Eine Analyse rechtskatholischer Internetseiten

Wer sind die Gegner von Papst Franziskus und was treibt sie an?

Veröffentlicht am 08.05.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Sie nennen Papst Franziskus einen Häretiker, formulieren rigide Moralvorstellungen und haben bisweilen apokalyptische Rachefantasien. Aber was treibt die Macher und Nutzer von einschlägigen Internetforen an, die sich selbst in der römisch-katholischen Kirche verorten? Eine Analyse.

  • Teilen:

Seit der Wahl von Papst Franziskus weht in der katholischen Kirche ein frischerer Wind: Offene Diskussionen sind wieder möglich, wo lange Zeit nur bleiernes Schweigen herrschte. Zugleich jedoch wird Papst Franziskus immer wieder von kleinen reaktionären Gruppen in einer Weise angegriffen, die sprachlos macht. Ihm wird unterstellt, was seit Jahrhunderten keinem Papst vorgeworfen wurde, dass er nämlich Irrlehren verbreite, ein "papa haereticus" sei und seine Reformen, Entscheidungen und Rundschreiben keinerlei Anerkennung verlangen könnten. Auf einschlägigen privaten Internetforen, die sich selbst in der römisch-katholischen Kirche verorten, werden diese Diskussionen geführt, im deutschsprachigen Raum ebenso wie in den USA und anderen Ländern. Auch aktuell kursiert eine Online-Petition, die Papst Franziskus zum Rücktritt auffordert. Besonderen Zuspruch und tatkräftige mediale Unterstützung erhalten diese Kreise aus dem Lager der politischen extremen Rechten, von AfD und neurechten Medien bis zu Steve Bannon.

Die aggressive, bisweilen in Verhöhnung entgleitende Papstschelte kommt ausgerechnet aus Milieus, die sich unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als die einzig "Papsttreuen" bezeichneten. Im Fokus der Vorwürfe gegen Papst Franziskus stehen das Schreiben "Amoris laetitia" (AL) und jede kleinste Veränderung der bisherigen kirchlichen Sexualmoral. Doch auch viele weitere Positionen des Papstes, etwa zu Migration, globaler Gerechtigkeit und Klimawandel, werden aufs Schärfste angegriffen und als "linksextrem" verhöhnt. Selbst der Aufruf zur altehrwürdigen christlichen Tugend der Barmherzigkeit ist diesen Kreisen ein viel gescholtener Dorn im Auge. Die Frage nach Lehre und Irrlehre, die auf den ersten Blick wie eine hochkomplizierte theologische wirken könnte, weist bei genauer Betrachtung vor allem auf zweierlei hin: auf eine kleine, aber aggressive fundamentalistisch-autoritäre Unterströmung innerhalb der römisch-katholischen Kirche und auf ein politisches Interesse am Kapern oder mindestens Spalten ebendieser Kirche durch Protagonisten aus dem Spektrum der politischen Rechten.

Wer sind die ehemals "papsttreuen" Franziskus-Gegner?

Analysiert man Internetforen, die Papst Franziskus in so harscher Weise anprangern, erhält man Aufschluss darüber, wie ihre Macher und User ticken. Viele, die sich in Kommentarspalten zu Wort melden (und tatsächlich freigeschaltet werden!), sind offenbar gebildet, verfassen problemlos längere strukturierte Texte, greifen auf antike Philosophen und Kirchenväter zurück, zitieren auf Latein. Geistige Einfalt, mangelnde Bildung und vermutlich auch prekäre Lebensverhältnisse scheinen nicht die Probleme dieser Personen zu sein. Männer, je nach Medium eher ältere, scheinen aber zu dominieren. Die Medien und ihre Nutzer zeigen zudem oft eine Nähe zu Parteien und politischen Gruppen rechts von CDU/CSU.

Trotz des Bildungsniveaus durchzieht eine starke Ablehnung wissenschaftlicher Theologie die Kommentare, die oft auch einem demokratischen Diskurs abgeneigt erscheinen. Religiöse Wahrheit, Gott und sein Wille, werden als fest umrissene Aussage und fixierbarer Besitz angesehen (man "hat die Wahrheit"), nicht als ein unsagbar viel Größeres, dem sich Menschen nur tastend annähern und ahnend anvertrauen können. Letztlich wird so die eigene menschlich-beschränkte Perspektive "verwechselt" mit der Perspektive Gottes – die eigene Position, die eigene Weltsicht wird identifiziert mit dem Willen Gottes. Insgesamt zeigt sich in diesem Milieu immer deutlicher eine umfassende Opposition gegen das Zweite Vatikanische Konzil, die auf ganzer Linie seine Beschlüsse und Reformen rückgängig machen und den kirchlichen Antimodernismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zur alleinigen verpflichtenden Form des römischen Katholizismus erheben will.

Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno.
Bild: ©picture-alliance / akg-images

Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno (1903-1969).

Auch Sprachstil und Darstellungsweisen der "franziskuskritischen" Internetforen weisen eine Reihe von Besonderheiten auf: eine extrem negative Sicht auf die Welt verbunden mit Empörung und Skandalberichten; eine starke verbale Abwertung Andersdenkender, die oft mit ihrem Lächerlichmachen einhergeht; die Formulierung rigider Moralvorstellungen, fast ausschließlich im Bereich der Sexualität, verbunden mit dem Ruf nach Zurechtweisung und harten Strafen. Es gibt ausgeprägte Strafgerichtsvorstellungen, bisweilen auch apokalyptische Rachefantasien, Verschwörungsrhetoriken – und eine ausgeprägte Polemik gegen Barmherzigkeit, liebevolle Gottesbilder oder kreative Formen religiöser Praxis.

Autoritarismus als Gewissens-Schwäche…

All das, was auf rechtskatholischen Medien zu beobachten ist, findet eine schlüssige psychologische Erklärung in den Studien Theodor W. Adornos zur "autoritären Persönlichkeit". In den 1940er Jahren, angesichts von Faschismus und Nationalsozialismus, erforschte Adorno die autoritäre antidemokratische Persönlichkeit und beschreibt sie vor allem über die Aspekte einer "autoritären Unterwürfigkeit" unter äußere Autoritäten und starre Normensysteme bei gleichzeitiger "autoritärer Aggression" gegenüber Menschen, die diese Normen zu übertreten wagen. Als weitere wichtige Merkmale beschreibt er eine starke "Abwehr des Subjektiven, des Phantasievollen, Sensiblen", Aberglaube und Stereotypie, Machtdenken und "Kraftmeierei", Destruktivität und Zynismus, die Neigung, "an wüste und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben", sowie die "Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt", verbunden mit einer Fixierung auf den Themenkomplex der Sexualität.

So machtvoll, stark und angsteinflößend autoritäre Menschen auch wirken und handeln (weshalb ihnen durchaus Einhalt geboten werden muss), so deutlich diagnostiziert Adorno eine ausgeprägte "Ich-" und "Gewissensschwäche" im Hintergrund. Autoritären Menschen mangelt es an Vertrauen ins eigene Denken, in die eigene Gefühlswelt und die eigene moralische Urteilsfähigkeit. Der Ersatz sind äußere Fixpunkte und vorgegebene Strukturen, starres Festhalten an Konventionen und Unterwürfigkeit unter als "moralisch" angesehene Autoritäten – seien es Gesetze, Dogmen, religiöse oder politische Führer.
Jeder Mensch, der sich nicht in gleichem Maße den selbstgewählten Autoritäten unterwirft, zeigt, dass man auch anders leben könnte, stellt somit die eigene Unterwerfung infrage. Die umgebende Welt wird als feindlich, böse, unmoralisch wahrgenommen, gegebenenfalls auch als durch Verschwörung unterwandert, sodass man sich ihr gegenüber wappnen und erwehren müsse. Zur Orientierung bedarf es klarer Hierarchien und eindeutiger Zuordnungen zu den Polen "gut" oder "böse". Weil auch dem eigenen Innenleben nicht vertraut werden kann, wird alles Kritisch-Nachdenkliche und Innerlich-Emotionale abgewehrt und abgewertet.

… und als Grund der Franziskus-Gegnerschaft

So werden die unterschiedlichen von Franziskus-Gegnern bekämpften Aspekte der Theologie und des Handelns von Papst Franziskus plausibel. Gläubige mit einer autoritären Persönlichkeitsstruktur fordern die strikte Einhaltung als unveränderlich und ewig behaupteter Regeln, Normen und Dogmen, um so ihre innere Gewissens- und Ich-Schwäche durch ein äußeres Regelgerüst auszugleichen. Der Gedanke einer Barmherzigkeit, die unverdient geschenkt wird, unterminiert jedoch starres Regeldenken. Außerdem erfordert sie Mitgefühl – und berührt damit das "Minenfeld" des Emotionalen, das angstvoll gemieden wird. Warum insbesondere veränderte Akzentsetzungen im Bereich der Sexualmoral als besonders bedrohlich empfunden werden, erklärt sich mit Adorno durch die Bedeutung, die der projektive Umgang mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen hat.

