Abtreibung: Kompromiss bei Paragraf 219a gefunden
Die Bundesregierung will das umstrittene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche beibehalten, jedoch ergänzen. Unter anderem solle rechtlich ausformuliert werden, dass und wie Ärzte und Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Abtreibungen durchführen, erklärten die zuständigen Minister am Mittwochabend. "Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch darf es jedoch auch in Zukunft nicht geben", betonte Kanzleramtschef Helge Braun. Die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollten die Aufgabe bekommen, Kontaktinformationen für Betroffene zur Verfügung zu stellen. Ärzte und Krankenhäuser, die eine Abtreibung durchführen, müssen zuvor eingewilligt haben.
Andrea Nahles begrüßt Kompromiss
Die Fraktionen von Union und SPD müssen den Vorschlägen der Ministergruppe allerdings noch zustimmen. SPD-Chefin Andrea Nahles begrüßte den Kompromissvorschlag. "Wir werden jetzt den genauen Gesetzestext abwarten und sodann im Januar in unseren Fraktionen bewerten, beraten und darüber entscheiden", kündigte sie an. Auch Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der Unio-Bundestagsfraktion, reagierte positiv. Der Vorschlag sei ein erster Schritt zur Klärung der anstehenden Fragen in der Koalition, sagte er.
Abschließende Formulierungen für Ergänzungen zum geltenden Recht liegen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur noch nicht vor.
Mit der Entscheidung ist ein monatelanger Streit in der Regierungskoalition vorerst beigelegt. Schon am Dienstag hatte es aus SPD-Kreisen geheißen, zumindest in Grundzügen würde am Mittwoch ein Ergebnis vorliegen. Die zuständigen Minister hatten sich am Nachmittag jedoch zunächst noch einmal vertagt.
Die Situation war verfahren: Die SPD wollte den Paragrafen 219a abschaffen, zumindest aber reformieren, die Union wollte ihn beibehalten. Der Paragraf untersagt "das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen" von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht. Hintergrund ist auch, dass eine Abtreibung nicht als eine normale Dienstleistung gelten soll, die Ärzte in ihrem Leistungsangebot aufführen können.
Auf Gießener Urteil folgt monatelange Debatte
Der Auslöser für die Debatte war ein Urteil aus dem Jahr 2017: Damals hatte das Amtsgericht Gießen die Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt. Lebensschützer hatten auf ihrer Internetseite entdeckt, dass sie Abtreibungen anbietet und sie angezeigt.
Grüne, Linke und die SPD hatten bereits vor Monaten Gesetzentwürfe vorgelegt, die eine Abschaffung des Paragrafen vorsehen. Die FDP brachte schließlich eine Initiative ein, die auf eine stärkere Unterscheidung zwischen Information und Werbung abzielt. Um den Koalitionsfrieden zu wahren, hatte die SPD ihren Antrag zunächst zurückgezogen, zugleich aber beschlossen, ihn freizugeben, sollte bis Herbst keine Einigung mit der Union erfolgen. Bis zur Wahl der neuen CDU-Chefin wurde der Burgfrieden mehr oder weniger gewahrt, nun – kurz vor Weihnachten – drängte die SPD auf eine Lösung.
Fünf Minister waren mit der Suche nach einem Kompromiss befasst: Neben Justizministerin Katarina Barley waren das Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD), Innenminister Horst Seehofer (CSU), Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU).
Union sieht kein Informationsdefizit
In einem Beitrag für den Berliner "Tagesspiegel" begründete die Unions-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker am Mittwoch noch einmal die Haltung der Union: Der Paragraf verwehre Frauen nicht den Zugang zu wichtigen Informationen, er untersage "nur denjenigen die Werbung, die Abtreibungen gegen Bezahlung durchführen". Es gehe zunächst um Trennung von Beratung und Eigeninteresse. Umfassende Informationen fänden sich auf zahlreichen Internetseiten von Beratungsstellen, Krankenkassen und Behörden, eine Änderung des Paragrafen sei nicht notwendig.
Demgegenüber argumentierte die SPD, betroffene Frauen müssten sich besser informieren können, und Ärzte dürften nicht kriminalisiert werden, wenn sie Abtreibungen anböten.
"Abtreibung ist keine normale medizinische Leistung"
Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl erklärt, warum es das Werbeverbot braucht.Druck auf die Regierungskoalition kommt auch von der FDP und den Ländern: Die FDP hat einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der die Streichung des Paragrafen vorsieht. Debattiert werden soll darüber nach aktuellem Stand am späten Donnerstagabend. Darüber hinaus gibt es einen Antrag der Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Thüringen, die sich ebenfalls für eine Abschaffung des Paragrafen aussprechen.
Jüsten: Abtreibung ist "eben keine normale, ärztliche Leistung"
Für die katholische Kirche lehnte der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin, Prälat Karl Jüsten, am Mittwoch eine Abschaffung oder Änderung von 219a erneut ab. "Eine staatliche kontrollierte und finanzierte Beratung einerseits und eine weitgehend unkontrollierte, private Werbung andererseits sind miteinander schlicht nicht vereinbar", so Jüsten. Es müsse unbedingt im allgemeinen Bewusstsein erhalten bleiben, "dass ein Schwangerschaftsabbruch eben keine normale, ärztliche Leistung ist, für die man öffentlich werben können sollte".
Derweil berichtete Juso-Chef Kevin Kühnert von Einschüchterungsversuchen bis hin zu Morddrohungen, nachdem der SPD-Nachwuchs Anfang Dezember die vollständige Streichung der Paragraphen 218 und 219 verlangt hatte. Die politische Rechte habe "mit widerlichsten Methoden reagiert", schrieb er im "Handelsblatt". "Desinformation wurde betrieben, private Telefonnummern wurden zur Einschüchterung veröffentlicht, vereinzelte Morddrohungen liefen auf." So hätten "Rechtsradikale jedweder Couleur" zum Beispiel die Lüge in die Welt gesetzt, die Jusos wollten Abbrüche bis in den neunten Schwangerschaftsmonat ermöglichen. "Nichts dergleichen wollen wir, nichts dergleichen haben wir beschlossen", betonte Kühnert. (stz/gho/dpa/KNA)