Katholisch und Heavy Metal – Passt das zusammen?
Messerscharfe Gitarrenriffs, dröhnender Bass, hämmernde Drums und aggressive Vocals: Heavy Metal ist nicht unbedingt für zartbesaitete Menschen gemacht. Oft handeln die Liedtexte von Tod und Gewalt, üben heftige Kritik an Gesellschaft, Politik und vor allem der Religion. Hinzu kommt die Optik von Bands und Fans: Schwarze Kleidung mit extremen Motiven, Totenköpfe, die "Teufelszahl" 666 und bisweilen auch umgedrehte Kreuze gehören zu den Erkennungszeichen der Szene. Kann und darf man als Christ die Musik also gut finden?
"Und ob", sagt Viktor Diethelm. Der 44-jährige Luzerner ist beides: gläubiger Katholik und seit Kindertagen begeisterter Metal-Fan. Motörhead, Metallica und Slayer zählt er zu seinen Lieblingsbands. Nachdem er als Jugendlicher lange Ministrant und Pfarrjugendleiter war, studierte er Religionspädagogik, arbeitete als Gemeindekatechet und ist seit 2016 Leiter der Deutschschweizer Fachstelle für offene kirchliche Jugendarbeit. Am vergangenen Wochenende war Diethelm zudem als Teil eines ökumenischen Seelsorgerteams auf dem Rock- und Metal-Festival "Greenfield" im schweizerischen Interlaken im Einsatz. Was er dort erlebt hat und warum für ihn kein Widerspruch zwischen Religiosität und Metal besteht, sagt der gläubige Headbanger im katholisch.de-Interview.
Frage: Herr Diethelm, Sie kommen gerade von Ihrem ersten Einsatz als Festivalseelsorger zurück. Hatten Sie mit dem kirchlichen Angebot unter den Rock- und Metal-Fans einen schweren Stand?
Diethelm: Immerhin wurden weder satanistische Symbole an unser Zelt gepinselt noch hat man uns leere Bierdosen an den Kopf geworfen. (lacht) Aber im Ernst: Ich habe vorab durchaus erwartet, dass uns ordentlich Häme entgegenschlagen könnte. Nach dem Motto: "Geht weg, was wollt ihr hier?" Das hatten wir aber überhaupt nicht. Natürlich gab es den einen oder anderen Fan, der lächelnd an unserem Zelt vorbeiging oder irritiert war von unserem Gesprächsangebot. Ansonsten haben wir unglaublich viele positive Rückmeldungen bekommen, die Leute kamen zu uns und haben gesagt: "Gut, dass ihr da seid. Gut, dass es so ein Angebot gibt."
Frage: Das heißt, Sie hatten gut zu tun? Mit welchen Anliegen kamen die Leute denn?
Diethelm: In der Tat gab es einiges zu tun. Wir hatten an den vier Tagen über 300 Gespräche. Die dauerten mal nur fünf Minuten, mal über eine Stunde. So groß der Andrang war, so breit waren auch die Themen. Manche Fans wollten sich nur mal kurz in unserem Zelt ausruhen und haben etwas Smalltalk gemacht, manche kamen aber auch mit sehr ernsten Anliegen: Da ging es um zerbrochene Beziehungen, um Ängste vor der beruflichen Zukunft und auch um das Thema Tod. Ich habe zum Beispiel mit einem Mann gesprochen, der kurz zuvor seinen besten Freund verloren hatte. Das war ein sehr intensives, emotionales Gespräch.
Frage: Wollen die Leute auf einem Festival nicht eher ein paar Tage Spaß haben und ihre Probleme zu Hause lassen?
Diethelm: Man darf nicht vergessen, dass auf so einem Metal-Festival die Emotionen hochkochen: Freude, aber auch Wut oder Trauer. Die Musik an sich ist ja schon sehr emotionsgeladen und der nicht zu knappe Alkoholkonsum tut dann sein Übriges. Die eigenen Kumpels taugen für manche aber nicht als ernsthafte Gesprächspartner – da wird eher herumgeblödelt und es werden Sprüche gekloppt. Deshalb haben einige Leute das Bedürfnis, auch mal ein ernstes Gespräch zu führen mit jemandem, der ihnen wirklich zuhört. Das wollten wir mit unserer "AnsprechBar" leisten.
Frage: Glauben Sie, dass Sie einen besseren Zugang zu den Metalheads finden, weil Sie selber Fan sind?
Diethelm: Das denke ich schon. Ich kenne die Metal-Kultur, ich verstehe die Leute und ich weiß, dass einer, der zum Fürchten aussieht, der netteste Kerl auf Erden sein kann. Gott sei Dank bestand unsere Seelsorgertruppe fast nur aus Metal-Fans. Wir haben alle Metal-Shirts getragen, das Zelt war klassisch in Schwarz gehalten und wir hatten Banner, auf denen Skelette mit Instrumenten in den Händen abgebildet waren. Die Ästhetik ist im Metal sehr wichtig, da haben wohl viele Fans gedacht: "Die sind authentisch, die gehören zu uns, deren Angebot schauen wir uns mal an."
Frage: Inwiefern spielen Gott und die Kirche bei dem Angebot eine Rolle?
