Eine Präsidentschaft als religionspolitisches Problem

Donald Trump: Der fehlbare Prophet

Veröffentlicht am 07.02.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Seine Sprecherin bezeichnete seine Wahl kürzlich als gottgewollt, für sich selbst ist er der "beste Präsident, den Gott jemals geschaffen hat". Der religionspolitische Einschlag von Donald Trump trifft allerdings auch die katholische Kirche – und fordert die Bischöfe zum Widerspruch auf.

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US-Präsident Donald Trumps Amtsführung lässt keinen Stein auf dem anderen. Kein Bündnis, kein Pakt und keine Allianzen sind vor den machtstrategischen Alleingängen des "Man in Charge" sicher. Abmachungen sind oft von kurzer Dauer. Manche werden noch am selben Tag per Twitter zurückgenommen oder für nie existent erklärt. Diese Unsicherheit hat bereits zwei Jahre nach Trumps Amtseinführung sichtbare Spuren hinterlassen. Auch innerhalb der US-Religionspolitik hat das unvorhersehbare Ereignis zahlreiche Turbulenzen mit sich gebracht.

Schon allein die Vorstellung, wonach jemand wie Donald Trump tatsächlich zum US-Präsidenten gewählt werden könnte, war für viele Menschen schier unmöglich. Dass dieser Kandidat 2016 aber ausgerechnet in jener Partei antreten durfte, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg besonders auf ein christlich-konservatives Welt- und Familienbild eingeschworen hatte, war selbst für hartgesottene Republikaner ein Schock: Er repräsentierte in seinem Leben so gar nichts, was an den fürsorglichen Familienvater, den braven Christen und hart arbeitenden Staatsvater erinnerte. Aber genau den erwarteten viele konservative US-Amerikaner im Oval Office.

Der evangelikale Prediger Billy Graham (1918 bis 2018) konnte noch die ersten Monate von Trumps Amtszeit bewusst miterleben. Was er da sah, dürfte einer Bankrotterklärung seines eigenen Lebenswerkes gleichgekommen sein: Es war Grahams Verdienst, dass sich die republikanische Partei seit den 1950er-Jahren verstärkt auf die Etablierung eines christlichen US-Bewusstseins konzentriert hatte. Der junge, aufstrebende Prediger hatte es geschafft, das Weltbild der christlichen Fundamentalisten in den Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion wieder salonfähig zu machen. Präsident Dwight D. Eisenhower, ein früher Verehrer Grahams, inszenierte die USA zusehends als das christliche Gegengewicht zur atheistischen Politik des Ostens. Dies entsprach dem Ziel, welches Graham in seinen Predigten befeuerte.

Die USA: "God's Own Country"

Die Vereinigten Staaten sahen sich verstärkt als "God's Own Country", das auserwählte Volk, das die Welt vor dem gottlosen Geist des Kommunismus zu bewahren hatte. Graham schmiedete für dieses Ziel Allianzen, er überwand Glaubensgrenzen und schuf der republikanischen Partei einen Wählerblock, der weit über fundamentalistische Kreise hinausging. Ob Katholiken, Episkopale oder Baptistengemeinden – sie alle standen für traditionelle Moral. Die Glaubensstreitigkeiten sollten ad acta gelegt werden, man wollte sich auf Themen wie Abtreibung, Homosexualität, Anti-Kommunismus konzentrieren. Damit legte man den Grundstein für jenes Parteibild, das die US-Zivilreligion bis heute prägt: An der Spitze des Staates soll der Repräsentant des amerikanischen Wertideals stehen. Der Präsident ist mehr als ein politischer Führer: Er hat der Garant für die göttliche Erwählungsrolle der USA zu sein. Er dient als sichtbarer Prophet der US-Berufung in der Welt.

Der evangelikale US-Prediger Billy Graham bei einem Auftritt im Jahr 1996.
Bild: ©picture alliance / ZUMA Press / John D. Simmons

Der evangelikale US-Prediger Billy Graham (1918-2018) machte in den 1950er Jahren das Weltbild christlicher Fundamentalisten in den USA wieder salonfähig. In den Reigen der Republikaner hatte er viele Anhänger.

Dann plötzlich stand er da: Donald J. Trump. Fast unbemerkt hatte sich der politische Quereinsteiger 2016 im Rennen um die republikanische Kandidatur den Jubel der Menschen erkämpft. Zunächst von der Parteiführung noch als medienwirksamer Werbe-Gag für die Vorwahlen begrüßt, entwickelte er sich parteiintern zu einem ernsten Problem. Das Publikum liebte seine theatralischen Rundumschläge. Dass sich diese später als unbegründet und falsch herausstellten, störte im Endeffekt niemanden. Die Leute wollten den kämpfenden Trump sehen. Seine Gegner, die ihn unterschätzt und belächelt hatten, konnten seinen haltlosen Schimpftiraden nichts Wirksames entgegensetzen. Während sie sich an die politischen Stilvorgaben hielten, durchbrach Trump diese mit seinen ungezügelten Angriffen. Seine Kontrahenten schalteten sich gegenseitig aus, ihre Argumente liefen ins Leere und als man Trump am Ende sogar seitens der Parteispitze wieder loswerden wollte, war es bereits zu spät.