Steve Bannon, ehemaliger Chefstratege von US-Präsident Donald Trump.
Bild: ©picture alliance / AP Photo / Mary Schwalm

Steve Bannon, der ehemalige Chefstratege von US-Präsident Donald Trump.

Die vehemente Ablehnung moderner wissenschaftlicher Theologie ebenso wie des ökumenischen und interreligiösen Dialogs erklären sich als Abwehr der Verunsicherung, die durch jede Vielfalt möglicher Perspektiven und durch die Anerkennung Andersdenkender als gleichwertige Gesprächspartner entsteht. Theologisches Denken in Beziehungen und Kontexten – kontextuelle Theologien wie die Befreiungstheologien, aber auch soziale und sozialethische Überlegungen – werden als "Relativismus" verworfen. Religion soll in dieser Perspektive vor allem der inneren psychischen Stabilisierung durch einen klar strukturierten Wertekosmos "ewiger" Ideen dienen und das Augenmerk gerade nicht auf die Ambivalenz der Welt richten.

Überall da, wo Papst Franziskus (oder andere Theologen und Theologinnen) seelsorglich, kontext- und situationsbezogen argumentieren, Ermessensspielräume eröffnen oder das persönliche Gewissen stärken und zu religiösen Reifungsprozess herausfordern, bekommen Gläubige mit einer autoritären Persönlichkeitsstruktur ihre eigenen Probleme im Umgang mit moralischen Dilemmata und ihre Gewissensschwäche zu spüren.

Vom Papst als Autoritätsperson erwarten diese Gläubigen, dass er ihren autoritären Umgang mit Normen bestätigt, als Garant ihres Normengerüsts auftritt, rigide religiöse Vorstellungen kirchenpolitisch durchsetzt und sie kraft seines Amtes für alle verbindlich macht. Da Papst Franziskus autoritäre Erwartungen bewusst enttäuscht, diskreditiert er sich nicht nur als Objekt autoritärer Unterwürfigkeit. Vielmehr zieht er ob seiner Weigerung, der ihm zugedachten Rolle gerecht zu werden, doppelten Zorn auf sich: die "autoritäre Aggression" gegen ihn als einem "Regelübertreter", der Ausnahmen zulässt, und die Wut darüber, dass das eigene starre Normengerüst nun ohne den Papst als Garanten auskommen muss.

Gefahr für Kirche und Gesellschaft

Autoritarismus in der von Theodor W. Adorno beschriebenen Form hat ein großes Erklärungspotenzial, wenn es darum geht, antimodernistische und fundamentalistische Grüppchen und Strömungen, aber auch problematische Strukturen, Denk- und Handlungstraditionen innerhalb der Kirche zu beschreiben und ihre destruktiven Dynamiken zu verstehen. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung sowie bei spirituellem Missbrauch wird derzeit die Bedeutung autoritärer Strukturen der Kirche problematisiert. Ebenso gilt Autoritarismus als zentrale Kategorie zur Erklärung rechtspopulistischer und rechtsextremer politischer Einstellungen. Dies erklärt die Nähe, die vielfach zwischen religiös autoritären und politisch rechten Kreise besteht. Und es verdeutlicht die Gefahr, die für Kirche und Gesellschaft von autoritär strukturierten Gruppen ausgehen kann. Kirchenpolitisch ergibt sich daraus das Erfordernis einer klaren Absage an Rechtspopulismus und rechtsextreme Menschenfeindlichkeit ebenso wie an die Dominanz autoritär strukturierter Gruppen und ihres Gedankenguts innerhalb der Kirche.

Von Sonja Strube

Die Autorin

Sonja Strube ist Privatdozentin für Praktische Theologie/Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie der Uni Osnabrück und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft". Zum Themenbereich Rechtspopulismus und Kirchen forscht und veröffentlicht sie seit 2011. Der Artikel basiert auf ihren Analysen in "Widerstand gegen Papst Franziskus und seine Reformen: Empirische Beobachtungen am Beispiel der Internetseite kath.net" (ET-Studies 1/2018, 27-50).