Herzlichen Glückwunsch! Der "Orgel-Ratz" wird 95
Geburtstage wurden im Hause Ratzinger nie groß gefeiert. Der Namenstag galt, wie es früher in gut katholischen Familien üblich war, als wichtiger, tat Georg Ratzinger einmal kund. Doch wenn der langjährige frühere Chef der Regensburger Domspatzen am Dienstag 95 Jahre wird, dann muss er sich zumindest ein wenig beglückwünschen lassen. Der mittlerweile fast erblindete Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. hat sich aber nur eine Feier im ganz kleinen Kreis vorbehalten.
So ist am Ehrentag in seinem Haus in der Regensburger Innenstadt ein Gottesdienst geplant, bei dem auch Bischof Rudolf Voderholzer anwesend sein wird. Vier Domspatzen sorgen für die musikalische Umrahmung und haben, wie ein Sprecher andeutet, eine Überraschung für ihn vorbereitet. Die wird natürlich vorab nicht verraten, sonst wäre es ja keine mehr. Vor fünf Jahren, zu Ratzingers 90. Geburtstag, den dieser damals in Rom feierte, stand nach der Rückkehr der komplette Konzertchor unangemeldet vor der Haustür und brachte ein Ständchen. "Das hätte man aufnehmen können", bescheinigte der Jubilar den Sängern.
Der am 15. Januar 1924 in Pleiskirchen bei Altötting geborene Georg war das zweite Kind des Gendarmen Joseph und seiner Frau Maria. Seine Schwester Maria war drei Jahre zuvor zur Welt gekommen. Wie sein 1927 geborener Bruder Joseph studierte er nach dem Zweiten Weltkrieg in Freising Theologie und wurde mit ihm 1951 zum Priester geweiht. Während Joseph sich der Wissenschaft zuwandte, entschied sich Georg für ein Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule München, das er 1957 abschloss.
Gewalt, Angst, Hilflosigkeit
Als Domkapellmeister bestritt er mit den Domspatzen zwischen 1964 und 1994 mehr als 1.000 Konzerte im In- und Ausland und festigte den internationalen Ruf des Chores. Hin und wieder ließ Ratzinger eigene Kompositionen erklingen. Im Heiligen Jahr 2000 wurde die Missa "L'anno santo" im Regensburger Dom uraufgeführt. An seine Selbstdisziplin erinnern sich frühere Schützlinge noch heute. Legendär sind auch seine Wutausbrüche. Wenn die erwartete Gesangsqualität nicht stimmte, ging schon mal ein Stuhl zu Bruch.
Im Zusammenhang mit der Aufklärungsarbeit über Missbrauch und Gewalt bei der Erziehung der Domspatzen bescheinigte der Abschlussbericht von 2017 denn auch den Verantwortlichen, dass das ganze System früher auf den Erfolg des Chores ausgelegt gewesen sei. Mit einem "Dreiklang aus Gewalt, Angst und Hilflosigkeit" sollte der Wille der Schüler gebrochen und ihnen Persönlichkeit und Individualität genommen werden, heißt es. Ratzinger müsse sich vor allem vorwerfen lassen, dass er weggeschaut habe und trotz Kenntnis von Gewaltvorfällen nicht eingeschritten sei, erklärte Sonderermittler Ulrich Weber.
Schon 2010 hatte Ratzinger allerdings in einem Interview zugegeben, selbst bis Ende der 1970er Jahre in den Chorproben wiederholt Ohrfeigen bei Verfehlungen oder Leistungsverweigerung erteilt zu haben. Eigentlich habe er dabei immer ein schlechtes Gewissen gehabt. "Ich war dann froh, als 1980 körperliche Züchtigungen vom Gesetzgeber ganz verboten wurden." An diese Maßgabe habe er sich "striktissime" gehalten.
Mit der Wahl seines jüngeren Bruders zum Papst begann 2005 für Georg die ungeplante zweite Karriere. Als engster Verwandter des Kirchenoberhaupts wollte alle Welt von ihm wissen, wie Benedikt XVI. denn so tickt, beruflich und privat. Einige Anekdoten konnte er beisteuern; kirchenpolitische Kommentare ließ er sich fast nie entlocken.
Öffentlich tritt Ratzinger nur noch selten auf, und wenn, dann bei Terminen, die im Zusammenhang mit seinem Bruder stehen. Dann wird ein in schwarz gekleideter, alter Herr mit dunkler Sonnenbrille in seinem Rollstuhl in den Saal geschoben, der still dem Dargebotenen lauscht. "Die Wehwehchen des Alters sind spürbar", gab Ratzinger jüngst gegenüber dem Bayerischen Rundfunk zu. "Aber der Kopf funktioniert einwandfrei." Der Gedanke, an der Schwelle zur ewigen Heimat zu stehen, beschäftigt ihn schon länger. Er hoffe auf einen gnädigen Gott.