Der Trump-Express hatte Fahrt aufgenommen. Zahlreiche Wählergruppen standen hinter dem unkonventionellen Kandidaten, manche Politgrößen taten es ihnen gleich. Der politische Newcomer hielt sich an nichts, was in der Partei lange Zeit hochgehalten wurde: Scheidungen, öffentliche Lügen, frauenfeindliche Telefonmitschnitte, Affären mit Pornostars und sogar mögliche Kontakte mit der einstmals verhassten Ostpolitik. Trump stellte die konservative Allianz auf eine harte Probe. Sollte man diesen Mann tatsächlich wählen? Konnte man das Geschick des Landes tatsächlich so einem Menschen anvertrauen? Unruhe war in der Partei ausgebrochen.

Der umstrittene Kandidat versuchte zunächst, bei seinen Kritikern mit der religiösen Brechstange zu punkten, als er sich bei Wahlkampfveranstaltungen mit seiner Familienbibel medial in Szene setzte. Seine öffentlichen Beteuerungen, dass er natürlich bekennender Christ sei, konnten jedoch niemanden so recht überzeugen. Nicht nur seine privaten Skandale sprachen eine andere Sprache, auch seine Biografie: Von der strengen Kirchlichkeit seiner presbyterianischen Eltern hatte sich Trump früh entfernt.

Papst Franziskus empfängt US-Präsident Donald Trump zu einer Privataudienz
Bild: ©picture alliance / ZUMA Press / Alessandra Tarantino/Pool

Papst Franziskus empfängt US-Präsident Donald Trump zu einer Privataudienz

Seine Heimatgemeinde, die "Marble Collegiate Church" in Manhattan, hatte er jahrzehntelang nicht mehr gesehen. Der wohl wichtigste religiöse Einfluss in seinem Leben beschränkt sich wohl auf den damaligen Pastor seiner Gemeinde: Norman Vincent Peale war ein glühender Verfechter der "Theologie des positiven Denkens". Nur, wer an sich selbst glaubt und an seiner eigenen Erwählung festhält, kann den Segen Gottes in seinem Leben verwirklichen. Dessen Botschaft kam offenbar an, denn diese Haltung zeichnet Trump auch heute noch aus. Bis zum Tod Peales im Jahr 1993 riss sein Kontakt zum aufstrebenden Immobilienhai nie ab.

Im Wahlkampf 2016 wurde Donald Trump, der – nach eigenen Aussagen – "beste Präsident, den Gott jemals geschaffen hat", zur Gewissensfrage: Würde man seine moralischen Fehltritte verzeihen oder die so lange unhinterfragte Gefolgschaft der Partei aufkündigen? Unter den konservativen Freikirchen brodelte es. Doch Trump konnte das Ruder zu seinen Gunsten herumreißen. Ihm kam ausgerechnet ein Todesfall zugute: Der Platz des 2016 verstorbenen Höchstrichters Antonin Scalia, eines konservativen Katholiken aus Texas, musste nachbesetzt werden. Während Obama liberale Nachfolger im Auge hatte, versprach Trump, dass er einen streng traditionellen Höchstrichter ernennen würde, wenn er nur in das Weiße Haus käme. Solche Wahlversprechen konnten offensichtlich manche Gruppen etwas besänftigen.

Wie sollen die Kirchengemeinschaften mit Trump umgehen?

Doch der Wahlerfolg brachte nicht die gewünschte Beruhigung. Im Gegenteil: Insbesondere die vermuteten Russland-Kontakte von Trumps Wahlkampfteam, aber auch seine Annäherung mit dem kommunistischen Nordkorea lassen die hitzige Stimmung bis heute nicht abflauen. In zahlreichen Kirchenmedien diskutieren führende freikirchliche Pastoren, Politiker und Theologen immer noch, wie man mit diesem Präsidenten umzugehen hat. Die evangelikale Wählerschaft scheint zerrüttet zu sein. Während sich Pastoren wie Robert Jeffress bewusst öffentlich mit Trump im Weißen Haus inszenieren, wenden sich andere Vertreter der Freikirchen von der Partei oder gar von ihren eigenen Kirchengemeinden ab. Sie sehen in der Wahl Trumps einen Verrat an den US-Idealen, aber auch am Erbe Grahams. Daran könnten auch die konservativen Höchstrichter aus Trumps Feder nichts ändern.

