re:publica: Das bewegt die #DigitaleKirche
"Gott hat Burnout", steht auf den Postkarten, die die Teilnehmer der Internet-Konferenz re:publica in Berlin am Einlass mit ihrem Namensschild bekommen. "Du kannst dich um seine Vertretungsstelle bewerben": Werbung für ein sogenanntes Augmented-Reality-Spiel. Mit einer App sollten sich die über 9.000 Besucher der re:publica auf eine Schnitzeljagd begeben, um vielleicht selbst Gott spielen zu können.
Hat Gott Burnout? Im Programm der dreitägigen Tagung machte er sich jedenfalls rar; nur in einer Session erzählt eine Islamwissenschaftlerin, wie die Pilgerfahrt nach Mekka per App und elektronischem Armband digitalisiert wird. Ansonsten: weitgehend Theologie-freie Zone.
Erstaunlich viele Christen
Christen sind dennoch viele unterwegs, wenn auch nicht immer sichtbar. Für Öffentlichkeitsarbeiter von Pfarreien und Bistümern, für Onlineseelsorger und Organisationsentwickler gehört die re:publica jedes Jahr zum festen Termin. Seit dem vergangenen Jahr gibt es für sie auch einen offiziellen Treffpunkt: "Netzgemeindefest" heißt das "Meetup für gläubige Internerds", das Ingo Dachwitz ins Leben gerufen hat. Am Mittwoch fand es wieder statt. Der Journalist, der heute für den Blog netzpolitik.org schreibt, war Jugenddelegierter in der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.
"Im vergangenen Jahr, als die Diskussionen über Kirche und Digitalisierung an Fahrt aufnahmen, kam mir der Gedanken, dass es toll wäre, hier auch einen offiziellen Treffpunkt zu haben", erzählt er. Schließlich habe sich die Konferenz ja auf die Fahnen geschrieben, unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Und auch, wenn die Kirchen sich mit dem Digitalen bisweilen schwer tun, gibt es doch einige Christen unter den re:publica-Besuchern. Viele seien ja längst digital geprägt, nutzten vernetzte Medien und beschäftigten sich auch mit gesellschaftlichen Auswirkungen des digitalen Wandels. "Dass es so viele waren, hat mich dann aber auch sehr positiv überrascht", erinnert sich Dachwitz an das erste Netzgemeindefest. In diesem Jahr wurde das Treffen explizit ökumenisch ausgerichtet: Die beiden Onlineportale evangelisch.de und katholisch.de haben gemeinsam mit Dachwitz eingeladen.
Viele Katholiken, mehr Protestanten – und eine Mormonin
Die Resonanz war beeindruckend: Fast 100 Teilnehmer, die sich von der schnodderigen Bezeichnung "gläubiger Internerd" angesprochen fühlen, sind zusammengekommen. Die Bandbreite ist groß, zeigt eine kurze Abfrage am Anfang. Natürlich, viele Theologen. Etwas mehr evangelische als katholische Teilnehmer, deutlich mehr evangelische Pfarrerinnen als katholische Priester – und sogar eine Mormonin ist dabei. Die meisten der Teilnehmer sind Stammgäste auf der re:publica, kaum jemand ist zum ersten Mal da, viele kennen sich schon über die sozialen Netze.
In den Diskussionsrunden beim Netzgemeindefest geht es oft um ähnliche Themen, viele stehen gerade vor ähnlichen Fragen: Geistliches wie neue Ideen für die Verkündigung im Netz, aber auch, ganz akut und praktisch: Wie geht's weiter mit der digitalen Kirche, wenn das neue Datenschutzrecht Ende Mai in Kraft tritt? Und es gibt auch interessante Einblicke in religiöse Welten, mit denen viele sonst selten zu tun haben: Wenn etwa Verena Holtz, die in der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, von der Familienforschung der Mormonen erzählt. Weil ihre Gemeinschaft auch bereits Verstorbene tauft, beschäftigt man sich in den Gemeinden mit Familienforschung - früher seien Historiker oft in die mormonischen Archive gegangen, um dort die Mikrofilme mit den genealogischen Aufzeichnungen auszuwerten, berichtet Holtz. Durch die Digitalisierung gehe das jetzt alles online: "Die Familienforschung wandert vom Gemeindehaus ins Wohnzimmer."
Wie können wir Kirche im digitalen Raum bauen?
Doch am wichtigsten beim Netzgemeindefest ist etwas viel Gewöhnlicheres: die Leute persönlich kennenlernen, mit denen man bisher nur online zu tun hatte. So wie Ines Hansla, die in der Hamburger evangelischen Kirche als Social-Media-Managerin arbeitet: "Ich bin zum Netzgemeindefest gekommen, weil ich die Gesichter, die ich in der 'digitalen Kirche' auf Twitter und Facebook kennengelernt habe, ganz real sehen wollte." Viele der evangelischen Teilnehmer, auch Hansla, fragen nach den Strukturen der digitalen Kirche: Schon vor Jahren hatte sich die EKD-Synode damit beschäftigt, nun soll es konkreter werden. In diesem Jahr soll ein Strategievorschlag auf dem Tisch liegen: eine "digitale Roadmap".
