Standpunkt

Zentralkomitee goes Marktplatz

Veröffentlicht am 19.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit Halbwahrheiten und Lügen geschürte Angst, Wut und Hass begünstigen Gewalt; die Hetze in den Netz-Echokammern radikalisiert und enthemmt, kommentiert Andreas Püttmann. Umso wichtiger sei der aktuelle Aufruf des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sich für mehr Menschlichkeit einzusetzen.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 stimmt ein Drittel der Deutschen "voll und ganz" oder "überwiegend" der Meinung zu: "Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland" (2016: 26 Prozent). Dass es "das oberste Ziel deutscher Politik" sei, "Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht", meint jeder Vierte. Die pauschale Unterstellung: "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen" unterstützen 36 Prozent. Muslimen wollen 44 Prozent die Zuwanderung ganz verbieten. Zudem meint jeder Fünfte: "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert", und jeder Neunte: "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert".

Da überraschen die AfD-Wahlergebnisse nicht. 56 Prozent ihrer Anhänger haben manifest fremdenfeindliche, 40 Prozent chauvinistische Einstellungen. Wer mit "teils, teils", also nur latent oder partiell zustimmt, ist dabei nicht mitgezählt.

Ein Siebtel der Deutschen erklärt sich "in bestimmten Situationen durchaus bereit, Gewalt anzuwenden, um meine Interessen durchzusetzen", noch mehr (22 Prozent) finden es "gut, dass es Leute gibt, die mal ihre Fäuste sprechen lassen, wenn's anders nicht mehr weitergeht". Mit Halbwahrheiten und Lügen geschürte Angst, Wut und Hass begünstigen Gewalt. Die Hetze in den Netz-Echokammern radikalisiert und enthemmt. Der Verfassungsschutz zählt 12.700 gewaltbereite Rechtsextremisten, 9.000 gewaltbereite Linksextremisten und 774 islamistische Gefährder.

Da kommt der Aufruf des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) zur rechten Zeit: "Mit Sorge sehen wir den zunehmenden Hass, die Fremdenfeindlichkeit und die Gewaltbereitschaft in unserem Land. Deshalb laden wir ein zum Gebet für #Menschlichkeit": am kommenden Freitag um 19 Uhr auf dem Bonner Marktplatz. Ich geh' hin! Unsere Kirche ist aus schwerwiegenden Gründen derzeit viel mit sich selbst beschäftigt. Trittbrettfahrer kirchlicher Skandale wollen die Verunsicherung nutzen, um eine starke Stimme gegen die Verrohung in Gesellschaft und Politik zum Schweigen zu bringen. Sie faseln von "Politisierung", wo die Kirche konzilsgemäß "die Grundrechte der menschlichen Person" verteidigt und für eine Kultur der Empathie und Hilfsbereitschaft, Mäßigung und Toleranz eintritt. Nie in der Geschichte der Bundesrepublik war dies nötiger als heute, wo Nationalismus, Antipluralismus und Menschenfeindlichkeit wieder grassieren. Da ist die Botschaft goldrichtig: Wir lassen uns nicht in die Sakristei zurückdrängen. Aus geistlichem Halt erwächst staatsbürgerliche Haltung.

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.