Das Stundengebet: "Betet ohne Unterlass"
Was ist das Stundengebet?
Die "Tagzeitenliturgie" bezeichnet die unterschiedlichen Gebetszeiten, die von Klerikern und geistlichen Gemeinschaften im Laufe eines Tages zu verrichten sind. Hierfür wird häufig auch der Begriff "Stundengebet" verwendet, da die entsprechenden Gebete zu bestimmten Stunden des Tages ihren Platz haben. Das Buch, in dem sich die Gebete zur Tagzeitenliturgie finden, heißt dementsprechend auch "Stundenbuch". Mancherorts sagt man dazu auch "Brevier", abgeleitet vom lateinischen Namen "Breviarium Romanum", wie das Stundenbuch bis 1970 hieß. Bis heute sagt man auch, jemand muss noch "sein Brevier beten" und meint damit eigentlich die Feier der Tagzeitenliturgie.
Warum gibt es das Stundengebet?
"Betet ohne Unterlass", schreibt Paulus im ersten Thessalonicherbrief (5,17). Diesen Aufruf zum ununterbrochenen Gebet findet man schon im Alten Testament. Besonders in den Psalmen wird betont, man habe den Herrn beständig vor Augen (Ps 25,15) und sein Lob im Mund (Ps 34,2). Im Judentum wurde dieser Gedanke schon sehr früh konkret umgesetzt: Im Tempel gab es Opfer am Morgen und Abend, zu dem sich die Gläubigen versammelten. Bis heute sind gläubige Juden zu drei Gebetszeiten am Tag aufgerufen. Im Islam sind die Gläubigen gar zu fünf Gebetszeiten verpflichtet: vor dem Sonnenaufgang, mittags, nachmittags, bei Sonnenuntergang und bei Einbruch der Nacht. Der Ruf des Muezzin erinnert an die Einhaltung der Gebete.
Mit den über den Tag verteilten Gebeten ist in allen Religionen eine Heiligung der Zeit verbunden. Immer wieder sollen sich die Gläubigen durch das Gebet im Laufe des Tages bewusste machen, dass sie in der Gegenwart Gottes leben.
Wie hat sich das Stundengebet geschichtlich entwickelt?
Anfangs war es für die frühen Gemeinden selbstverständlich, mehrmals am Tag zum Gebet zusammenzukommen. Hierbei galten die Eckpunkte des Tages als Anhaltspunkte für die Gebetszeiten: Morgen und Abend, die Tageshälfte und die Hälften der Tageshälfte (nach antiker Zeitrechnung hieß das, Gebete waren zur 3., 6. und 9. Stunde zu verrichten). Außerdem gab es die sogenannten "Vigilien", also das mit dem Gebet verbundene Warten in der Nacht. Dieses Schema der "Horen" (von lat. "hora" = Stunde) genannten Gebetszeiten hat sich in dieser Form bis heute erhalten.
In den Orden und monastischen Gemeinschaften wurde die Tagzeitenliturgie sehr intensiv gepflegt und mit weiteren Gebetszeiten angereichert. Dies führte im Laufe der Jahrhunderte dazu, dass sich Gemeinden immer schwerer taten, die Tagzeitenliturgie mitzufeiern. Es fehlte an entsprechenden Texten für normale Gläubige, sodass das Stundengebet mehr und mehr zum Gebet des Klerus wurde. Bis in die Zeit der Liturgischen Bewegung im 20. Jahrhundert wurde das Breviergebet hauptsächlich von Klerikern und klösterlichen Gemeinschaften verrichtet. Erst im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde das Stundengebet auch den Gläubigen in den Gemeinden ans Herz gelegt. Schließlich ist es eine gute Möglichkeit, den Tag zu heiligen und am Gebet der ganzen Kirche teilzunehmen. Die Tagzeitenliturgie ist eben keine Last (wie das lange Zeit vermittelt wurde), sondern das Geschenk, Gott unablässig Lob zu singen.
Wie sieht das Stundengebet heute aus?
Die Tagzeitenliturgie besteht heute aus unterschiedlichen Gebeten, die über den Lauf des Tages verteilt gesprochen werden. In den klösterlichen Gemeinschaften ist das Stundengebet häufig sehr umfangreich und wird von den zum Gebet versammelten oftmals gesungen. Das Brevier des Weltklerus (also aller Kleriker, die nicht einem Orden oder einer geistlichen Gemeinschaft angehören) ist hingegen eine reduzierte Form der Tagzeiten. Hier sind die Horen kürzer, manche Horen können auch zusammengefasst werden. Damit ist das Stundengebet an die Lebensrealität der Kleriker angepasst, die auch noch ihren Dienst in den Pfarreien verrichten.
