Patriarchatschef Pierbattista Pizzaballa zur Jugendsynode und zur Kirche in Nahost

Pizzaballa: Bin Vereinnahmung der Christen im Heiligen Land leid

Veröffentlicht am 24.10.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Erzbischof Pierbattista Pizzaballa hält eine Predigt.
Bild: © KNA

Rom ‐ Die wenigen Christen in Israel sehen sich immer mehr Übergriffen ausgesetzt. Nun fordert der Leiter des Lateinischen Patriats in Jerusalem, Erzbischof Pizzaballa, mehr Rechte für die religiöse Minderheit. Auf der Jugendsynode hat er außerdem berichtet, wie die Jugend vor Ort mit der besonderen Situation umgeht.

  • Teilen:

Pierbattista Pizzaballa, seit zweieinhalb Jahren Leiter des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, nimmt auf persönliche Einladung des Papstes an der Bischofssynode zum Thema Jugend teil. Im Interview äußert er sich zu seinen Erwartungen an das Treffen, aber auch zu aktuellen Fragen der Kirche im Heiligen Land: zur jüngsten Schändung eines christlichen Friedhofs, zum umstrittenen Nationalitätengesetz, wie auch zur Situation der Ökumene und den Restaurierungsarbeiten in der Grabeskirche.

Frage: Herr Erzbischof, erneut hat es in Israel einen Akt von Vandalismus gegen eine christliche Einrichtung gegeben. Der katholische Friedhof von Beth Dschamal wurde geschändet. Die Kirchenführer im Heiligen Land haben die Tat entschieden verurteilt und vom Staat ernsthafte Maßnahmen gefordert. War das eine isolierte Tat, eine Ausnahme, oder steckt dahinter mehr?

Pizzaballa: Ich glaube nicht an eine bestimmte, übergeordnete Regie. Es ist richtig, dass es in einem gewissen ultraorthodoxen israelischen Ambiente immer eine bestimmte Feindseligkeit gegenüber dem Christentum gab – aus religiösen Gründen. Gerade in der Gegend von Beth Dschamal leben viele Ultraorthodoxe, und es ist dort nicht zum ersten Mal zu Übergriffen gekommen. Das Risiko solcher Taten ist dort immer größer – und sie werden auch weitergehen. Ich will auch jetzt nicht glauben, dass es sich um eine generelle Bewegung handelt. Aber ich habe den Eindruck, dass die religiöse Rechte Israels immer ablehnender gegenüber jeder Form von Dialog oder Beziehungen mit Nicht-Juden wird.

Frage: Und was erwarten Sie jetzt?

Pizzaballa: Die Behörden haben den Angriff verurteilt. Minister Zachi Ha-Negbi für regionale Entwicklung  hat eine energische Erklärung abgegeben. Innerhalb der Regierung besteht Aufmerksamkeit und Besorgnis über den Vorgang. Ich glaube, das hier ist nicht nur ein Problem von Prävention oder Verurteilung. Es ist besonders eine Herausforderung für die Erziehung. Man muss eine antichristliche Prägung verhindern.

Ein Blick in die Kuppel der Grabeskirche mit Gerüsten im Vordergrund
Bild: ©KNA

Blick in die Kuppel der Grabeskirche. Restaurierung der Jerusalemer Grabeskirche schreitet voran. Seit Ostern arbeitet ein Team aus 50 Wissenschaftlern der Technischen Universität Athen unter Leitung von Professorin Antonia Moropoulou an der Instandsetzung der Grabädikula in der Jerusalemer Grabeskirche.

Frage: Vor wenigen Tagen hat der israelische Premier Benjamin Netanjahu eine Verfolgung und Unterdrückung von Christen im arabischen Milieu beklagt und Israel als einziges Land bezeichnet, das die Rechte der Christen schützt. Was sagen Sie dazu?

Pizzaballa: Ich bin eine solche ständige politische Vereinnahmung der kleinen christlichen Präsenz leid – von der einen wie von der anderen Seite, von israelischer wie auf palästinensischer Seite, von allen. Man kann das Problem der Verfolgung oder der Rechte der Christen nicht als isoliertes Thema behandeln. Es muss Teil einer größeren Frage sein, der individuellen und der kollektiven Rechte der Gesellschaft in Israel wie in den arabischen Ländern.

Meiner Ansicht nach besteht im ganzen Nahen Osten noch keine Freiheit der kollektiven Rechte – in einigen Ländern mehr, in anderen weniger. Das ist ein schwieriges Problem. In Israel werden die individuellen Rechte respektiert; das muss man festhalten. Das heißt aber nicht, dass die christliche Präsenz keine Probleme mit den Institutionen hätte.

Frage: Und wie ist deren Situation in Bethlehem?

Pizzaballa: In Palästina sind die Christen kein eigenes Volk. Die christlichen Palästinenser sind Palästinenser, und leben in der gleichen Situation wie alle Palästinenser. Als religiöse Minderheit sind sie freilich den Problemen und Vorurteilen zwischen Muslimen und Christen ausgesetzt. Man kann aber nicht sagen, dass es seitens der palästinensischen Regierung eine antichristliche Haltung gibt. Das wäre falsch.

Frage: Als Israel sich im Sommer in einem Gesetz als Nationalstaat des jüdischen Volkes beschrieb, ohne Garantien für Minderheiten zu benennen, haben Sie deutliche Kritik geübt. Hoffen Sie noch auf eine Änderung? Und was sind die Konsequenzen für die christliche Minderheit?