Diethelm: Ganz wichtig: Wir wollten auf dem Festival keinesfalls missionieren. Das hätten die Metalheads schnell durchschaut und die ganze Sache wäre ein Reinfall geworden. Es ging wirklich um das bloße Gesprächsangebot. Aber natürlich kam da auch Gott vor. Wenn es zum Beispiel um das Thema Trauer ging, habe ich gesagt, dass mich mein Glaube in solchen Zeiten trägt und ich überzeugt bin, die Verstorbenen eines Tages wiederzusehen. In solchen Gesprächen merkt man dann, dass wesentlich mehr Metal-Fans Interesse am Glauben haben oder sogar gläubig sind, als man denkt.
Frage: So wie Sie selber beides vereinen. Wie passen für Sie persönlich der katholische Glaube und Metal als brachiale Musikrichtung mit extremen Texten zusammen?
Diethelm: Als Jugendlicher und junger Erwachsener war ich da selbst in einem Zwiespalt. Lange habe ich in kirchlichen Kreisen verschwiegen, dass ich Metal-Fan bin. Ich dachte, das könnte noch mal negativ auf mich zurückfallen. Als ich dann einmal las, dass Benediktinerabt Notker Wolf auch gerne Rockmusik hört und AC/DC zu seinen Lieblingsbands zählt, hat mir das eine neue Sichtweise eröffnet. Beides passt durchaus zusammen. Ein Alice Cooper macht auf der Bühne seine Horrorshow und geht trotzdem jeden Sonntag in die Kirche. Der Sänger von Slayer singt über Tod und Verderben und ist trotzdem gläubiger Katholik. Metal ist in erster Linie Kunst und für die Fans ein Ventil, um Frust abzulassen. Natürlich singen die Bands bei dem brachialen Musikstil nicht über Hoppelhäschen auf der grünen Wiese, sondern da geht es auch in den Texten zur Sache. Das heißt aber nicht, dass sich die Bands und Fans unbedingt mit allen Textinhalten identifizieren. Jemand, der gerne Horrorfilme schaut, will auch nicht, dass im realen Leben Menschen umgebracht werden.
Frage: Dennoch sind zahlreiche Texte offen religionsfeindlich. Das ist also nie ernst gemeint?
Diethelm: Es ist richtig, dass da ordentlich Kritik kommt. Aber die richtet sich nicht unbedingt gegen den Glauben, gegen Gott an sich. Da geht es eher um Kritik daran, was die Menschen teilweise aus der Religion gemacht haben. Wenn Gott nur so verstanden wird, dass er eine Spaßbremse ist, keine Kraft in sich trägt, sondern einfach nur "lieb" ist, dann muss man ja fast gegen eine solche Botschaft sein, wenn man selbst jung ist, noch viel Power hat und Spaß im Leben haben will. Das ist auch etwas, was ich in meiner Glaubenswelt brauche: Ich brauche nicht nur einen lieben Gott, sondern einen, der auch mal schreien kann und den ich im Gebet auch mal anklagen kann. Das ist ganz wichtig für mich. Wenn man mal genauer auf die Liedtexte im Metal schaut, findet man Kritik an der Religion und der Kirche, die durchaus berechtigt ist. Und ich bin überzeugt: Wer glaubt, fürchtet sich nicht vor solchen Dingen, sondern der setzt sich mit der Kritik ernsthaft auseinander und schaut, was eventuell wirklich schiefläuft.
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Frage: Hat Metal Ihrer Meinung nach auch das Potenzial, in der Kirche, in der Liturgie eine Rolle zu spielen? Könnte das vielleicht sogar wieder mehr junge Menschen in die Kirchen bringen?
Diethelm: Also ich würde jetzt nicht unbedingt Heavy Metal in gewöhnliche Gemeindegottesdienste bringen. Da wären viele normale Messbesucher wohl eher schockiert. Die Kirche muss vielmehr dorthin gehen, wo die Menschen bereits in Gruppen zusammenkommen, und Anknüpfungspunkte finden in den unterschiedlichen Lebenswelten. Das schließt die Metal-Szene mit ein. In der Schweiz haben wir "Metalpfarrer" Samuel Hug, der das seit ein paar Jahren mit seiner "Metalchurch" macht: Da werden Gottesdienste in Kneipenatmosphäre gefeiert, da spielt eine Metalband christliche Lieder, da werden die liturgischen Antworten geschrien und wer möchte, kann sich sogar zwischendurch ein Bier holen. Hug hat damit einen Riesen-Erfolg. Er ist zwar lutherisch-reformiert, aber hier steckt auch viel Potenzial für die katholische Kirche, wieder in Kontakt mit den Menschen zu kommen. Nichts anderes haben wir ja jetzt auf dem Greenfield Festival gemacht: Wir sind mit einem kirchlichen Angebot dorthin gegangen, wo die Menschen sind, und waren damit erfolgreich.
Frage: Sie sind jetzt über 30 Jahre Metal-Fan: Gibt es da ein Festival, das Sie auch privat gerne noch mal besuchen möchten?
Diethelm: (lacht) Ganz klar das Wacken Open Air in Deutschland! Das habe ich mir schon seit Ewigkeiten vorgenommen, aber konnte es zeitlich nie einrichten. Nun ja: Ich mache das wohl spätestens nach der Pensionierung. Metal-Fan bleibt man ja sein Leben lang.