"Handlungs- und Nachholbedarf höchsten Grades"
Frage: Herr Militärbischof, der jüngste Bericht des Wehrbeauftragten hat für einigen Wirbel gesorgt, weil er eklatante Mängel in der materiellen Ausrüstung der Soldaten beklagt. Wie haben Sie diesen Bericht aufgenommen?
Overbeck: Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass der Wehrbeauftragte die wichtige Rolle der katholischen und der evangelischen Militärseelsorge gewürdigt hat. Dazu zählt auch die Seelsorge für die Familien und Partner der Soldatinnen und Soldaten. Das unterstreicht, dass wir als Kirche mitten in die Gesellschaft gehören, und das gilt auch für eine Berufsgruppe mit so besonderen Aufgaben, wie sie den Soldaten gestellt sind. Was den Stand der Ausrüstung betrifft, haben mich die Berichte sehr nachdenklich gemacht. Als Militärbischof weiß ich aus Gesprächen, dass das den beruflichen Alltag vieler in der Bundeswehr oftmals bestimmt. Denn die Auswirkungen auf die Frage, wie die Bundeswehr unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen zum Beispiel ihre vielfältigen Auslandseinsätze bewältigen kann, sind groß. Da sehe ich politischen Handlungs- und Nachholbedarf höchsten Grades. Ich hoffe, dass die künftige Regierung das rasch anpackt. Vor allem auch deshalb, weil die friedensstiftenden Aufgaben der Bundeswehr künftig in einer zunehmend instabilen Welt absehbar zunehmen werden.
Frage: Derzeit wird viel über das Traditionsverständnis der Truppe debattiert. Ein neuer Traditionserlass wird bald kommen. Ist die Bundeswehr da auf dem richtigen Weg?
Overbeck: Die Bundeswehr weiß, dass sie in einer Tradition steht, die in vielfacher Weise hochbelastet ist. Zu dieser Tradition gehören aber auch jene in der Wehrmacht, die aufgrund ihres Gewissens klare Entscheidungen getroffen und sich am Widerstand gegen das NS-Gewaltregime beteiligt haben. Keiner kann ohne Vergangenheit leben. So muss auch jeder zu den Brüchen dieser Vergangenheit stehen, um aus ihnen zu lernen.
Frage: Im vergangenen Jahr war viel von einem "Generalverdacht" gegen die Bundeswehr die Rede. In manchen Berichten schien es, als mangele es der Truppe an staatsbürgerlicher Haltung und an politischer Reife. Was sagen Sie dazu?
Overbeck: Niemand sollte eine ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen, solche Generalisierungen führen zu nichts. Ich kann aus meiner Anschauung nur sagen, dass in der Bundeswehr ganz viele Menschen mit großem Sachverstand und hohen Idealen arbeiten, alle bereit, sich für das Gemeinwohl, die Sicherheit und den Frieden einzusetzen. Das gilt es zu fördern.
Frage: Vom Nato-Partner USA wird seit einiger Zeit verstärkt angemahnt, Deutschland müsse endlich die vereinbarte Quote von zwei Prozent des Bruttosozialprodukts in die Verteidigung stecken. Ist Deutschland da wirklich in einer Bringschuld?
Overbeck: Das muss die Politik entscheiden und dann gegebenenfalls auch finanziell umsetzen. Aber bekanntlich gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie dieses Zwei-Prozent-Ziel erreicht werden kann. Dazu zählen ja auch andere friedensstiftende Maßnahmen wie die Entwicklungshilfe oder die Wirtschafts- und Bildungsförderung. Dessen ungeachtet ist es unerlässlich, die Bundeswehr so auszurüsten, dass sie ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen kann.
Frage: In der Bundeswehr gibt es eine wachsende Zahl von Muslimen. Wie sieht es mit der muslimischen Soldatenseelsorge aus?
Overbeck: Hier müssen die Politik und Bundeswehr ihre Aufgaben erledigen, wobei der Verhandlungspartner auf muslimischer Seite nicht so klar verfasst ist, wie die christlichen Kirchen. Ein weiteres Problem ist die Zahl von vermutlich circa 1.500 Muslimen bei der Bundeswehr, die dann auch noch auf viele Standorte verteilt sind. Es ist nämlich zu entscheiden, wie überhaupt dann "muslimische Seelsorge" geht. Hinter der Seelsorge verbirgt sich bisher ein klar christliches Konzept. Welche Formen der religiösen Begleitung da gefunden werden können, müssen unter anderen die muslimischen Vertreter mit den staatlichen Verantwortungsträgern klären. Katholische und evangelische Seelsorger sind jedenfalls bereit, allen Menschen, die mit Fragen oder Problemen zu ihnen kommen, zu helfen, ganz unabhängig von ihrem Glauben. Und wenn es gewünscht wird, vermitteln wir auch muslimischen Soldaten und Soldatinnen den Kontakt zu einem Geistlichen ihrer Religion. Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, das zu schützen ist. Das gilt für alle Religionen.