Ein Höhepunkt im Kindergartenjahr

Darum feiern auch muslimische Eltern gerne Sankt Martin

Veröffentlicht am 09.11.2018 um 00:01 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 
Kinder mit Laternen
Bild: © KNA

Krefeld ‐ In der Kita braucht's kein Lichterfest und auch kein Sonne-Mond-und-Sterne-Fest: Sankt Martin ist für alle da – und nicht nur christliche Eltern schätzen den großzügigen Heiligen. Auch viele Muslime schicken ihre Kinder in den katholischen Kindergarten – weil hier über Gott und gute Taten geredet wird.

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"Für uns ist es eines der ganz großen Feste", sagt Gabriele Moesgen. Die große Vorfreude, die in ihrer Stimme mitschwingt, ist unüberhörbar. Die Leiterin des katholischen Familienzentrums Linn in Krefeld spricht nicht etwa von Weihnachten, Ostern oder Pfingsten, sondern von Sankt Martin. "Etwa 200 Kinder sind jedes Jahr bei unserem Martinszug dabei", erzählt Moesgen, die innerhalb ihrer Einrichtung für zwei Kindertagesstätten der örtlichen Pfarrgemeinde St. Nikolaus verantwortlich ist. Die Kinder sollen bewusst ohne ihre Eltern am traditionellen Martinsspiel mit Umzug teilnehmen. "Dann singen sie lauter und sind konzentrierter", so die Begründung.

Aus ihrer 25-jährigen Erfahrung in den Krefelder Kindertagesstätten weiß Moesgen, dass sich ihre Schützlinge dann zudem besser als eine Gemeinschaft erfahren – und dabei vergessen, dass sie aus Familien mit unterschiedlichen Religionen stammen. Schon 2007 stellte eine Studie Tübinger Forscher fest, dass etwa 45 Prozent der Kinder in konfessionellen Kitas aus muslimischen oder nicht-religiösen Familien kommen. Die muslimischen Eltern würden dabei die christlichen den kommunalen Kindergärten vorziehen, da in ihnen der Glaube an einen Gott vermittelt werde – etwa durch kirchliche Feiern, wie an Sankt Martin.

Ostern und Weihnachten sind wichtig – aber da hat die Kita zu

Beim Martinszug sind die Eltern, wenn auch nicht an der Seite ihrer Kinder, natürlich trotzdem beim Martinszug dabei. Schließlich unterstützen sie das Team der Kindertagesstätten tatkräftig bei Organisation und Durchführung des Events. "Sie backen Krapfen, kaufen den Punsch oder helfen als Ordner", beschreibt die Kindergartenleiterin das elterliche Engagement. Nur mit ihrer Hilfe sei es möglich, den Umzug rund um den Gedenktag des heiligen Martin zu stemmen. Auch beim Gottesdienst der Kindertagesstätte zum Martinsfest sind die Eltern gerne dabei: "Kein anderes liturgisches Angebot ist so gut besucht", verrät Moesgen.

Kirchenbank mit Kinder, die Laternen halten.
Bild: ©KNA

Die Kindergottesdienste an Sankt Martin sind gut besucht – kaum ein anderes liturgisches Angebot erreicht im Kindergarten so viele Kinder und Eltern. (Archivbild).

Virginia Bertels vom Bistum Aachen verwundert das nicht. Das Fachgebiet der Referentin im Generalvikariat ist die Pastoral in den Kinder-Tageseinrichtungen des Bistums. "Sankt Martin ist, neben dem Nikolaustag, eines der Feste, das in den Kitas mit großer Beteiligung der Eltern gefeiert wird", weiß Bertels. Die eigentlich bedeutenderen kirchlichen Hochfeste von Geburt und Auferstehung Jesu hätten schlicht den Nachteil, dass sie außerhalb der Öffnungszeiten der Kindertagesstätten liegen würden. Das Basteln von Laternen, Essen des Weckmanns und Nachspielen der Legende des Mantelheiligen mit Ross und Reiter: Die intensive Feier des Martinstages begeistert nicht nur die Kinder, sondern nimmt auch die Eltern emotional mit – selbst wenn sie Muslime sind. "Deshalb ist es gut und richtig, dass katholische Einrichtungen Sankt Martin feiern", stellt Bertels klar. Ein "Lichterfest" aus falsch verstandener Toleranz lehnt sie hingegen entschieden ab.