Der religionspolitische Einschlag Trumps trifft jedoch alle Gruppen, die in der "politischen Ökumene" der 1960er-Jahre einflussreich geworden waren – auch die katholische Kirche. Billy Graham war es damals ein Anliegen, auch die "Papisten" ins Republikaner-Boot zu holen. Dies tat er weniger aus theologischer Überzeugung als aus wahltechnischem Kalkül: Wer US-Wahlen gewinnen möchte, kann nicht einen ganzen Wählerblock außen vor lassen. Deshalb rang sich Graham dazu durch, diese in seine Allianz einzubinden. Die US-Oberhirten genossen diese Stellung sichtlich. Nach jahrhundertelangen Zeiten des Anti-Katholizismus, in denen Katholiken zweitweise jedes politische Amt verschlossen war, wurden sie nun als Zünglein an der Waage gesehen. Insbesondere in den moralischen Fragen war man sich auch grundsätzlich einig: Die Bischöfe repräsentierten schließlich die Linie Roms.

Kardinal Timothy M. Dolan, Erzbischof von New York, sitzt beim Al-Smith-Wohltätigkeits-Dinner der katholischen Kirche neben Donald Trump.
Bild: ©KNA

Kardinal Timothy M. Dolan, Erzbischof von New York, sitzt beim Al-Smith-Wohltätigkeits-Dinner der katholischen Kirche neben Donald Trump.

Trumps Anti-Einwanderungspolitik entpuppte sich aber für die Bischöfe als ein Bumerang: Mit seinen Angriffen auf lateinamerikanische Migranten zielte Trump nämlich genau auf jene Gruppe, die die katholische Kirche in den letzten Jahrzehnten noch vor harschen Verlusten bewahrt haben. Dass die Kirche in den USA ihre Zahlen ansatzweise halten konnte, ist nur auf den Zuzug aus Mittel- und Südamerika zurückzuführen. Als Trumps langjähriger Chefstratege Steve Bannon diese Menschen vermehrt als Projektionsfläche der Politik benutzte, mussten die kirchlichen Würdenträger handeln: Öffentlich widersprach Kardinal Dolan von New York der scharfen Migrationspolitik. Damit war aber der Kuschelkurs der letzten Jahrzehnte aufgekündigt. Der US-Präsident tobte. Die Bischöfe ihrerseits hatten sich aus dem republikanischen Fahrwasser befreien müssen. Hätten sie dies nicht getan, wären die Folgen für die innerkirchliche Stimmung unberechenbar gewesen. Und einen weiteren innerkatholischen Unruheherd konnten die skandalgebeutelten US-Bischöfe keinesfalls brauchen.

Gegenwärtig scheinen zahlreiche Kreise der US-Politik, aber auch weite Teile der US-Religionen noch immer in einem Trump-Schock gefangen zu sein. Trump bleibt für viele US-Amerikaner ein Fremdkörper in ihrer Zivilreligion. Ihr Patriotismus, der von einer göttlichen Erwählung getragen schien, traf in Trumps biografischen Tiefen den harten Boden der Realität. Die sakrale Aura, die dieses Amt im Staat lange umhüllt hat, zerplatze in Trumps Amtsführung bald in Form einer nie dagewesenen Seifenblase: Hier sitzt kein idealer Christ, kein unfehlbarer Prophet im Weißen Haus, sondern jemand, der sich um Werte, Bündnisse oder Versprechen nicht kümmert.

Dieser Präsident ist kein Garant der Stabilität, sondern eine Quelle des Risikos. Nicht nur in der internationalen Politik, sondern insbesondere auch in der religionspolitischen Landschaft der USA macht sich Trumps Kurs bemerkbar. Der Präsident hat zahlreiche eingeschworene Bündnisse an ein Ende geführt. Dies stürzt besonders die republikanischen Wählergruppen in ein schweres Dilemma. Seine unmissverständliche Absage an die christliche Storyline der Partei hat diese vor ein Identitätsproblem gestellt, das noch lange Zeit nicht vorbei ist. Vorerst wird das gesamte republikanische Parteigeschehen darauf konzentriert, möglichst geschlossen hinter dem Mann im Weißen Haus zu stehen. Dies erfordert bereits genug Energie. Was jedoch eine zukunftsfähige Strategie "nach Trump" angeht, ist man zurzeit noch meilenweit vor einer wirklichen Lösung entfernt.

Von Andreas G. Weiß

Buchtipp

Andreas G. Weiß, Trump – Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, Verlag Patmos 2019, 216 Seiten, 24 Euro.