Cityseelsorger Björn Hirsch über urbane Mission

"Die Straße ist unsere Kirche"

Veröffentlicht am 13.08.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
"Die Straße ist unsere Kirche"
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Pastoral

Bonn ‐ In Fuldas Innnenstadtpfarrei leben rund 7.000 Katholiken, von denen etwa 1.200 an den sechs Sonntagsgottesdiensten teilnehmen. Den Rest will Björn Hirsch erreichen. Dazu hat er ein kirchliches Start-up gegründet.

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Björn Hirsch (34) ist Pastoralreferent in Fulda, verheiratet und Vater von drei Kindern. 2014 gründete er sein eigenes kirchliches Start-up: Die Citypastoral Fulda. Hieraus entstand ein zweites Start-up: Das überkonfessionelle Netzwerk "All for One" mit einem Schwerpunkt auf einer missionarischen Jugendarbeit. Mit über 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern will er Mission in der Stadt anbieten. Wie konkret, erzählt Hirsch im Interview.

Frage: Warum machen Sie Seelsorge in der Stadt?

Hirsch: Ich will Menschen, die Gott nicht kennen, eine Chance geben, das zu ändern. Eben Kirche für die Menschen in der Stadt. Das bedeutet für mich kirchliche Missionsarbeit. Es ist normal, Freunden gute Tipps weiterzugeben: Wo kann ich ein neues Auto kaufen? In welchem Restaurant esse ich am besten? Aber in der Kirche würde das kaum jemand tun. Ich will das ändern und sage: Willst du dein Leben vertiefen? Ich kenne coole Angebote, komm doch mit.

Frage: Was ist das Neue für Kirche daran?

Hirsch: Wir gehen zu den Menschen hin, statt auf sie zu warten. Meine erste Idee war, mit Kirche in die Kneipe zu gehen. Es gibt eine Szenekneipe in Fulda, der "Löwe". Beim ersten Gespräch dort war der Geschäftsführer skeptisch. Er dachte, ich will einen Altar in der Bar aufbauen und einen Pfarrer anschleppen. Aber nichts von dem ist passiert. Eine Band hat coole Musik gemacht, wir haben zusammen gebetet und dann habe ich einen Vortrag zum Thema gehalten: "Kirche geht. Impulse für eine erfrischende Art Kirche zu sein." Das kam erstaunlich gut an. Es kamen etwa 60 Leute in die Kneipe. Selbst der Wirt war positiv überrascht. Wir haben gemerkt, das funkt, jetzt geht es los. Das war die Initialzündung. Seither gibt es an diesem Ort regelmäßige "Trainingstage Evangelisation" und Glaubenskurse für junge Erwachsene. Zudem haben wir den Kontakt zu vielen weiteren Restaurant- und Barbetreibern gesucht und sind so z.B. mit einem Männerstammtisch in der "Posaune" oder mit einem Jugendgottesdienst zunächst in einem Club und dann in einer etwas größeren Veranstaltungshalle.

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Frage: Wie sollte Kirche zu den Menschen gehen?

Hirsch: Wir arbeiten nach einem 5-Stufen-Modell. Zuerst wollen wir der Kirche ein freundliches Gesicht geben. Dazu verkleiden wir von der Citypastoral uns auch schon mal an Erntedank als Obst oder Gemüse und verteilen Äpfel in der Stadt und erklären, warum wir das kirchliche Fest feiern.

Frage: Als Gemüse, muss das sein?

Hirsch: Man sollte seinen Glauben nicht verniedlichen, das stimmt. Die Kirche sollte sich aber auch für nichts zu schade sein. Es geht darum, mit den Menschen in Kontakt zu kommen und das möglichst niederschwellig. Wenn ich als Pastoralreferent im Anzug vor der Kirche stehe und Flyer verteile, ist es etwas anderes, als wenn ich als Kartoffel auf dem Marktplatz stehe. Die Hemmschwelle, mich so einfach anzusprechen, ist viel geringer als andersherum. Ich finde es witzig und wichtig, Werbestrategien zu nutzen, die auch andere Firmen nutzen. Wenn der Erstkontakt gelingt, haben wir schon viel erreicht.

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Frage: Geht es Ihnen dabei um Katechese oder wollen Sie die Leute überzeugen, dass sie konvertieren?

Hirsch: Schön, wenn jemand so eine persönliche Beziehung zu Gott aufbauen kann, aber es muss keiner konvertieren. Das ist nicht das Ziel. Unser Ziel ist es, dass die Leute sagen, wow, so habe ich mir Kirche nicht vorgestellt. Ich habe Interesse, lade mich mal zu etwas ein. Aber wozu laden wir die Leute dann ein? Zu einem Pontifikalamt am Sonntag? Wohl eher nicht. In der Innenstadtpfarrei leben 7.000 Katholiken, davon gehen 400 in den Hauptgottesdienst. Und den Rest erreichen wir kaum. Das wollte ich ändern. Also haben wir zum Beispiel die B.A.S.E. Jugendgottesdienste entwickelt. Da kommen bis zu 1.400 hauptsächlich  junge Menschen. Und das ist eine Menge für Fulda. Wenn man zu diesem Gottesdienst kommt denkt man zuerst, man ist auf einem Konzert. Doch stückchenweise geht es immer tiefer und man merkt, es geht hier um mehr, es geht um Gott. Der Höhepunkt der Feier ist nach der Predigt eine Segnung. Wir laden die Leute ein, ihr Leben Jesus zu übergeben. Und danach feiern wir diese Entscheidung von durchschnittlich 200 jungen Menschen.

Frage: Was ist, wenn jemand nach mehr sucht, als nur die Party danach?

