Kritik am Vatikan: "Der Stil eines byzantinischen Hofstaats"
Seit vier Jahren war der Jesuit Ansgar Wucherpfennig Rektor der Theologisch-Philosophischen Hochschule Sankt Georgen. Weil er sich jedoch positiv zur Homosexualität und zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare geäußert hatte, verweigerte ihm die vatikanische Bildungskongregation das "Nihil obstat" - und damit eine dritte Amtszeit. Wucherpfennigs Chef, Jesuiten-Provinzial Johannes Siebner, kann das nicht nachvollziehen. Im Interview mit katholisch.de stellt er sich hinter seinen Ordensbruder und spricht von einem Machtgestus seitens des Vatikans.
Frage: Pater Siebner, Sie haben, wie auch der Bischof von Limburg Bätzing, der Wiederwahl von Pater Ansgar Wucherpfennig als Rektor zugestimmt, der Vatikan hat ihm die für das Amt notwendige Unbedenklichkeitserklärung nicht erteilt. Mit welcher Begründung?
Siebner: Die Bildungskongregation hat uns im Juni mitgeteilt, dass es Einwände zu Äußerungen gebe, die Pater Wucherpfennig in einem Interview der "Frankfurter Neuen Presse" im Oktober 2016 gemacht hat. Dies führe dazu, dass das "Nihil obstat" nicht erteilt werden könne. Die Wahlen hatten bereits im Februar stattgefunden und Anfang März hatte unser Generaloberer um das "Nihil obstat" gebeten. Als die Mitteilung dann kam, habe ich umgehend reagiert, wie auch Pater Wucherpfennig. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass wir nur noch zehn Wochen Zeit haben, bis am 1. Oktober das Semester beginnt.
Zur Person
Johannes Siebner ist seit Juni 2017 Provinzial der deutschen Provinz des Jesuitenordens. Zuvor war der 1961 in Berlin geborene Pater Rektor verschiedener Gymnasien des Ordens.Frage: Hat Pater Wucherpfennig wissenschaftliche Aufsätze zum Thema Homosexualität im Neuen Testament oder zum Diakonat der Frau veröffentlicht? Oder bezieht sich die vatikanische Kritik nur auf das Zeitungsinterview?
Siebner: Die vorgetragene Kritik bezieht sich nur auf das Interview, in dem Pater Wucherpfennig als Neutestamentler seine biblisch-theologischen Überlegungen zur Homosexualität anspricht. Was da in der Zeitung steht, ist natürlich verkürzt, aber überlegt und klug: Er stellt die wissenschaftlich völlig berechtigte Frage, was Paulus meint, wenn er im Römerbrief über Homosexualität schreibt. Solche Beziehungen seien in der Antike Abhängigkeitsverhältnisse gewesen und laut Paulus sollte eine freie Beziehung voller Liebe und ohne Gefälle sein, lautet seine These. Als Wissenschaftler und Lehrer gehört es zu seinem Amt, solche Fragen zu stellen.
Frage: Das andere Thema war das Diakonat der Frau…
Siebner: Ja, das war damals ein sehr aktuelles Thema in der Wissenschaft, weil Papst Franziskus wenige Monate zuvor eine Studienkommission zu dem Thema eingesetzt hat. Pater Wucherpfennig regte an, allgemein über die sakramentalen und liturgischen Aufgaben des Diakonats nachzudenken. Diese originelle Überlegung ist noch keine Forderung und heißt längst nicht, dass das so kommen muss – und er hat auch nicht über die Substanz des Weihesakramentes spekuliert.
Frage: Wissen Sie, wer Pater Wucherpfennig angeschwärzt hat?
Siebner: Nein. Vielleicht hat jemand im Vatikan das Zeitungsinterview gelesen. Ich befürchte aber, dass irgendwelche "turbokatholischen" Kreise so etwas lesen und dann nach Rom schicken, wo es eineinhalb Jahre lang liegt und aus der Schublade gezogen wird, wenn es um das "Nihil obstat" geht. Aber das ist reine Spekulation.
Frage: Was ist das Problem an den Aussagen? Ist die deutsche Theologie zu liberal für den Vatikan?
Siebner: Das alles entzieht sich meiner Kenntnis. Ich bin kein Fachtheologe, aber ich ahne, dass hier ein Schattenboxen stattfindet. Denn das, was Pater Wucherpfennig als Überlegung darstellt, ist völlig plausibel. Es ist ein normaler Vorgang, dass er in einem Interview über das Thema Homosexualität spricht, denn es interessiert die Öffentlichkeit. Die verschwurbelte Rede der Kirche über Homosexualität funktioniert schon lange nicht mehr und ist auch in der Sache obsolet. Und hier war ein Theologe hilfreich, indem er einfach sagte: "Lasst uns doch mal schauen, was Paulus meint", was die neutestamentliche Forschung dazu hergibt. Das eigentlich dahinterliegende Thema ist, dass wir als Kirche endlich lernen müssen, nicht nur "respektvoll" mit homosexuellen Männern und Frauen umzugehen, wie es der Katechismus fordert. Der Katechismus fordert ja auch nicht ausdrücklich einen respektvollen Umgang mit heterosexuellen Menschen. Es geht um eine wirkliche Würdigung menschlicher Beziehungen, nicht zuerst um Sexualmoral. Wir haben in der Kirche kein Problem mit Homosexuellen – wir haben ein Problem mit Homophoben.
Frage: Diese Aussagen zur Homosexualität fielen inzwischen so oder so ähnlich auch von Generalvikaren und Bischöfen. Werden die nun auch mit Konsequenzen rechnen müssen, weil man so etwas nicht in der Kirche sagen kann?
Siebner: Keine Ahnung – ich sage es jedenfalls.