Das beschäftigt auch Pfarrer. Stefanie Hoffmann zum Beispiel. Sie ist seit wenigen Wochen "Pfarrerin für Kirche im digitalen Raum" in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Oberlausitz und entwickelt gerade eine Kommunikationsstrategie, erzählt sie: "Wie können wir Kirche im digitalen Raum bauen, wie können wir digitale Medien nutzen, um Gemeindeleben lebendiger zu machen, und wie können wir Menschen beteiligen?" Hoffmann hat ihr Büro zwar im Konsistorium, der Verwaltungsbehörde ihrer Landeskirche. Doch vom Schreibtisch aus planen lässt sich so etwas nicht, ist sie überzeugt: Daher will sie sich auf der re:publica und im Austausch beim "Netzgemeindefest" vernetzen und inspirieren lassen.
Twitter-Psalmen in moderner Sprache
Eine praktische Idee stellt Martin Olejnicki vor. Der Jugendpfarrer der Anhalter Landeskirche stellt das Projekt "Twalm" vor: Psalmen in einer modernen Sprache. "Wir wollen Psalmen in 140, in 280 Zeichen umdichten, in die Sprache, die mir am nächsten ist", erklärt er das Projekt, das erst eine Woche zuvor auf dem "Barcamp Kirche" in Wittenberg entstanden ist. Unter dem Hashtag #twalm soll so ein moderner Psalter entstehen. Schon jetzt gibt es auf der Webseite twalm.net eine Sammlung aller Tweets mit diesem Schlagwort – und es werden täglich mehr.
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Wolfgang Beck ist Juniorprofessor für Pastoraltheologie. Der Priester findet die Stimmung auf der re:publica immer wieder begeisternd. In seiner wissenschaftlichen Arbeit forscht er darüber, wie die Digitalisierung die Kirche verändert. Er ist überzeugt: Das muss auch Auswirkungen auf das theologische Selbstverständnis der Kirche haben. "Die Theologie muss sich mit Dezentralität beschäftigen und mit Fragmentarität", sagt er und erläutert seine Theorie: "Jeder kommt in die Situation, selbst Theologe zu sein, selbst zu schauen, was theologisch überzeugt." Kirchliche Autoritäten relativiere das natürlich deutlich: "Das reicht bis zum Verständnis des Lehramts."
Und natürlich hat das auch Auswirkungen auf die soziale Arbeit der Kirche. Die Caritas beschäftigt sich intensiv mit der digitalen Transformation, besonders aktiv im Bistum Essen. Die Diözesan-Caritasdirektorin des Ruhrbistums, Sabine Depew, gehört auch zu den Stammgästen auf der re:publica: "Es geht hier nicht nur um Öffentlichkeitsarbeit. Gesellschaftliche Themen von Gesundheit über Bildung zu Rechtspolitik werden hier diskutiert", sagt sie. Digitalisierung ist auch für die Caritas ein Querschnittsthema, das nicht nur die Kommunikationsabteilung betrifft. "Bei uns in Essen ist der Schwerpunkt zur Zeit Digitalkompetenz für Fach- und Führungskräfte", erzählt Depew.
Gott hat also anscheinend doch kein Burnout: Christen und christliche Themen sind präsent auf der re:publica, wenn auch nicht explizit im Vortragsprogramm. Das war schon einmal anders: Im vergangenen Jahr beschäftigte sich ein Podium mit Netzpolitik aus Sicht der katholischen Soziallehre. Das Netzgemeindefest ist ein Versuch, weiterhin präsent zu sein und die Stimme der Christen auch in den digitalen Diskurs einzubringen.
"Religiöse Muster und Metaphern sind auf der Konferenz aber durchaus präsent", findet Ingo Dachwitz; so gab es etwa einen Vortrag darüber, wie man die Apokalypse verhindern könne. Doch es fehle in der Kirche an qualifizierten Diskussionspartnern zu digitalen Themen, "bei denen man nicht sofort merkt, dass sie das Internet vor allem aus dem Feuilleton kennen", kritisiert Dachwitz. Vor allem mit Fragen der Sozialethik, mit Gerechtigkeitsthemen sollte sich die Kirche in den digitalen Diskurs einbringen, findet er. "Die Grundfrage der re:publica, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, stellt sich für die Gestaltung von Kirche natürlich genau so: Wer sind zum Beispiel unsere Vorbilder? Sind das Unternehmen wie Google und Facebook, oder können wir uns an offenen Projekten wie der Wikipedia orientieren?"