeitung ihrer insgesamt wenig rühmlichen Vergangenheit im Dritten Reich getan als jede andere Institution – und das bereits seit den 1960er Jahren. Gerade das macht diese Forschungslücke so besonders schmerzhaft.

Es ist dringend an der Zeit, dass die Kirche eine wissenschaftliche Studie über die Bischöfe und den Holocaust in Auftrag gibt. Das sind wir Frau Lasker-Wallfisch und allen anderen Holocaust-Überlebenden schuldig. 

Von Thomas Jansen

Der Autor

Thomas Jansen ist Chef vom Dienst bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.