"Franziskus verändert die Kurie"
Aus Anlass seines 70. Geburtstags am Montag sprach der Ordensmann über Papst Franziskus und den Einfluss der Befreiungstheologie auf die heutige Kirche.
Frage: Sie haben Papst Franziskus im April erstmals persönlich getroffen . Wie fällt Ihr Fazit seiner bisherigen Amtszeit aus?
Frei Betto: Sehr positiv. Das fing bereits mit der symbolhaften Namenswahl an. Der heilige Franziskus wählte die Option für die Armen. Zudem ist er der Schutzheilige der Natur, und wir leben nun mal in einer Zeit, in der die Ökologie ein sensibles Thema ist. Und drittens hat Papst Franziskus mit der Reform der Kirche begonnen; derzeit verändert er die Kurie in Rom. Und natürlich war der heilige Franziskus der erste große Kritiker des entstehenden Kapitalismus. Er entsagte den Gütern seines Vaters und stellte sich auf die Seite der Verlierer des neuen Systems, den Armen. Deshalb sehe ich das Handeln des derzeitigen Papstes mit großer Freude und danke Gott dafür.
Frage: An welchen Stellen verändert sich der Vatikan denn gerade besonders?
Frei Betto: Ich sehe die Reform der Kurie sehr positiv und hoffe, dass sie schnellstmöglich vollendet wird. Sie ist durch die Mafia kontaminiert, wie es bereits Benedikt XVI. bestätigte. Schon während der Amtszeit von Johannes Paul II. wurde klar, wie groß der Einfluss der Mafia auf die Vatikanbank war. Franziskus hat ein Gremium aus acht Kardinälen einberufen, um die Bücher prüfen zu lassen. Ich hoffe, dass dieser Prozess schnellstmöglich abgeschlossen wird.
Frage: Wie verlief Ihr Treffen mit Franziskus im April?
Frei Betto: Es war ein sehr herzliches Treffen. Er hat mich sehr liebevoll begrüßt. Ich überreichte ihm zwei meiner Bücher auf Italienisch als Geschenk und dankte ihm für den Brief, den er den brasilianischen Basisgemeinden geschrieben hatte. Und ich bat ihn, Giordano Bruno [1548-1600] und den deutschen Mystiker Meister Eckhart [1260-1328] zu rehabilitieren, beide Dominikaner wie ich. Er schaute mich mit viel Sympathie an und sagte: Bete dafür. Zudem bat ich ihn, niemals die indigenen Völker zu vergessen, und sagte ihm auf Lateinisch: Außerhalb der Armen gibt es keine Erlösung, in Anlehnung an das mittelalterliche Dogma "extra ecclesiam nulla salus" [außerhalb der Kirche gibt es keine Erlösung, d. Red.]. Und er sagte nur: Dem stimme ich zu.
Frage: Wie stark sehen Sie heute den Einfluss der Befreiungstheologie im Vatikan?
Frei Betto: Der Einfluss ist viel größer, als man denkt. Bereits in Dokumenten aus der Amtszeit von Johannes Paul II. findet man viele Grundsätze der Befreiungstheologie, sowohl in seiner Kapitalismuskritik wie auch der Kritik am Neoliberalismus. Und auch in der Schrift "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus erkennt man die Befreiungstheologie als Basis für seine Analyse der sozialen Ungleichheit, der Herrschaft des Geldes und der Diktatur des Marktes.
Frage: Da wir gerade von der Diktatur des Marktes reden: Was waren Ihre Gedanken zur gerade zu Ende gegangenen Fußball-WM in Ihrer Heimat?
Frei Betto: Die Regierung betonte stets, dass sie keine Gelder für Bildung, die öffentliche Sicherheit, den Nahverkehr und das Gesundheitswesen habe. Für die WM waren dann plötzlich 15 Milliarden Dollar da. Die Massenproteste der Jugend im Jahr 2013 haben gezeigt, dass sie unzufrieden ist. In den vergangenen zwölf Jahren hat die regierende Arbeiterpartei PT der einfachen Bevölkerung den Zugang zu Konsumgütern wie Autos, Handys und Fernsehern ermöglicht. Aber es mangelt den Menschen an sozialer Infrastruktur, für die angeblich kein Geld vorhanden ist.
Frage: Im Oktober wählen die Brasilianer ihren Präsidenten. Welcher Kandidat könnte gesellschaftliche Veränderungen bringen?
Frei Betto: Ich vertraue immer noch auf die Arbeiterpartei PT, trotz all meiner Kritik an ihr. Sie ist mit Sicherheit nicht die Regierung meiner Träume, aber zwischen der aktuellen Präsidentin Dilma Rousseff , ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Aecio Neves und der früheren grünen Umweltministerin Marina Silva setze ich auf Dilma.
Frage: Was würde denn eine zweite Amtszeit Rousseffs bringen?
Frei Betto: Da habe ich keine großen Illusionen. Es wird eine schwierigere Amtszeit als die erste, aber ich hoffe, dass sie trotzdem politische Reformen durchbringt, dass sie in der Agrarreform vorankommt und die Sozialprogramme verbessert.
Frage: Was planen Sie für Ihren Geburtstag?
Frei Betto: Es wird keine Party geben. Ich mag Feierlichkeiten nicht besonders. Ich habe lediglich ein Mittagessen mit meiner Familie in Belo Horizonte geplant.
Frage: Wie fühlt es sich an, die 70er-Marke zu erreichen?
Frei Betto: Einerseits bin ich überrascht. Als ich ein Kind war, erschienen mir Menschen in diesem Alter als sehr alt. Ich dachte, dass das sehr weit weg sei. Und ich danke Gott dafür, dass ich dieses Alter nun mit guter Gesundheit erreiche, dass ich aktiv sein kann und viel arbeite.
Frage: Wie sieht derzeit Ihr Alltag aus?
Frei Betto: Ich arbeite immer noch als Berater für verschiedene Organisationen der Kirche und der Zivilgesellschaft. Für meinen Lebensunterhalt halte ich viele Vorträge und schreibe zwei bis drei Artikel pro Woche für rund 40 Publikationen in Brasilien und im Ausland. Dazu kommen meine Bücher. Jetzt gerade erscheinen zwei: ein Kinderbuch über den Tod sowie ein Buch mit Verhaltenstipps darüber, wie man sein Leben neu gestaltet. Immerhin sind es bereits 59 Bücher geworden - fast eines für jedes Lebensjahr.
Das Gespräch führte Thomas Milz (KNA)