"In Berlin steht man als Christ nackt da"
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Berlin-Prenzlauer Berg. Ein Stadtteil, dem schon viele Etiketten angeheftet wurden – vom hippen Szene-Kiez bis hin zum spießigen Viertel der Kinderwagen-schiebenden Latte-Macchiato-Mütter. Mittendrin in diesem Biotop, in unmittelbarer Nähe zur legendären Kastanienallee, lebt seit einem Jahr in einem typischen Berliner Mietshaus Pater Max Cappabianca OP. Eine ungewöhnliche Adresse für einen Dominikanerpater – die sich allerdings erklären lässt. Denn der 47-jährige Ordensmann wohnt im Institut M.-Dominique Chenu, einer im Jahr 2000 im Prenzlauer Berg gegründeten Niederlassung seines Ordens. Cappabianca ist seit April vergangenen Jahres Leiter der Katholischen Studierendengemeinde Edith Stein. Diese ist ebenfalls in dem Stadtteil, auf dem Gelände der Kirche St. Augustinus, beheimatet.
Frage: Pater Max, wie lebt es sich im Prenzlauer Berg?
Cappabianca: Nach einem Jahr ist mein Blick auf den Prenzlauer Berg durchaus ambivalent. Einerseits ist es für mich sehr praktisch, dass ich nur wenige Minuten von der Studierendengemeinde Edith Stein entfernt wohne; so habe ich nur einen kurzen Weg zur Arbeit. Andererseits sehe ich natürlich auch die Probleme. Seit unser Orden im Jahr 2000 an diesem Standort das Institut M.-Dominique Chenu eröffnet hat, hat sich der Kiez radikal verändert. Vor allem die Tatsache, dass der Prenzlauer Berg immer mehr gentrifiziert wird und die Mieten immer teurer werden, gefällt mir gar nicht. Von meinen Studierenden kann sich jedenfalls keiner mehr eine Wohnung in Prenzlauer Berg leisten.
Frage: Die für den Prenzlauer Berg zuständige Pfarrgemeinde Heilige Familie stellt sich dieser Entwicklung zumindest im Kleinen entgegen. Die Gemeinde eröffnet demnächst auf dem Gelände von St. Augustinus und damit mitten im Prenzlauer Berg ein neues Wohnheim für Studierende.
Cappabianca: Ja, das ist eine Initiative der Pfarrgemeinde, die ich sehr gut finde. Aber auch hier zeigt sich ein Problem des Stadtteils: Obwohl die Gemeinde mit den Wohnungen keinen Gewinn machen möchte, muss sie für die Apartments angesichts der hohen Mieten in der Umgebung und der hohen Betriebskosten eine Miete von über 500 Euro verlangen – für Studierende ist das schon heftig.
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Nur noch jeder vierte Berliner ist laut aktuellen Zahlen Christ – das heißt aber noch lange nicht, dass Berlin eine "Hauptstadt ohne Gläubige" ist. Katholisch.de zeigt, wo der Glaube lebt. (Artikel von Januar 2018)Max Cappabianca wurde 1971 als Sohn italienischer Gastarbeiter in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Abitur und einem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck studierte er Philosophie und Theologie in Frankfurt und Bonn. 1994 trat er in den Dominikanerorden ein, im Jahr 2000 – nach dem Abschluss seines Studiums – wurde er in Mainz vom damaligen Mainzer Bischof Karl Lehmann zum Priester geweiht. Knapp drei Jahre war Cappabianca danach Kaplan in vier Gemeinden in Düsseldorf, bevor er sich an der katholischen Journalistenschule ifp zum Journalisten ausbilden ließ. Anschließend führte ihn sein Weg zur Katholischen Fernseharbeit in seiner Heimatstadt Frankfurt, wo er als Redakteur unter anderem die sonntäglichen Fernsehgottesdienste betreute.
