"Wir tragen das Katholische nicht wie eine Monstranz vor uns her"
Welche Rolle spielen christliche Sichtweisen heute noch in der Politik? Und wie kann man ihnen angesichst einer zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft weiterhin Gehör verschaffen? Diese Fragen stellt sich auch der Kardinal-Höffner-Kreis der Unionsfraktion im Bundestag, der 1993 mit dem Ziel gegründet wurde, katholische Positionen im politischen Diskurs zu stärken. Ist dieses Ziel erreicht worden? Und wenn ja: Braucht es heute noch einen dezidiert katholischen Zusammenschluss im Bundestag? Darüber hat katholisch.de mit Christian Hirte, dem Vorsitzenden des Kardinal-Höffner-Kreises, gesprochen. Im Interview äußert sich Hirte, der derzeit Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie ist, auch zum "C" im Parteinamen der Union und zur monatelangen Debatte um Paragraf 219a und das in ihm geregelte Werbeverbot für Abtreibungen.
Frage: Herr Hirte, der Kardinal-Höffner-Kreis wurde 1993 mit dem Ziel gegründet, katholischen Positionen in der Bundespolitik auch nach dem Umzug von Parlament und Regierung in das protestantisch geprägte Berlin eine Stimme zu geben. Hat der Kreis dieses Ziel erreicht?
Hirte: Ich denke schon. Den Initiatoren des Kardinal-Höffner-Kreises ging es ja darum, einen Raum zu schaffen, in dem katholische Abgeordnete zusammenkommen können, um auf der Basis eines christlichen Wertefundaments über relevante gesellschaftliche Fragen zu diskutieren und entsprechende Sichtweisen in den politischen Diskurs einzubringen. Das ist dem Kreis von Beginn an gut gelungen, und das bleibt auch weiterhin das Ziel.
Frage: Die religiöse Zusammensetzung der Gesellschaft hat sich in den vergangenen 25 Jahren stark gewandelt – Deutschland ist heute deutlich weniger christlich geprägt als noch in den neunziger Jahren. Das hat auch Folgen für den politischen Diskurs. Ist es heute schwieriger, in der Politik christliche Positionen zu vertreten?
Hirte: Nein, das würde ich so nicht sagen. Sicher: Die Prägekraft des Christentums hat bedingt durch die Wiedervereinigung und die Zuwanderung der vergangenen Jahre abgenommen. Deutschland ist heute einerseits atheistischer, andererseits aber auch multireligiöser geprägt als noch vor zwei Jahrzehnten. Das zeigt sich auch in der Politik und der Zusammensetzung des Bundestags. Vor diesem Hintergrund ist das Anliegen des Kardinal-Höffner-Kreises, christlichen Positionen in der Politik Gehör zu verschaffen, heute vermutlich sogar aktueller denn je.
Frage: Welchen Einfluss hat der Kreis denn in der Unionsfraktion, deren Zusammensetzung heute ja ebenfalls deutlich pluraler ist als noch vor einigen Jahren?
Hirte: Die Union ist die Partei mit dem "C", insofern spielt die christliche Perspektive in unserer Fraktion grundsätzlich eine zentrale Rolle. Auf diesem Fundament baut der Kardinal-Höffner-Kreis auf. Wir sind – auch dank der wohlwollenden Unterstützung der Fraktionsspitze – durchaus in der Lage, uns Gehör zu verschaffen und zur Meinungsbildung in der Fraktion einen guten Beitrag zu leisten.
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Helmut Kohl war nie zu Gast im Kardinal-Höffner-Kreis. Die These, wonach in der CDU das katholische Element schwinde, schien dem pfälzisch-katholischen Kanzler wohl völlig abwegig. Zumindest solange er das Sagen hatte. Dennoch gründete sich schon vor 20 Jahren noch in Bonn diese Runde von Katholiken in der CDU, die nach der Wiedervereinigung die Sorge vor einer anti-rheinischen und anti-katholischen Übermacht hegte. (Artikel vom Juni 2013)Frage: Aber wie viel Sinn macht denn im Jahr 2019 überhaupt noch ein dezidiert katholischer Zusammenschluss? Wäre es angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung nicht sinnvoller, den Kreis stärker ökumenisch auszurichten?
