Zum Brief an die deutschen Katholiken

Warum sich der Papst jetzt einmischt

Veröffentlicht am 01.07.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Papstbrief ziele ins Herz des deutschen Katholizismus, analysiert Abtpräses Jeremias Schröder. Franziskus befürchte, dass es beim "synodalen Weg" mehr um perfekte Struktur und Organisation statt geistliche Erneuerung gehe. Partei für ein bestimmtes Lager ergreife der Pontifex aber nicht.

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Obwohl der Papstbrief an die deutschen Katholiken am 29. Juni, dem Hochfest der Apostelfürsten, erschienen ist, kommt der heilige Petrus nicht darin vor. Das ist insofern von Bedeutung, weil man bei römischen Synoden die Beteuerung, dass man "mit Petrus und unter Petrus" unterwegs sei, bis zum Überdruss hören kann, gerne auch auf Latein. Ein Großteil der deutschen Hörer hätte sich über diese Formel wohl nicht gefreut, und so blieb sie uns erspart. Erspart blieb uns auch manches andere, was bei der Vorankündigung dieses Briefes befürchtet worden war. Papst Franziskus gibt keine Denk- oder Redeverbote; es werden auch keine Themen ausgeklammert oder mit Warnzeichen versehen.

Die Ankündigung des "synodalen Wegs" der katholischen Kirche in Deutschland ist ja nicht überall nur mit Begeisterung aufgenommen worden. Ich selber erinnere mich, wie vor einigen Jahren die Einladung zum Dialogprozess zur Zukunft der deutschen Kirche unter den Ordensoberen wie saures Bier weitergereicht wurde – nicht so sehr aus ideologischen Gründen, sondern eher aus der Befürchtung heraus, dass da in den Mühlen des deutschen Tagungskatholizismus wieder viel Zeit zermahlen wird, ohne dass man hinterher ein brauchbares Schwarzbrot in die Hand bekäme.

Beneditkiner Jeremias Schröder, Abtpräses der Erzabtei Sankt Ottilien.
Bild: ©KNA

Jeremias Schröder ist Abtpräses der Benediktinerkongregation von Sankt Ottilien.

Wer mit so einem Vorverständnis an den Brief vom Samstag herangeht, der wird überrascht werden. Denn der Papst macht einem geradezu Lust auf einen "synodalen Weg", wenn der wirklich eine geistliche Gestalt bekommt, das heißt von einer Offenheit gegenüber dem Heiligen Geist getragen wird.

Aber der Papst hat diesen Brief natürlich nicht nur geschrieben, um die deutschen Katholiken zu motivieren. Zwei oder drei Besorgnisse trägt er auch im Herzen, und die lässt er deutlich durchblicken. Sie haben aber interessanterweise nichts mit den befürchteten heißen Themen oder denkbaren unverträglichen Beschlüssen zu tun. Der Papst zielt mit seiner größten Sorge vielmehr ins geheime Herz des deutschen Katholizimus: er befürchtet, dass wir uns hierzulande allzu sehr von Fragen der Strukturen und der Organisation leiten lassen. Dahinter macht er einen verhaltenen Pelagianismus aus, das heißt den Irrglauben, wir könnten aus eigener Kraft alles wieder hinbekommen und zurechtorganisieren. Und was er da sagt, ist ja nicht falsch: die übliche Antwort auf den Glaubensverfall in unserer Heimat sind Strukturreformen. Da steckt etwas vom deutschen Ingenieur drin, dem bekanntlich nichts zu schwör ist – und dieser Glaube an die Beherrschbarkeit von allen Dingen lässt in den Augen des Papstes nicht genug Platz für Gnade.

Die unverkennbare Handschrift des Papstes

Papst Franziskus kommt aus einer sehr anderen Kultur. Er legt uns sehr ans Herz, Spannungen und Hinfälligkeiten auszuhalten, und im Unvollkommenen und Zerbrechlichen die Spuren der Gnade im Alltag auszumachen, die er "zerstreute Heiligkeit" nennt. Unser deutscher Synodenweg soll den Wirklichkeiten ins Auge schauen, aber er soll auch mit großer Geduld begangen werden. Einfache Antworten werden’s nicht richten, meint er.