Frage: Was ist seit Juni passiert? Gab es klärende Gespräche mit der Bildungskongregation?
Siebner: Nein. Und das ist für mich das Ärgerliche. Ein normaler Vorgang wäre doch gewesen, nach der Lektüre des Interviews bei Pater Wucherpfennig nachzufragen, wie er das gemeint hat. Aber nein! Es lag eineinhalb Jahre im Vatikan, bis es passend schien, den Text rauszuholen, so scheint es mir. Hier geht es also vielleicht gar nicht um die Sache, sondern um einen Machtgestus. Und auch dann wurde nicht der Betroffene gehört, sondern in die Hierarchie-Pipeline hinein kommuniziert. Ein "audiatur et altera pars", das Hören der anderen Seite, fand nicht statt. In dem Dokument vom Juni wurde nicht nachgefragt, sondern unmittelbar eine öffentliche Richtigstellung gefordert. Daraufhin habe ich eine unterstützende Stellungnahme geschrieben und Pater Wucherpfennig hat einen klaren und erklärenden Text verfasst. Ihm wurde das "Nihil obstat" ja noch nicht abschließend verweigert. Wir befinden uns noch in einem schwebenden Verfahren.
Frage: Warum kommt es nicht zu dieser Richtigstellung, die der Vatikan fordert?
Siebner: Ja, wieso denn? Pater Wucherpfennig steht zu seinen Aussagen. Ich werde ihn sicher nicht bedrängen, gegen sein Wissen und Gewissen eine Erklärung abzugeben. Pater Wucherpfennig sollte öffentlich erklären, dass er "in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre die Reserviertheit des Priestertums für den Mann und die Doktrin betreffend der moralischen Einschätzung homosexueller Akte" anerkennt. Aber im Interview ging es weder um homosexuelle Akte noch um die Priesterweihe der Frau. Zudem erläuterte der Vatikan, dass diese öffentliche Erklärung in gleichwertiger Form zu erfolgen habe. Das wäre ein erneutes Interview bei der FNP mit denselben Fragen aber entgegengesetzten Antworten.
Frage: Und das wollten Sie nicht?
Siebner: Ich habe geantwortet, dass so ein Interview nicht möglich ist, ohne direkt einen Skandal zu erzeugen. Und dass ich sicher nicht in dieser Form auf Pater Wucherpfennig einwirken werde. Er hat nicht die Dreifaltigkeit Gottes oder Jungfräulichkeit Mariens geleugnet und er hat nichts gesagt, wo er der Lehre der Kirche widerspricht. Aber das ist wohl der Stil eines byzantinischen Hofstaates: Reingrätschen und uns dann lange warten lassen. Das geht nicht mehr. Als hätte man nichts mitbekommen oder verstanden von der Diskussion über Machtmissbrauch. Wenn es, wie in der Kirche, keine Gewaltenteilung gibt, dann braucht es klare Verfahren und zudem einen großzügigen und ehrlichen Umgang miteinander – und das Subsidiaritätsprinzip, das die Kirche sonst und überall gern hochhält. Warum reicht es nicht, wenn der Provinzial und der Bischof vor Ort das Thema klären?
Frage: An welchem Punkt befinden wir uns also eine Woche nach Semesterbeginn?
Siebner: Ich habe von Anfang an klargemacht, dass ich an keinem Skandal interessiert bin. Wir hätten die Zeit bis Oktober nutzen und über die Sache reden sollen. Auf unsere Stellungnahmen hin passierte aber nichts. Ich habe dann mit der Bildungskongregation gesprochen und darum gebeten, dass wir eine Ausnahmeregelung von der Satzung machen können, um den gewählten Rektor geschäftsführend einzusetzen, bis das "Nihil obstat" da ist. Die Antwort war, dass wir uns an die Satzung halten sollen. Das haben wir gemacht und nun ist der 1. Oktober vorbei und wir haben – für die Öffentlichkeit überraschend – einen Prorektor eingesetzt. Wenn die Medien nun über den ganzen Vorgang berichten, dann liegt die Verantwortung dafür nicht bei mir und schon gar nicht bei Pater Wucherpfennig. Wir haben alles versucht, damit es zu keinem öffentlichen Ärgernis kommt.
Frage: Werden Sie das Gespräch mit Papst Franziskus suchen – von Ordensbruder zu Ordensbruder?
Siebner: Nein, das ist kein Thema für den Papst. Ich bin sehr froh, dass der Bischof von Limburg, Georg Bätzing, sehr klar ist und eindeutig zu Pater Wucherpfennig steht.
Frage: Wie geht es nun weiter?
Siebner: Ich schätze Thomas Meckel, der die Aufgabe als Prorektor kommissarisch übernommen hat, und sie auch gut machen wird. Aber ich habe noch keine Antwort aus Rom und hoffe immer noch, dass sich das Ganze als ein Missverständnis herausstellt. Ansonsten wäre es ein empörender Vorgang. Wir müssten irgendwann neu wählen. Ich bin aber guter Dinge, dass das "Nihil obstat" bald mit der Post kommt.
Frage: Sie wollen Pater Wucherpfennig also behalten?
Siebner: Er genießt mein volles Vertrauen – er hat die Hochschule Sankt Georgen vier Jahre lang hervorragend geführt. Pater Wucherpfennig ist ein herausragender Exeget und eine integre Persönlichkeit der Kirche. An seinem "sentire cum ecclesia", seiner Kirchlichkeit, gibt es nicht den Hauch eines Zweifels. Vor allem: er ist ein feiner Kerl. Er ist zuerst ein Mensch, der menschlichen Umgang erwarten darf, noch dazu ein Mensch, der sich in herausragender Weise in der Kirche engagiert.