Pilotprojekt in Trier: "Ethikkodex" für Seelsorger
Das hat es in einer deutschen Diözese bislang nicht gegeben: Alle pastoralen Berufsgruppen des Bistums Trier binden sich künftig an einen sogenannten "Ethikkodex", den sie selbst erarbeitet haben. Darin festgehalten sind Grundwerte und Haltungen, die nach ihrer Auffassung für die seelsorgliche Arbeit unverzichtbar sind. Im Vordergrund steht dabei das richtige Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich: im Umgang mit Kollegen, Gläubigen – und sich selbst. Über einen Zeitraum von drei Jahren erarbeiteten Vertreter der vier pastoralen Berufsgruppen – Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten – die Leitlinien in einer Arbeitsgruppe. Dazu wurde ein bistumsweiter Diskussionsprozess unter den Seelsorgern in Gang gesetzt. In der vergangenen Woche wurde der Kodex veröffentlicht und an Bischof Stephan Ackermann übergeben.
Doch warum ein eigener Ethik-Kodex? Genügt der christliche Glaube für eine ethisch verantwortete Seelsorgearbeit nicht aus? Das Evangelium sei selbstverständlich immer die "Grundlage" pastoraler Arbeit, sagte der Linzer Moraltheologe Michael Rosenberger, der das Trierer Projekt begleitet hat. Aber zu neutestamentlicher Zeit hätte es "den Seelsorgeberuf, wie wir ihn kennen, noch gar nicht gegeben". Der sei heute mit ganz konkreten Herausforderungen verbunden und großen Spannungsfeldern ausgesetzt, so Rosenberger. Dafür brauche es eigene Leitlinien. Zwar existierten bereits Kodizes und Leitfäden, die den Fokus auf die praktische Arbeit von Seelsorgern legen würden, "aber nicht auf das Berufsethos", betonte der Theologe.
Schmerzliche Erfahrungen
Den Anstoß zur Erarbeitung entsprechender ethischer Leitlinien hatte Bischof Ackermann selbst auf einem Studientag der pastoralen Mitarbeiter im Jahr 2014 gegeben. Ausschlaggebend seien damals gerade auch die "schmerzlichen Erfahrungen" des Missbrauchsskandals gewesen, sagte der Bischof jetzt bei der Übergabe des Kodexes. Man hätte sich danach stärker mit dem Umgang mit Macht und der Rolle der Seelsorger auseinandersetzen wollen. "Überall da, wo eine Abhängigkeit zwischen Menschen besteht, sollte darüber reflektiert werden", so Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist.
Doch die pastoralen Mitarbeiter sollten ihre Leitlinien freiwillig und eigenständig erarbeiten: Ein solcher Prozess müsse "von unten" kommen und dürfe nicht von der Bistumsleitung vorgegeben werden, sagte der Bischof. Darin pflichten ihm die Mitglieder der Arbeitsgruppe bei: "Der Kodex ist kein Verhaltenskodex, der vom Arbeitgeber initiiert wird, sondern eine Selbstverpflichtung", betonte Gemeindereferentin Marion Bexten. Laut Pastoralreferent Reiner Klein, der Projektleiter bei der Redaktion des Ethik-Kodexes war, sind die Leitlinien ein "Qualitätsmerkmal" und künftig "der gemeinsame Nenner", hinter den sich alle Seelsorger des Bistums stellen. Der Kodex stellt dabei jedoch lediglich einen Orientierungsrahmen für die Seelsorger dar; anders als die "Kirchliche Grundordnung", die die rechtlichen Rahmenbedingungen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen beschreibt.