Dabei merkt man deutlich, wie Papst Franziskus gerade nicht dem einen oder anderen vermuteten Lager nach dem Mund reden will. Er karikiert die Versuchung, dass scheinbar alles wieder ins Lot kommt, wenn eine "'ganz bestimmte‘ neue oder alte Ordnung etabliert wird, die dann die Spannungen beendet, die unserem Mensch-Sein zu eigen sind und die das Evangelium hervorrufen will." Eine Rückkehr in die Vergangenheit oder ein Durchpreschen in die Zukunft werden‘s nicht bringen. In einer Fußnote weist er ähnlich ausgleichend auf die falschen Alternative hin, dass man entweder unbedingt Erfolg haben wolle oder das Scheitern zum Beweis der eigenen Opferrolle mache. Überhaupt die Fußnoten: neben den üblichen Zitaten aus eigenen und anderen Schriften gibt es ein paarmal kleine Ergänzungen, in denen man wohl ganz persönliche Gedanken erkennen darf, die dem Heiligen Vater nach der Schlussredaktion noch gekommen sind. Aber auch sonst tragen viele Abschnitte die unverkennbare Handschrift des Papstes: dieser Brief ist in seinem Kern sicher nicht nur von ein paar Kurienmitarbeitern oder unzufriedenen Bischöfen souffliert worden.

Linktipp: Papst Franziskus unterstützt deutsche Katholiken beim "synodalen Weg"

Papst Franziskus hat einen Brief an die Gläubigen in Deutschland geschrieben. Thema: Der "synodale Weg". Unter anderem bittet er die Deutschen darin, sich nicht von der Weltkirche zu entfernen. Bischöfe und Laien hierzulande sehen sich in ihrem Weg dennoch ermutigt.

Neben der Warnung vor dem technokratischen Machbarkeitsglauben gibt es in diesem Brief noch eine zweite Mahnung: der Hinweis auf die Weltkirche, und auf die Wahrung der Einheit mit ihr. Das ist ja nun häufig genug ein Totschlagargument gegen jedwede Reformbestrebung. Vielleicht deshalb nutzt Papst Franziskus dieses Motiv mit einer gewissen Zurückhaltung. Aber es ist ihm doch ein wichtiges Anliegen, dass der deutsche Synodenweg nicht in Abgeschiedenheit gegangen wird, sondern im Wissen und in der Gemeinschaft mit den anderen Teilkirchen und mit der Weltkirche. Dabei spricht Papst Franziskus allerdings an keiner Stelle vom Petrusamt oder der römischen Kurie als Garant dieser Weltkirchlichkeit. Vielmehr erwähnt er auch hier wieder die Peripherie, und meint ganz ausdrücklich, dass die Einfachen und Kleinen Raum und Gehör finden sollen. In diese Mahnung steckt für mich sogar der konkreteste Vorschlag des Papstes für den synodalen Prozess: "Ihr braucht keinen vatikanischen Kommissar, aber ein paar Teilnehmer von den Rändern der Erde würden Euch vielleicht guttun." (Meine Worte.)

Brüder, die immer zusammenstehen müssen

Der Papst  berührt auch die Frage der Einheit innerhalb der deutschen Kirche. Debatten und Meinungsverschiedenheiten gehören zum Prozess dazu, meint er. Und einfache Auflösungen dafür wird es wohl nicht geben, das gehört zu den Dingen, die wir aushalten müssen. Aber der Weg ist dennoch gemeinsam zu gehen, "als apostolische Körper", wie er etwas sperrig schreibt. Und er bekräftigt das mit einem argentinischen Sprichwort über Brüder, die immer zusammenstehen müssen. Wen er da wohl im Blick hat?

Ein Detail gegen Schluss des Briefes hat mich überrumpelt. Neben Bekehrung und Gebet empfiehlt der Papst auch, diesen Weg mit Fasten zu begleiten. Fasten steht ja bei uns nicht so hoch im Kurs, es sei denn um der Schönheit willen. Aber nach dem Lesen der ersten Reaktionen, die nach diesem Brief heraustrompetet wurden, kam mir der Gedanke, dass ein vorübergehendes Social Media-Fasten vielleicht wirklich eine gute Idee wäre, um diesen Synodenweg gut zu beginnen. Das echte Fasten bei Brot-und-Wasser aber natürlich auch. Wenn’s soweit ist, mache ich gerne mit.

Von Jeremias Schröder OSB

Der Autor

Jeremias Schröder OSB ist Abtpräses der Benediktinerkongregation von St. Ottilien.