Im Jahr 2006 folgte dann der Wechsel nach Rom, ins Zentrum der Weltkirche. Hier arbeitete Cappabianca zunächst in der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, bevor er drei Jahre später als Mitarbeiter an die von Kardinal Leonardo Sandri geleitete Kongregation für die orientalischen Kirchen wechselte. Dort übernahm er 2011 die Aufgabe als Sekretär des Ostkirchenhilfswerks ROACO und war schwerpunktmäßig für die Kirchen im Nahen Osten zuständig. Nach rund zehn Jahren im Vatikan kehrte Cappabianca im vergangenen Jahr nach Deutschland zurück und übernahm die Stelle als Berliner Hochschulseelsorger.
Frage: Vor einem Jahr sind Sie von Rom nach Berlin gezogen. Klar ist: Das Wetter ist hier deutlich schlechter, das Essen vermutlich auch; und als Katholik ist man in Berlin im Gegensatz zu Rom ein ziemlicher Exot. Muss man Sie für Ihren Ortswechsel also bedauern?
Cappabianca: Nein, ganz sicher nicht. Das mit dem schlechteren Wetter stimmt zwar, aber das Essen ist in Berlin auch ganz gut – vielleicht auch deshalb, weil wir in unserem Konvent meist selber kochen, und die Studierenden kochen auch nicht schlecht (lacht). Aber im Ernst: Ich fühle mich in Berlin sehr wohl und bereue den Umzug nicht. Und außerdem ist das ja immer auch eine Frage der Perspektive: Als ich in Rom gesagt habe, dass ich nach Berlin gehe, fanden das viele Menschen dort ganz toll. Berlin gilt in Italien als sexy, für viele Italiener ist die Stadt ein echter Sehnsuchtsort.
Frage: Wie kam es überhaupt zu Ihrem Wechsel nach Berlin?
Cappabianca: Ausschlaggebend waren vor allem zwei Gründe: Zum einen habe ich zehn Jahre in Rom gelebt – eine schöne, aber auch sehr lange Zeit. Ich hatte deshalb Lust, meine Sachen zu packen und mich auf etwas Neues einzulassen. Und zum anderen wollte ich gerne wieder stärker seelsorglich arbeiten und mehr Kontakt mit Menschen haben.
Frage: Mit "normalen" Menschen?
Cappabianca: Ja, durchaus. Bedingt durch meine Arbeit hatte ich in Rom vor allem mit Kardinälen und Bischöfen zu tun. Das war schon sehr hierarchisch, und der Umgang mit "normalen" Gläubigen hat mir auf Dauer doch gefehlt.
Frage: Da kam die Stelle als Berliner Hochschulseelsorger ja wie gerufen.
Cappabianca: Ja. Als die Stelle frei wurde, habe ich gedacht: Das will ich unbedingt machen!
Frage: Wie war dann das Prozedere? Mussten Sie sich ganz normal bewerben?
Cappabianca: Das hat mein Orden für mich gemacht. Als die Stelle frei geworden war und ich mein Interesse bekundet hatte, hat der Orden mich beim Erzbistum vorgeschlagen, und die Studierendengemeinde und der Erzbischof haben schließlich "Ja" gesagt.
Vom Zentrum der Weltkirche in die sogenannte "Hauptstadt des Atheismus". Krasser hätte der Umbruch im Leben von Max Cappabianca kaum sein können. Während Rom wohl die katholischste Haupstadt der Welt ist, bekennen sich in Berlin laut einer aktuellen Statistik nur noch rund 25 Prozent der Bewohner zum Christentum. Eine große Herausforderung für einen Ordensmann.
Frage: Von Rom kommend sind Sie in eine Stadt gezogen, in der Christen eine seltene Spezies sind. War Ihr Wechsel nach Berlin vor diesem Hintergrund eine Art Kulturschock für Sie?