Heute besteht die Tagzeitenliturgie nach dem römischen Stundenbuch aus folgenden Horen:
- Lesehore (entstanden aus der Vigil, die früher als Nachtwache gefeiert wurde)
- Laudes
- Terz – Sext – Non (die sogenannten "kleinen Horen")
- Vesper
- Komplet (das "Nachtgebet" der Kirche)
Eine herausragende Stellung im Stundengebet nehmen die Laudes und die Vesper ein. Sie sind, wie es das Zweite Vatikanische Konzil sagt, die "Angelpunkte des täglichen Stundengebetes". Gerade die beiden Horen am Morgen (Laudes) und am Abend (Vesper) werden mancherorts auch zusammen mit der Gemeinde gefeiert.
Wie sind die Laudes aufgebaut?
Die Laudes sind die Gebetszeit am Morgen. Der Name der Hore stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie "Lob" oder "Lobpreis". Die Laudes sind die Einladung, am Morgen, bei Sonnenaufgang, Gott zu preisen und mit seinem Lob den Tag zu beginnen.
Am Anfang der Laudes steht ein Hymnus, der in das Gebet einstimmt und meist den Aufgang der Sonne und das Anbrechen des neuen Tages besingt. Es folgt die Psalmodie: Nach einem Morgenpsalm betet man ein alttestamentliches Canticum und einen Lobpsalm. Es folgen die Kurzlesung und das Responsorium, ein Antwortgesang, sowie das Benedictus, welches den Höhepunkt der Laudes bildet.
Das Benedictus ist der "Lobgesang des Zacharias", der dem ersten Kapitel des Lukasevangeliums entnommen ist. Dort heißt es, der Priester Zacharias sei verstummt, dass seine Frau Elisabet noch einen Sohn gebären sollte. Erst als das Kind, Johannes, geboren war, konnte Zacharias wieder sprechen und stimmte seinen großen Lobgesang auf die wunderbaren Heilstaten Gottes an.
Nach dem gesprochenen oder gesungenen Benedictus folgen Bitten für den Tag und die bevorstehende Arbeit. Das Vaterunser und eine Oration bilden den Abschluss der Laudes.
Wie ist die Vesper aufgebaut?
Die Vesper, das Abendgebet der Kirche, folgt in den Grundzügen dem Aufbau der Laudes. Gemeinsam versammelt man sich beim Untergehen der Sonne, um am Abend den vergangenen Tag in die Hand Gottes zurückzulegen. Besonders in früheren Zeiten war die Vesper mit einer "Luzernar" genannten Lichtfeier verbunden. Die Lichtsymbolik des Neuen Testaments wurde aufgegriffen, die Jesus Christus als das Licht der Welt beschreibt, das jede Dunkelheit überwindet. In der dunklen Kirche entzündete man daher eine Kerze, deren Licht sich in der Runde verbreitete. Häufig war dieser Lichtritus auch mit einem Weihrauchopfer verbunden. Hierzu wurden meistens die Worte des 141. Psalms gesungen: "Nimm mein Gebet an wie den Duft geopferten Weihrauchs; und wenn ich meine Hände zu dir emporhebe, dann sei es für dich wie ein Speiseopfer am Abend."
Auch die Vesper beginnt mit einem Hymnus, der häufig abendliche Motive wie das Untergehen der Sonne aufgreift. Es folgen zwei Psalmen, ein neutestamentliches Canticum, Kurzlesung und Responsorium.
Den Höhepunkt der Vesper bildet das zweite Canticum des Lukasevangeliums, der Lobgesang Marias, das "Magnificat". "Meine Seele preist die Größe des Herrn", beginnt der Hymnus, den Maria anstimmt, als sie Elisabet im Bergland von Judäa besucht. Maria preist ihren Gott, der die Armen erhebt, die Niedrigen erhöht und sich der Schwachen und Hungernden erbarmt.
An das Magnificat schließen sich Fürbitten, das Vaterunser-Gebet und eine Oration an. Meistens wird am Ende der Vesper ein Marienlied, die sogenannte "Marianische Antiphon" gesungen. Entsprechend der Zeit des Kirchenjahres beginnt diese zum Beispiel mit den Worten "Alma redemptoris mater" ("Erhabene Mutter des Erlösers", Advent und Weihnachtszeit) oder "Salve Regina" ("Sei gegrüßt, o Königin", Jahreskreis).