Pizzaballa: Ich glaube nicht, dass es noch Änderungen gibt. Wir konnten natürlich nicht schweigen: Das Patriarchat musste sich äußern, in allem Respekt, aber auch in Deutlichkeit. Wir müssen dieser Situation nun Rechnung tragen und die Entwicklung  beobachten. In absehbarer Zukunft dürfte es nach meiner Einschätzung keine Änderungen mit sich bringen. Meine Sorge ist aber, dass das Gesetz auf längere Sicht eine noch rigidere Mentalität gerade innerhalb des religiösen Judentums schafft. Wir haben deshalb gesagt, es reicht nicht aus, individuelle Rechte zu garantieren. Es geht um kollektive Rechte für die christliche Gemeinschaft, die gesichert werden sollen.

Frage: Zu Jahresbeginn haben die christlichen Kirchen aus Protest gegen die israelische Steuerpolitik vorübergehend die Grabeskirche geschlossen. Gibt es inzwischen eine Lösung, sehen Sie Fortschritte?

Pizzaballa: Es gibt wie immer ein Auf und Ab, es gibt Vorschläge, die andere wieder zurückweisen. Man arbeitet daran, um solche Zusammenstöße zu vermeiden.

Frage: Sie nehmen derzeit in Rom an der Bischofssynode zum Thema Jugend teil. Was haben die Vertreter aus dem Nahen Osten hier eingebracht?

Pizzaballa: Das Statement des Jugendlichen aus dem Irak in der Synodenaula, in dem er seine Situation und die der Kirche schilderte, war sehr bewegend. Aber der Nahe Osten war nicht das zentrale Thema der Synode, sie steht in einem viel weiteren Kontext. Unsere Situation hat die notwendige Aufmerksamkeit gefunden. Aber es war nicht das Leitthema.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de

Die Jugendlichen kommen aus Pfarreien, Bewegungen und Verbänden. Doch sie alle beschäftigt die gleiche Frage: Wie geht es mit der Kirche weiter? Mit Jugendbischof Stefan Oster haben sie während der Bischofssynode in Rom darüber gesprochen.

Frage: Was erwarten Sie von der Synode für die Jugendlichen in Jerusalem?

Pizzaballa: Die Jugendlichen im Heiligen Land sind nicht anders als die Jugendlichen in Italien, Deutschland oder anderswo. Es sind Jugendliche, sie haben die gleichen Thesen, den gleichen Wunsch, die Welt zu verändern. Das findet bei uns natürlich Ausdruck in einem besonderen lokalen Kontext. Sie wollen eine weniger starre, weniger institutionelle Kirche, das ist typisch für junge Leute. Ich werde natürlich eine Zusammenfassung machen. Denn die orientalische Welt mit ihrer ganzen Dynamik unterscheidet sich sehr von der des Westens. Und wir müssen aufmerksam sehen, wie wir den Erwartungen Jugendlichen stärker Rechnung tragen können.

Frage: Was haben Sie persönlich in die Synode eingebracht?

Pizzaballa: Die Synode hat meist über Jugendliche gesprochen, die fern von der Kirche sind, und die man zu erreichen versucht. Ich habe dagegen von Jugendlichen gesprochen, die ein religiöses Leben haben, die an Gott glauben, aber nicht an unseren.

Das ist ein typisches Problem des Nahen Ostens, das aber auch für den Rest der Welt von Bedeutung und zukunftsweisend wird. In der Schule, im akademischen Bereich wie in der Arbeitswelt hat man es mit Religiosität zu tun, die anders ist als unsere. Das verlangt eine Änderung in unserem Verhalten.

Frage: Die ökumenischen Kontakte in Jerusalem waren in letzter Zeit vielversprechend. Die Kirchen haben sich überraschend auf notwendige Restaurierungsarbeiten in der Grabeskirche verständigt und sie durchgeführt. Geht das so weiter?

Pizzaballa: Die Arbeiten gehen weiter, wenn auch mit byzantinischem Rhythmus, aber sie gehen voran. Jetzt diskutieren wir über die dringend notwendigen Restaurierungsarbeiten des Fußbodens in der Grabeskirche. Es gibt schon eine Übereinkunft, man muss sehen, wie man vorgeht. Denn in technischer Hinsicht ist das sehr kompliziert, man muss Teile schließen. Dann geht es um archäologische Untersuchungen. Das alles braucht mehr Zeit. - Aber die ökumenischen Kontakte gehen generell weiter, auch in anderen Bereichen.

Frage: Sie sind seit über zwei Jahren Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchats in Jerusalem. Was haben sie erreicht, was sehen Sie noch vor sich?

Pizzaballa: In den letzten Jahren ist viel geschehen, in zweifacher Hinsicht. Dazu gehört eine Neuorganisation der Patriarchats-Verwaltung. Es ist bekannt, dass finanzielle Probleme bestehen. Wir müssen Sorge tragen und ein System schaffen, dass sich das nicht wiederholt: Also interne Kontrollen schaffen, das Management überprüfen. Wir werden dabei von einer externen Consulting-Firma begleitet. Innerhalb eines Jahres wollen wir da zu Klarheit kommen.

Unterdessen geht das Leben der Kirche weiter. Ich habe – und das ist meine andere zentrale Aufgabe, inzwischen alle Pfarreien und alle religiösen Gemeinschaften der Diözese zweimal besucht, in Israel, Palästina, Jordanien und auf Zypern. Das ist zeitaufwändig, aber sehr wichtig, aus zwei Gründen: Um die notwendigen Verbindungen herzustellen. Vor allem aber möchte ich die Realitäten kennenlernen und eine Idee von der Kirche hier bekommen. Ich glaube, das Klima ist inzwischen bedeutend gelassener geworden.

Linktipp: Pizzaballa: Kirche im Heiligen Land verändert Gesicht

Die weltweite Migration bringt auch immer mehr Christen ins Heilige Land. Für den Leiter des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa ist das nicht nur Grund zu Freude.
Von Johannes Schidelko