Hirsch: Wenn jemand mehr will als diesen Gottesdienst, die zweite Stufe unseres Glaubensmodells, dann empfehlen wir unsere Glaubenskurse, die dritte Stufe. Wir haben kleine Katechesen entwickelt. Christsein auf Zeit, nenne ich das. Über acht Wochen kann man sich in lockerer Runde über den Glauben informieren, sich mit Fragen auseinandersetzen, die einem wichtig sind. Alle Angebote finden in Bars, Kneipen, Clubs oder Sportstätten statt. Keinesfalls in der Kirchengemeinde. Wenn dann einer merkt, ich will noch mehr Austausch, dann empfehlen wir die "Connect Group", die sich alle zwei Wochen trifft. Daneben gibt es noch Gebetsabende oder Konzertfahrten. Am Ende der vierten Stufe entscheiden sich viele Menschen, mit Jesus durchzustarten, einige lassen sich taufen und suchen sich eine Gemeinde, in der sie im Glauben weiter wachsen können. Diesen Menschen bieten wir dann Möglichkeiten, ihr Christsein zu leben, im Netzwerk All for One oder in einer Gemeinde. Alles freiwillig natürlich. Jede Stufe steht für sich und jeder kann auf einer bestimmten Stufe ein- oder auch aussteigen. Wir wollen nur die Möglichkeit bieten, dass Menschen zu Jüngern Jesu werden. Das ist unser Auftrag als Kirche. Um sie auf diesem Weg zu stärken und auszurüsten, gibt es noch weitere Schulungen oder Trainings für Evangelisation.

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Frage: Wie viele Menschen erreichen Sie mit Ihren Aktionen?

Hirsch: Wir geben an, dass wir pro Jahr 15.000 Menschen mit unseren Straßenaktionen und Großevents erreichen. Und was uns noch mehr freut, wir haben dieses Jahr zum ersten Mal in der Innenstadtpfarrei weniger Austritte als Eintritte. Das heißt, von Januar bis Juni haben sich 25 Personen taufen lassen bzw. sind in die Kirche eingetreten. Nur drei Personen sind in diesem Zeitraum ausgetreten. Das ist doch beachtlich, oder? Ich sehe das als Frucht des Heiligen Geistes, dem wir in unserer Arbeit folgen. Allein beim letzten Stadtfest sind vier Menschen wieder eingetreten. Das berührt mich schon. Ich nenne das urbane Mission. Die Straße ist unsere Kirche. Wenn ich daran denke, wie viele Gespräche ich in den letzten Jahren mit jungen Menschen geführt habe. Bei Problemen helfen wir auch konkret weiter. Zurzeit wohnt ein Jugendlicher in unserer Sozialwohnung. Er hatte Streit mit seinen Eltern und brauchte dringend eine Bleibe. Für mich ist das Beziehungsarbeit und Vertrauensaufbau. Das sollte Kirche unbedingt leisten.  

Frage: Was macht für Sie in Ihrer Arbeit besonders viel Sinn?

Hirsch: Wenn ich während der B.A.S.E. Gottesdienste in viele glückliche Gesichter schaue, dann bin ich zufrieden. Ich glaube, dass es sich lohnt, als Christ mutig und selbstbewusst zu sein. Auch wenn es nicht immer einfach ist. Aber wir brauchen uns nicht zu verstecken, denn wir haben die beste Botschaft, die es gibt. Und die hauen wir raus: Es gibt einen liebenden Gott, der uns nicht verlässt und der bei uns bleibt. Was wollen wir mehr?

Frage: Wie geht es weiter mit der Citypastoral in Fulda?

Hirsch: Zurzeit bauen wir an unserem Konzept für die offene Kirche weiter. Wir haben in der Stadtpfarrkirche einen Lounge-Bereich eingerichtet. Dort gibt es ein eigenes Welcome-Team, das einen begrüßt, wenn man die Kirche betritt. Wir haben auch ein kleines Sprechzimmer eingerichtet für persönliche Gespräche. Vor der Kirche kann man in Sonnenstühlen seine Seele baumeln lassen. Das finden vor allem junge Leute cool. Es hapert aber an manchen Stellen an fehlenden Strukturen und Finanzen. Es enttäuscht mich manchmal auch, wie wenig Unterstützung ich von außen bekomme. Ich bin der einzige Hauptamtliche in der Citypastoral hier in Fulda, das ist auf Dauer nicht mehr leistbar. Ich mache vieles davon in meiner Freizeit. Aber es macht mich auch froh, wenn ich merke, wie gut unser Konzept auch bei anderen Einrichtungen ankommt. Außerdem lässt man 200 ehrenamtliche Mitarbeiter nicht einfach so im Stich. Wir wollen gemeinsam Menschen ermutigen, ihren Glauben zu leben, mitten in der Stadt.

Von Madeleine Spendier

Citypastoral in Fulda

Träger der Citypastoral in Fulda ist die Katholische Innenstadtpfarrei Fulda. Ein Fünf-Stufen-Modell ist als konkrete Hilfestellung für das "Urban Churching" von der Citypastoral in Fulda entwickelt worden. Es lautet: 1. Kirche als freundlich erleben 2. Glauben entdecken 3. Glauben ausprobieren 4. Im Glauben wachsen 5. Nachfolge leben. Aus der Citypastoral ist das überkonfessionelle Netzwerk ALL FOR ON E e.V. entstanden, das 2016 von verschiedenen Gemeinden und Verbänden gegründet wurde und ökumenisch ausgerichtet ist. Die B.A.S.E. Jugendgottesdienste und viele weitere Angebote für junge Menschen werden von diesem Netzwerk organisiert.