Können Vatikan-Fotos lügen?
Ein Brief von Papst Benedikt sorgt für Diskussionen im Netz. Dabei scheinen sich die Traditionalisten nicht einig zu sein, was der größere Skandal ist: dass der emeritierte Papst seinen Nachfolger Papst Franziskus gelobt hat oder dass der Vatikan ein Foto des Briefes manipulierte. Seit Tagen scheint es vor allem in englisch- und italienischsprachigen katholischen Blogs kein anderes Thema zu geben als dieses Grußwort von Benedikt XVI. zur Vorstellung einer Buchreihe zur Theologie von Franziskus. Wer die Artikel unaufgeregt durcharbeitet, findet viele Spekulationen bis hin zu Verschwörungstheorien – aber wenig wirklichen Skandal.
Kurz zusammengefasst sind das die Fakten: Es gibt einen Brief und es gibt ein Foto, das nur einen Teil des Briefes zeigt. Allerdings wurde der gesamte Brief am Montagabend vor Vatikan-Journalisten verlesen. Diese berichteten darüber – manche Medien vollständig, andere selektiv. Das Schreiben des emeritieren Papstes vom 7. Februar ist eine Antwort an den Chef des vatikanischen Mediensekretariats, Dario Edoardo Vigano. Dieser hatte am 12. Januar die elf Bände an Benedikt XVI. geschickt und ihn gebeten, eine kurze theologische Einleitung zu der Buchreihe zu verfassen.
Darauf antwortete Benedikt XVI.: "Ich fühle mich nicht imstande, einen kurzen und dichten theologischen Abschnitt zu schreiben, weil ich mein Leben lang nur zu Büchern geschrieben und mich nur zu Büchern geäußert habe, die ich auch wirklich gelesen habe." Leider könne er "auch aus physischen Gründen" die elf Bände in naher Zukunft nicht lesen, zumal er noch andere Verpflichtungen habe, denen er bereits zugestimmt habe.
Nachrichtenagentur sieht journalistische Standards verletzt
Dieser Teil des Briefes ist allerdings auf dem Foto, das der Vatikan verbreitete, nicht zu sehen: Zwei Zeilen auf der ersten Seite sind verschwommen und fast die gesamte zweite Seite des Briefes ist verdeckt, weil auf ihr die elf kleinen Bücher liegen, die an dem Abend vorgestellt wurden. Der Vatikan räumte inzwischen auf Nachfrage internationaler Medien ein, dass das Foto so bearbeitet wurde, dass ein Teil des Briefes verschwommen wiedergegeben wird – eben die Absage eines Vorwortes, während das Lob der päpstlichen Theologie gut lesbar ist.
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Die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press wertet das Vorgehen als eine Manipulation, die "die Bedeutung des Bildes in so einer Weise änderte, dass es fotojournalistische Standards verletzt". Darüber ließe sich streiten, denn weltweit einheitlich sind die Regeln nicht. Hat der Vatikan wirklich ein journalistisches Pressefoto zur Verfügung gestellt oder handelt es sich bei dem kunstvoll belichteten Bild nicht vielmehr um eine Foto-Illustration?
Die Behauptung, dass der Vatikan den vollständigen Vorgang verschweigen wollte, steht im Widerspruch dazu, dass Vigano den ganzen Brief vor rund 20 Journalisten vorgelesen hatte. So stand am Dienstagmorgen auch bei katholisch.de: "Benedikt XVI. […] begründete in seinem Grußwort auch, weshalb er die Bitte um eine kurze theologische Einleitung zu der Reihe abgelehnt hatte. Er habe sich sein ganzes Leben hindurch nur zu Büchern geäußert, die er auch wirklich gelesen habe, schrieb der bald 91-Jährige."
Aber viele Medien berichteten tatsächlich nur über das, was Benedikt XVI. inhaltlich zu seinem Nachfolger zu sagen hatte: Es sei ein "törichtes Vorurteil, demzufolge Papst Franziskus nur ein Praktiker ohne besondere theologische oder philosophische Bildung wäre, während ich einzig ein theoretischer Theologe gewesen sei, der wenig vom konkreten Leben eines heutigen Christen verstanden hätte". Zu Recht zeigten die neuen Bände Franziskus im Gegenteil als "Mann von tiefer philosophischer und theologischer Bildung", so der emeritierte Papst. Sie verwiesen damit auch auf "die innere Kontinuität zwischen den beiden Pontifikaten, wenngleich mit allen Unterschieden in Stil und Temperament".
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Wie kam es dann, dass die schon am Montagabend offensichtliche Bildmanipulation erst in den Tagen darauf zum Aufruhr in manchen Blogs führte? Es war offenbar der Inhalt des Schreibens, der hauptsächlich traditionalistischen Bloggern nicht gefiel, während er von liberaler Seite überhöht dargestellt wurde. So kommentierte etwa der Jesuit Antonio Spadaro: "Mit Eleganz und Entschiedenheit setzt sich Benedikt XVI. von den Zweifeln und theologischen Kritiken an Papst Franziskus ab."
Gehört das Wort "töricht" zur Wortwahl Benedikts?
Traditionalisten hingegen vermuteten schon bald, dass der ganze Brief eine Fälschung sei. So habe Benedikt XVI. etwa auch sonst nie in seinen Schriften das Wort "töricht" benutzt, das nun im "törichten Vorurteil" vorkomme. Die Theorie, dass Vigano Benedikt XVI. so eine Wortwahl vorgeschlagen habe, weist die Zeitung "La Stampa" am Donnerstag zurück: In Viganos Brief komme diese Aussage nicht vor und sei wohl dem emeritierten Papst zuzuschreiben.
Den Inhalt des ganzen Grußworts veröffentlichte schließlich der als Franziskus-Kritiker bekannte Blogger und Journalist des Wochenmagazins "L'Espresso", Sandro Magister. Der 74-Jährige, der in der Vergangenheit etwa einen Vorab-Textentwurf der Umweltenzyklika veröffentlicht hatte und dafür von Papstreisen suspendiert wurde, lieferte zugleich seine eigene Deutung des letzten Abschnittes des Briefes: "In ihm zeigt Ratzinger mit aufrichtiger Offenheit seine feine Ironie. Dort kann man es nachlesen. Und wer es verstehen will, der versteht."
Wer es so lesen will, kann es so lesen: Der emeritierte Papst hat keine Lust, die Bücher über die Theologie seines Nachfolgers zu lesen und alles, was er im Brief davor geschrieben hat, ist nur höfliches Vorgeplänkel. Man kann es aber auch so lesen, wie es da steht: Benedikt XVI. bedankt sich für die Bücher und lobt die Initiative. Nicht zum ersten Mal äußert sich der 90-Jährige wohlwollend über Franziskus, begründet aber, warum er es nicht schafft, innerhalb von nur einem Monat auf die Bücher einzugehen. Die Frage, ob Benedikt XVI. die elf Bände von Jürgen Werbick, Peter Hünermann und anderen gelesen haben muss, um seine Meinung über die Theologie seines Nachfolgers kundtun zu dürfen, stellen sich die Kritiker des Schreibens nicht. Eine Sprecherin des Vatikans erklärte jedenfalls am Donnerstagnachmittag mit Verweis auf das Verlesen des Briefes, man habe nichts verschwiegen.