Kein Grund, den Martinszug umzubenennen

In den letzten Jahren wurden immer wieder Stimmen laut, die eine Umbenennung der Martinszüge forderten. So wollte 2013 etwa Rüdiger Sagel, der damalige Vorsitzende der Linken in Nordrhein-Westfalen, Sankt Martin durch ein "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest" ersetzen. Auch Begriffe wie "Lichterfest" oder "Laternenfest" werden oft als Alternativen genannt. "In vielen NRW-Kitas gibt es einen hohen Anteil von muslimischen Kindern. Ihnen sollte man christliche Tradition nicht aufdrängen", begründete Sagel damals seinen Vorstoß. Doch die Muslime selbst scheinen nichts gegen den heiligen Martin und seine Anregung zum Teilen zu haben: "Viele muslimische Familien nehmen das gerne auf", so der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.

Sankt Martin auf einem Schimmel, dunkler Nachthimmel, Laternen
Bild: ©dpa/Lubos Pavlicek

Beim Martinszug darf Sankt Martin zu Pferde nicht fehlen. (Archivbild)

Gabriele Moesgen kann das bestätigen: "Muslimische Eltern sehen im heiligen Martin ein großes Vorbild", weiß sie aus ihrer täglichen Arbeit. Die Figur des Heiligen vermittelt durch die Teilung seines Mantels die Tugend der Mildtätigkeit – eines der Grundgebote des Islam. "Das nehmen die muslimischen, aber auch alle anderen Eltern gerne an". Schwieriger sei es für die große Mehrheit der Mütter und Väter, den Teil der Biografie des Heiligen zu verstehen, der sich um seine Berufung dreht: "Was es bedeutet, dass Martin Bischof wurde, ist für viele nicht nachvollziehbar oder einfach unwichtig."

Nur in einem Fünftel der Familien spielt Glaube eine Rolle

Deshalb hält Moesgen es für elementar, in katholischen Kindertagesstätten Glaubensinhalte zu vermitteln. Nur in etwa einem Fünftel der Familien spiele der Glaube eine wichtige Rolle, so die Leiterin. Von den übrigen Eltern erwartet sie, dass sie der Kirche wenigstens nicht ablehnend gegenüberstehen. Die Distanz der meisten Familien zum christlichen Glauben führe dazu, dass die Sprösslinge ihre Eltern manchmal vor "große Herausforderungen" stellen: "Wenn Kinder nach dem Sinn des Lebens oder nach Gott fragen, wissen die Eltern oft keine Antwort." Angeregt durch diese Fragen kommen einige Eltern ins Nachdenken über Religion und Kirche. Manchmal wenden sie sich mit ihren Zweifeln an die Erzieher. "Doch in den meisten Fällen schaffen diese Fragen den Sprung in die Familie nicht."

Alles, was Sie über Sankt Martin wissen müssen

Soldat, Bischof, Heiliger: Sankt Martin kennt eigentlich jedes Kind. Doch was ist wirklich über das Leben des Bischofs von Tours bekannt und was ist nur Legende? Katholisch.de stellt Sankt Martin vor – und gibt eine Übersicht über Brauchtum, Lieder und Laternenzüge.

Das bedauert Moesgen, denn mit ihrer religiösen Erziehung wollen katholische Kindertagesstätten eigentlich "Jesus ins Spiel bringen". Doch mit dem Gottessohn ist es ähnlich wie beim heiligen Martin: Die Eltern haben keine Probleme, Jesus als weisen und hilfsbereiten Menschen zu akzeptieren. "Selbst die Muslime schätzen Jesus als Propheten", so Moesgen. Doch die Aussagen des christlichen Glaubens über Jesus, die in den Kindertagesstätten vermittelt werden, würden sie ablehnen: "Wenn es um Ostern geht, scheiden sich die Geister." Schließlich gebe es bei allen Gemeinsamkeiten einige Unterschiede zwischen den Religionen. Die Auferstehung Jesu etwa könnten muslimische und auch nicht-religiöse Eltern nicht mittragen.

Ganz im Gegensatz zu ihren Kindern, die eine größere Offenheit für die biblischen Geschichten über Jesus an den Tag legen würden. "Manchmal sind die Eltern ganz fassungslos darüber", sagt Moesgen. Dennoch werden die allermeisten Eltern auch in diesem Jahr wieder beim Martinszug dabei sein, um die Kinder mit ihren selbstgebastelten Laternen zu bewundern. Und um vom Beispiel Sankt Martins zu lernen – über alle religiösen Grenzen hinweg.

Von Roland Müller