Grenzen zwischen Beruf und Privatem
Der Ethik-Kodex gibt auf seinen 16 Seiten keine konkreten Verhaltensrichtlinien vor, sondern führt zunächst einmal viele Aspekte auf, die für einen pastoralen Beruf selbstverständlich sein sollten: Respekt gegenüber Gläubigen und Kollegen, Mitgefühl, Vertraulichkeit, Loyalität sowie Gerechtigkeit werden als Grundhaltungen in der seelsorglichen Arbeit beschrieben. Zu einer professionellen Seelsorge gehöre es darüber hinaus, "die Grenzen zwischen beruflichen und privaten Beziehungen zu beachten" sowie "eine Balance zwischen Nähe und Distanz in den seelsorglichen Beziehungen zu finden" – Punkte, die auch vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals zu sehen sind.
Ein großer Abschnitt widmet sich den "innerberuflichen" Verhältnissen: dem wertschätzenden Umgang mit Kollegen, haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitern sowie dem Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen. Dabei behandelt ein eigener Absatz Auszubildende und Praktikanten, denen eine respektvolle Behandlung und faire Beurteilung zugesprochen werden. Vorgesetzte sichern mit dem Kodex unter anderem "die Delegation von Aufgaben, das Teilen von Macht und das Ernstnehmen der Verantwortlichkeit anderer" zu.
Thema ist jedoch nicht allein das Verhältnis zu anderen Menschen, sondern auch der richtige Umgang mit sich selbst. Dazu zählt laut Kodex, "auf die eigene physische und emotionale Gesundheit zu achten" sowie "für eine gute zeitliche Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu sorgen". Eine eigene Spiritualität solle entwickelt sowie Verantwortung auch "in Freundschaft, Partnerschaft und Familie" übernommen werden. Der Kodex widmet sich zudem dem rechten Umgang mit Medien. Demnach sollen Seelsorger bei der Kommunikation über digitale und analoge Medien "mit der nötigen Sorgfalt" vorgehen und "auf das öffentliche Bild ihres Berufes und der Kirche" achten. Ganz auf der Linie von Papst Franziskus übernehmen die Seelsorger laut Kodex schließlich auch Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung.
Dass der Trierer Kodex von allen vier pastoralen Berufsgruppen gemeinsam erarbeitet und beschlossen wurde, ist für Moraltheologe Rosenberger besonders wichtig: Dadurch würden sich die Seelsorger gegenseitig in die Pflicht nehmen, was die "moralische Bindung" stärke. Denn wer gegen den Kodex verstoße, schädige damit das Ansehen der ganzen Berufsgruppe, so Rosenberger. Der Theologe hatte bereits 2009 den Entwurf eines Ethik-Kodexes für Seelsorger formuliert. Dieser wurde später vom Bistum Linz übernommen und bildet auch die Grundlage für den Kodex in Trier.
Wie ein Arzt-Patienten-Verhältnis
Ethische Leitlinien sind laut Rosenberger in der Seelsorge mindestens genauso wichtig wie im Bereich Medizin. Und zwischen beiden sieht er durchaus Parallelen: So wie sich ein Patient in bestimmter Weise von seinem Arzt abhängig mache, so mache sich der Gläubige von einem Seelsorger abhängig, sagte Rosenberger; es gehe in beiden Fällen um ein "Machtgefälle". Die Frage nach Diskretion, Respekt und Geheimhaltung sei in der Pastoral sogar noch dringlicher, da der Mensch dem Seelsorger häufig mehr von seinem Privatleben offenbare als einem Arzt.
Der Trierer Kodex soll nichts Starres bleiben, sondern alle paar Jahre evaluiert werden, wie sich Bischof Ackermann bei der Übergabe wünschte. Zudem müsse man sich künftig die Frage nach einer "Einforderbarkeit" der Leitlinien stellen. Angedacht ist dafür unter anderem ein "Ethikausschuss", der sich aus Vertretern der pastoralen Berufsgruppen zusammensetzt: "Gläubige und auch die Seelsorger sollten eine Stelle haben, bei der sie Verstöße gegen den Kodex besprechen können", so Projektleiter Klein. Auch soll dieser Ausschuss den Kodex in Zukunft weiterentwickeln.