Hirte: Das tun wir ja bereits. Es geht uns im Kardinal-Höffner-Kreis nicht darum, das Katholische wie eine Monstranz vor uns herzutragen. Im Gegenteil: Wir pflegen eine gute ökumenische Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche und haben regelmäßig evangelische Christen bei uns zu Gast – allen voran unseren langjährigen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder. Gemeinsam ist es uns in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, bei wesentlichen Fragen – zum Beispiel im Bereich der Bioethik oder bei Grenzfragen des menschlichen Lebens – in großer ökumenischer Übereinstimmung christliche Positionen in den politischen Diskurs einzubringen.
Frage: Sie sagen, Sie wollen das Katholische nicht zu sehr betonen, sondern stärker ökumenisch agieren. Wie eng ist vor diesem Hintergrund noch das Verhältnis des Kreises zur katholischen Amtskirche?
Hirte: Sehr eng. Unser Kreis hat – ebenso wie die Unionsfraktion insgesamt – nach wie vor ein gutes Verhältnis zur katholischen Kirche. Eine wichtige Rolle spielt hierbei Prälat Karl Jüsten, der als Leiter des Katholischen Büros unseren Kreis bereits seit vielen Jahren begleitet und mit dem wir uns inhaltlich stark abstimmen. Trotzdem heißt das aber natürlich nicht, dass wir bei allen Fragen immer einer Meinung wären.
Frage: Können Sie ein Beispiel nennen, wo Sie mit der kirchlichen Position über Kreuz lagen?
Hirte: Da fällt mir zum Beispiel die Diskussion um die "Ehe für alle" vor eineinhalb Jahren ein. Während sich die katholische Kirche klar gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen hatte, gab es in unserem Kreis in dieser Frage eine große Bandbreite an Positionen. Meine Kollegin Mechthild Heil etwa hat für die Einführung der "Ehe für alle" gestimmt – und das als Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. An diesem Beispiel kann man gut sehen, dass der Kardinal-Höffner-Kreis durchaus die ganze Breite des Katholizismus abbildet.
Frage: Wie blicken Sie selbst als engagierter Katholik derzeit auf die katholische Kirche in Deutschland?
Hirte: Die katholische Kirche durchlebt derzeit eine schwere Krise – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Mein persönliches Verhältnis zur Kirche hat sich dadurch aber nicht verändert. Ich habe von Kindesbeinen an fast ausschließlich positive Erfahrungen mit der Kirche gemacht; das trägt mich bis heute. Die katholische Kirche ist immerhin die größte "Massenorganisation" in Deutschland. Insofern sollten wir ihre Präge- und Bindekraft in gesellschaftlichen Fragen sehr ernst nehmen.
Frage: Wie beurteilen Sie denn die bisherige Aufarbeitung des Missbrauchsskandals? Geht die Kirche in Deutschland gut mit diesem Skandal um? Klärt Sie genug auf?
Hirte: In der Vergangenheit hat sie sicher nicht genug getan. Inzwischen habe ich aber den Eindruck, dass man die Zeichen der Zeit endlich erkannt hat und um echte Aufklärung bemüht ist. Ich hoffe sehr, dass die Kirche und ihre wichtigsten Protagnisten – allen voran die Bischöfe – diesen Skandal vollumfänglich aufklären und keine falschen Loyalitäten pflegen.
Frage: Kommen wir zurück zur Politik. In den vergangenen Monaten wurde intensiv über das Werbeverbot für Abtreibungen diskutiert. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Debatte mit dem jetzt vom Bundeskabinett gebilligten Kompromiss für eine moderate Reform des Paragrafen 219a zu einem Ende kommt?
Hirte: Die Chancen dafür sind gut, denn wir haben aus meiner Sicht einen hervorragenden Kompromiss erzielt. Das bestehende Werbeverbot bleibt bestehen, aber wir schaffen bessere Informationsmöglichkeiten. Das ist eine Position, mit der unsere Fraktion sehr gut leben kann und der auch im Sinne des ungeborenen Lebens ist.
Frage: Denken Sie denn, dass die SPD sich auf Dauer mit diesem Kompromiss zufrieden geben wird? Immerhin wollte die Fraktion den Paragrafen eigentlich komplett streichen...
Hirte: Die SPD ist den Weg zu dem jetzt ausgehandelten Kompromiss mitgegangen. Von daher erwarte ich, dass die Sozialdemokraten das Thema als politisch und gesellschaftlich befriedet dauerhaft mittragen. Wir erleben aber leider auch, dass einige Befürworter einer Abschaffung des Paragrafen 219a etwas ganz anderes wollen – nämlich den Gesamtkompromiss um den Lebensschutz aus den neunziger Jahren aufkündigen. Insofern glaube ich, dass auch die SPD mit dem Kompromiss gut leben kann.