Cappabianca (denkt lange nach): Ich will es mal so formulieren: Ich finde Berlin aus christlicher Sicht total spannend, und die herausfordernde Situation des Christentums und der Kirche hier in der Stadt war sogar einer der Hauptgründe für meinen Wechsel. Auch meine Mitbrüder sind im Jahr 2000 ja nicht hierhergekommen, weil Berlin so schön gemütlich-katholisch ist. Im Gegenteil: Sie wollten sich hier im Prenzlauer Berg bewusst auf etwas Neues einlassen – in einem Umfeld, in dem die Kirche bis heute wenig präsent ist. Und das ist etwas, was auch mich sehr an Berlin gereizt hat. Zu überlegen, wie man als Kirche hier Präsenz zeigen und den Menschen einen lebendigen Glauben präsentieren kann – das finde ich spannend.
Frage: Wie fällt dazu nach einem Jahr Ihre Bilanz aus? Ist es schwierig, in Berlin Christ zu sein und Menschen für den Glauben zu interessieren?
Cappabianca: Nein, schwierig ist es nicht. Manchmal denke ich, dass es sogar leichter ist, unsere christliche Botschaft in einem so kirchenfernen und teilweise kirchenfeindlichen Umfeld glaubwürdig zu leben. Die Sicherheiten und Machtpolster, die die Kirche anderswo noch hat, gibt es hier nicht. In Berlin steht man als Christ nackt da – und ich frage mich, ob das nicht viel eher unserem christlichen Selbstverständnis entspricht, als das machtvolle, barocke Christentum, wie ich es in Rom und teilweise auch im Nahen Osten erlebt habe. Aber keine Frage: Die Menschen in Berlin für den Glauben zu interessieren ist schon eine echte Herausforderung!
Frage: Manche sehen Berlin als eine Art Labor, in dem man die Zukunft der Kirche in ganz Deutschland besichtigen kann: Eine kleine Kirche, die in einem zunehmend säkularen Umfeld und mit geringen finanziellen Mitteln ihren Platz in der Gesellschaft neu suchen muss. Stimmen Sie dieser Sichtweise zu?
Cappabianca: Auf jeden Fall. Zwar kann man die Situation der Kirche in Berlin nicht auf ganz Deutschland übertragen, dazu sind die Bistümer zu unterschiedlich. Trotzdem lassen sich hier Entwicklungen beobachten, die vielen Diözesen gerade in Westdeutschland noch bevorstehen. Welche Rolle wollen und können wir als Kirche in einer weitgehend kirchenfernen Gesellschaft spielen? Welche alten Zöpfe müssen wir abschneiden, und wo sehen wir trotz schrumpfender Mittel Chancen für neues Wachstum? Das sind Fragen, mit denen wir in Berlin schon heute intensiv beschäftigt sind – und denen sich über kurz oder lang auch die anderen Bistümer stellen werden. Um es klar zu sagen: Ich sehe in dieser Entwicklung eine große Chance für die Kirche. Wir werden als Christen dadurch gezwungen, uns wieder stärker auf das Grundlegende unseres Glaubens zu konzentrieren – und das ist gut so.
Nachdem Max Cappabianca in Rom vor allem mit Hierarchen zu tun hatte, kann er sich als Berliner Hochschulseelsorger seit einem Jahr mit ganzer Kraft um Studierende kümmern. Dabei macht er jede Menge interessante Erfahrungen mit jungen Menschen aus Deutschland und aller Welt.
Frage: Wie sieht Ihr Alltag als Hochschulseelsorger aus?
Cappabianca: In der Hochschulseelsorge geht es darum, jungen Menschen neben dem Studium ein religiöses Angebot zu machen und sie auf Ihrem Weg zu begleiten. Wir versuchen das, indem wir verschiedene Veranstaltungen anbieten. Zum einen natürlich den sonntäglichen Gottesdienst in St. Augustinus, aber auch Gemeindeabende und Treffen zu ganz unterschiedlichen Themen. In diesem Semester stehen unsere Veranstaltungen beispielsweise unter dem Leitwort "Beziehungsweise(n)"; das haben sich die Studierenden selbst gewählt, und wir haben daraus gemeinsam ein umfangreiches Programm entwickelt. Auch die konkrete Seelsorge spielt – so, wie ich es mir erhofft hatte – eine wichtige Rolle: Ich führe viele Gespräche mit Studierenden, biete geistliche Begleitung an und nehme die Beichte ab – dies sogar mehr, als ich vorher erwartet hätte.
