Pro und Contra: Zwischen Diskriminierung und Neutralität

Dürfen Richter Kreuz oder Kopftuch tragen?

Veröffentlicht am 22.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nicht nur in zahlreichen Bundesländern wird über Kopftuch, Kreuz und Kippa gestritten. Auch in der katholisch.de-Redaktion fragt man sich: Können Richter und Staatsanwälte Ihre Religiosität einfach an der Tür des Gerichtssaals ablegen?

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Pro: Keine Angst vor Religion!

"Jeder im Gericht muss den Eindruck haben, ein Richter oder Staatsanwalt sei völlig frei von religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen." Mit diesen Worten begründete Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) den Vorstoß ihrer Behörde, Kopftuch, Kreuz und Kippa bei Richtern und Staatsanwälten zu verbieten. Ausgangspunkt für das geplante Gesetz ist der Fall einer muslimischen Referendarin, die sich weigerte, im Gerichtssaal ihr Kopftuch abzulegen. Der Ministerin zufolge soll das Gesetz die Neutralität der Justiz stärken.

Auf den ersten Blick mag diese Rechnung aufgehen: Wenn auf der Richterbank keine Anzeichen von Religion zu sehen sind, scheint klar zu sein, dass das Gericht neutral entscheidet. Doch bei näherer Betrachtung erweist sich diese Logik als Milchmädchenrechnung, denn sie blickt lediglich auf Äußeres. Schließlich hat jeder Mensch eine Glaubensüberzeugung, sei sie christlich, muslimisch, jüdisch oder atheistisch. Dabei ist es egal, ob eine Person ein religiöses Symbol zeigt oder nicht – sie legt ihre Weltanschauung deshalb nicht ab. Warum also nicht zeigen, was man glaubt?!

Gleichzeitig gerät durch den Vorstoß der Ministerin aus dem Blick, dass dem Justizsystem in Deutschland großes Vertrauen entgegen gebracht wird – schon jetzt, vor der angestrebten Änderung. Wie eine Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 belegt, hält eine große Mehrheit der Deutschen das Justizsystem für unabhängig und effektiv. Nur wenige machen Korruption und Fremdbeeinflussung unter deutschen Richtern aus – und wenn, dann aus ökonomischen Gründen und nicht wegen ihrer Religion. Diese große Vertrauen in die Justiz wird auch ein neues Gesetz nicht noch weiter verbessern können.

Schließlich ist offensichtlich, dass der geplante Vorstoß vor allem Gläubige benachteiligt, die aufgrund ihrer Religion bestimmte Kleidungsstücke tragen. Dazu zählen wegen ihres Kopftuchs viele muslimische Frauen, aber etwa auch orthodoxe Juden, die ihren Hinterkopf mit einer Kippa bedecken. Sie würden durch das Gesetz allein wegen ihres Glaubens vom Amt des Richters oder Staatsanwalts ausgeschlossen. Das zeigt: das Gesetzesvorhaben ist antimuslimisch und antijudaistisch. Gegen Christen richtet es sich jedoch nicht, da ihr Glaube ihnen keine Kleidungsvorschriften macht. Der niedersächsische Landtag sollte sich nicht die Blöße geben, dieses diskriminierende Gesetz zu verabschieden. Denn auch auf der Richterbank braucht man keine Angst vor Religion zu haben.

Von Roland Müller
Kreuz im Gerichtssaal abgehängt
Bild: ©picture alliance/dpa/Martin Gerten

Das Kreuz ist nicht nur am Hals von Richtern umstritten, sondern auch an der Wand von Gerichtssälen. Am Landgericht Düsseldorf wurde diese Frage zu Ungunsten des Kruzifixes entschieden. Lediglich der Umriss des Kreuzes ist an der Wand des Schwurgerichtsaals zu verlieben.

Contra: Selbstbewusste Zurückhaltung

Stellen Sie sich das mal vor: Aus irgendeinem unglücklichen Umstand sind Sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Jetzt müssen Sie sich vor Gericht verantworten. Und im Gerichtssaal hängt gut sichtbar ein Koran, die anwesenden Richter und Richterinnen tragen lange Bärte und Kopftücher als Zeichen ihres religiösen Bekenntnisses. Würden Sie dann noch auf die Neutralität des Gerichts, auf seine Unabhängigkeit von – möglicherweise strengen – religiösen Überzeugungen vertrauen, auch wenn diese Neutralität in der Verfassung steht? Ich war mir nicht mehr so sicher, als ich den Entwurf dieses Szenarios in einem User-Kommentar auf der katholisch.de-Facebook-Seite las.

Doch streng genommen war genau dieses Szenario in der Bundesrepublik lange Alltag – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Muslime, Juden und Atheisten mussten sich in einem gerichtlichen Umfeld aburteilen lassen, das durch Kreuze an der Wand oder an der Kette von Richtern geprägt war. Auch wenn dieser Umkehrschluss vereinfachend sein mag: Er demonstriert doch plastisch, warum ich gegen jegliche Form von religiösen Symbolen im Gerichtssaal bin und die entsprechenden Gesetzesvorhaben in NRW und Niedersachen für Verbote unterstütze. 

Die Argumente liegen auf der Hand: Richter und Anwälte sind eben ausschließlich dem Gesetz verpflichtet. Darüber bin ich sehr froh und finde, diese Neutralität darf auch sichtbar sein. Und dafür spricht auch, dass Deutschland immer pluraler wird, es weniger Christen, dafür aber mehr Muslime und immer mehr Atheisten gibt.

Außerdem wird den Christen ja nichts weggenommen, wenn in den Gerichtssälen kein Kreuz hängt oder sie für die begrenzte Zeit einer Verhandlung den Kreuzanhänger von ihrer Kette nehmen. Im Gegenteil: Sie gewinnen eher, weil sie zeigen, dass sie kein Problem damit haben, der gebotenen Neutralität nachzukommen. Dass sie – in der Situation eines Machtgefälles zwischen sich und Angeklagten oder Zeugen – eine künstliche Demonstration der Dominanz ihrer Religion nicht brauchen. So können in bestimmten Situationen gerade das Wahren von Neutralität und eine gewisse Zurückhaltung Zeichen eines religiösen Selbstbewusstseins sein.

Das hat auch die Debatte um den unsäglichen Kreuz-Erlass der bayerischen Landesregierung vom April dieses Jahres gezeigt. Dem plumpen Versuch, das Kreuz für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, standen damals viele Gläubige und Bischöfe kritisch gegenüber, auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Der hatte schon 2016 bei einer Reise ins Heilige Land auf dem Tempelberg sein Brustkreuz verborgen – und damit demonstriert, dass es Situationen gibt, in denen ein Zur-Schau-Stellen der eigenen religiösen Symbole nicht angesagt ist – wie auch in deutschen Gerichtssälen.

Von Gabriele Höfling