Wie aus einer Versöhnungsgeste ein Streitfall wurde
Noch bevor der Vatikan die Entscheidung offiziell bekanntgab, kündigte sich der Paukenschlag in den Medien an. Zwei Tage später war es offiziell: Durch ein Dekret der Bischofskongregation vom 21. Januar 2009 hob Papst Benedikt XVI. vor zehn Jahren die Exkommunikation auf, die auf den vier Bischöfen der traditionalistischen Piusbruderschaft lastete. Zuvor hatten Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso del Gallareta dem Papst schriftlich Treue und Gehorsam versichert. Dies hätte der Beginn vielleicht keiner Freundschaft, aber einer Aussöhnung sein können. Doch es kam anders.
In einem fast parallel dazu bekannt gewordenen Interview mit dem schwedischen Fernsehsender SVT hatte einer der vier, der Brite Richard Williamson, den Holocaust geleugnet – nicht zum ersten Mal. Es folgte eine internationale Welle der Entrüstung: Der Papst begnadige einen Holocaust-Leugner, nehme ihn wieder in die Kirche auf. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel übte Kritik: Sie vermisse ein klares Wort des Papstes zu Williamsons antisemitischen Äußerungen.
Diplomatische Krise
In der Folge ermittelte die Staatsanwaltschaft Regensburg gegen Williamson wegen Volksverhetzung. Ein Rückschlag auch im katholisch-jüdischen Dialog – was Benedikt XVI. niemals wollte. Das israelische Großrabbinat setzte die Beziehungen zum Heiligen Stuhl aus. Erst langsam renkte sich der katholisch-jüdische Dialog wieder ein.
Aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen hatte sich die Spitze der Piusbruderschaft selbst, als ihr französischer Gründer, Erzbischof Marcel Lefebvre (1905 bis 1991), am 30. Juni 1988 vier seiner Priester die Hand zur Bischofsweihe auflegte; um seiner "Priesterbruderschaft Sankt Pius X." den Fortbestand zu sichern – aber gegen das ausdrückliche Verbot des Papstes. Bestätigt wurde die Exkommunikation einen Tag später durch die vatikanische Bischofskongregation.
Wider den "Geist des Konzils"
Er wolle "als katholische Wahrheit nicht den 'Geist des Konzils', den Geist von Assisi", so Lefebvre damals in seiner Predigt. Waren ihm schon die vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) gutgeheißene Ökumene und Religionsfreiheit ein Dorn im Auge, so brachte das interreligiöse Friedenstreffen, zu dem Johannes Paul II. 1986 nach Assisi eingeladen hatte, das Fass zum Überlaufen.
Unmittelbar nach der verbotenen Bischofsweihe 1988 forderte der Papst alle Katholiken mit Kontakten zur Piusbruderschaft auf, diese nicht mehr zu unterstützen. Seit aber im Jahr 2000 Lefebvres Nachfolger Bischof Fellay mit 5.000 Anhängern zur Rom-Wallfahrt in den Petersdom gepilgert war, standen die Signale eher auf Wiederannäherung.
Schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt empfing Papst Benedikt XVI. – der damals als Leiter der Glaubenskongregation eine zentrale Rolle bei der Trennung gespielt hatte – Fellay in Audienz. Die von Johannes Paul II. 1988 zum Dialog mit Traditionalisten errichtete Kommission "Ecclesia Dei" griff den Gesprächsfaden auf und unterbreitete Vorschläge.
Als erstes deutliches Entgegenkommen Roms galt im Sommer 2007 die breitere Wiederzulassung der vorkonziliaren Liturgie (in der Fassung von 1962) als "außerordentlichem Ritus". Nach der Aufhebung der Exkommunikation organisierte Benedikt XVI. auch die Kommission "Ecclesia Dei" um, die damals eine unglückliche Rolle gespielt hatte; er band sie enger an die Glaubenskongregation.
Nach wie vor kein "Minimalkonsens"
Im Herbst 2011 legte der Vatikan den Piusbrüdern als Voraussetzung ener Aussöhnung eine "lehrmäßige Präambel" vor, damit diese die lehramtlichen Positionen der Kirche seit dem Konzil anerkennen. Bis heute aber konnte sich die Gemeinschaft nicht durchringen, diesen "Minimalkonsens", wie ihn manche bezeichneten, zu unterschreiben.
Die Hoffnungen Benedikts XVI. vom Januar 2009, "möglichst rasch zu einer vollständigen Versöhnung und zu voller Gemeinschaft" zu gelangen, haben sich nicht erfüllt. Zehn Jahre später scheinen diese wieder weit entfernt, auch wenn Papst Franziskus gestattete, dass Priester der Bruderschaft anderen Gläubigen gültig die Beichte abnehmen oder bei der Trauung assistieren.
Im November 2018 war der neue Generalobere der Piusbrüder, der Italiener Davide Pagliarani (48), zu Gesprächen im Vatikan. Anschließend verkündete er: Solange die lehrmäßigen Differenzen nicht ausgeräumt seien, gebe es keine Fortschritte zu einer Einigung, die auch eine juristische Anerkennung der Vereinigung durch den Papst beinhalten könne. Aus vatikanischen Kreisen ist zu hören, derzeit tue sich im Dialog mit der Bruderschaft "überhaupt nichts, im Gegenteil"; es sei eher eine Verhärtung zu beobachten.
Dies könnte mit ein Grund dafür sein, dass die Dialogkommission "Ecclesia Dei" kürzlich aufgelöst wurde. Nun ist die Glaubenskongregation direkt für den theologischen Austausch mit der Bruderschaft zuständig. Um liturgische Fragen mit Traditionalisten sowie den außerordentlichen Ritus kümmert sich jetzt die Liturgiekongregation.
Bischof Williamson (78), der die Versöhnungsgeste vor zehn Jahren torpedierte, wurde 2012 auch von den Piusbrüdern ausgeschlossen. Durch die unerlaubte Bischofsweihe eines französischen Priesters 2015 in Brasilien hat er sich zudem ein zweites Mal exkommuniziert.