Frage: Was für Studierende nutzen das Angebot der Hochschulgemeinde?
Cappabianca: Das ist ganz unterschiedlich. Eine große Gruppe bilden Studierende, die aus dem Ausland kommen – darunter derzeit viele aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika. Speziell für diese Studierenden ist Berlin übrigens oft ein Schock: Sie können nicht begreifen, dass Religion für viele Menschen in Berlin keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Deswegen suchen sie sich mit der Hochschulgemeinde einen Ort, wo sie Gleichgesinnte treffen und ihren Glauben leben können. Neben dieser Gruppe kommen außerdem viele Studierende aus Lateinamerika und einige wenige auch aus Asien zu uns in die Gemeinde.
Frage: Wie klappt angesichts dieser Vielfalt die Verständigung in der Hochschulgemeinde?
Cappabianca: Die Sprache ist tatsächlich oft eine Crux – da verfluche ich manchmal den Turmbau zu Babel (lacht). Ich habe aber Glück, weil ich neben Deutsch und Italienisch auch Englisch, Französisch und Spanisch spreche; so kann ich eigentlich mit fast allen Studierenden reden. In der Gruppe ist das natürlich schwieriger, aber mit Händen und Füßen kriegen wir es meist hin.
Frage: Was für deutsche Studierende kommen zu Ihnen?
Cappabianca: Auch das ist sehr verschieden. Spannend ist aber vor allem der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen. Obwohl die heutigen Studierenden fast alle nach der Wiedervereinigung geboren wurden, sind die unterschiedlichen Mentalitäten meist noch sehr deutlich spürbar.
Frage: Wie zum Beispiel?
Cappabianca: Die ostdeutschen Studierenden, die zu uns kommen, sind – grob gesagt – stärker gemeindlich orientiert. Sie identifizieren sich sehr mit der Hochschulgemeinde und bringen sich zum Beispiel mit hohem Engagement im Gemeinderat ein. Das ist bei den Studierenden aus dem Westen anders: Für manche unter ihnen ist die Hochschulgemeinde eher ein Ort, an dem man nur für bestimmte Anlässe zusammenkommt und danach wieder individuell seiner Wege geht.
Auch wenn Max Cappabiancas Berliner Zeit nach einem Jahr noch am Anfang steht: Angesichts der vielen Ortswechsel in seinem bisherigen Leben stellt sich die Frage nach den Zunkunftsplänen des Dominikanerpaters. Will er in Berlin alt werden oder könnte ihn irgendwann eine Rückkehr nach Rom reizen?
Frage: Vorhin haben Sie gesagt, dass zehn Jahre Rom für Sie lang genug waren. Ist das auch die Zeitspanne, die Sie sich für Ihr Engagement in Berlin vorgenommen haben?
Cappabianca: Das weiß ich noch nicht. Klar ist aber, dass man die Aufgabe als Hochschulseelsorger nicht nur ein oder zwei Jahre machen kann. Und wie gesagt: Bei allen Herausforderungen fühle ich mich hier in Berlin sehr wohl, und ich arbeite gern mit den Studierenden zusammen.
Frage: Könnten Sie sich irgendwann eine Rückkehr nach Rom vorstellen?
Cappabianca: Man soll nie an den Ort des Verbrechens zurückkehren (lacht). Im Ernst: Tatsächlich fände ich eine Rückkehr nach Rom oder gar in meine alte Aufgabe eher langweilig. Ich habe bei meinen bisherigen Lebensstationen immer die Idee verfolgt, etwas Neues zu beginnen. Das entspricht auch meinem Charakter: Immer nur bekannt und bewährt – das wäre nichts für mich.
Frage: Vermissen Sie Rom denn manchmal?
Cappabianca: Ganz ehrlich: Nein. Und ich war seit meinem Weggang auch erst einmal wieder dort – und das auch nur, um mein Vatikanbank-Konto aufzulösen.