Patrick Kaesberg ist lieber Priester als Fußballprofi
Ziel erreicht! Patrick Kaesberg hat gerade das Abitur geschafft, da verpflichtet ihn auch schon der SV Darmstadt 98 als Fußballer für die Erste Mannschaft. Er zieht mit 19 von zuhause aus, verdient ab sofort mit dem Sport seinen Lebensunterhalt. Endlich kann er nur noch Fußball spielen. So, wie er es sich seit Kindestagen an gewünscht hatte. Ziel erreicht?
Heute ist Patrick Kaesberg 32 Jahre alt und beginnt seine erste Stelle als Vikar im Erzbistum Paderborn. Der Priester spricht darüber, dass der Profifußball eine eigene Welt sei. "Viele sind bereit, andere mit den Ellenbogen an die Seite zu schieben", sagt er. Und: "Karriere, Sex, Geld und Macht – das liegt alles wie auf dem Präsentierteller vor dir da. Ich habe gespürt, dass das letztendlich nicht glücklich macht." Als Kaesberg an seinem lange erträumten Ziel angekommen war, wollte er dort nicht bleiben. Die Erkenntnis, die der Anfang des Wegs "in die andere Richtung" war, wie er sagt. In Richtung Priestertum.
"Das Wichtigste am Tag war immer, dass abends Fußball war"
So wie viele Kinder und Jugendliche hatte Patrick Kaesberg als Schüler nur ein Ziel: Fußballprofi zu werden. "Das Wichtigste am Tag war immer, dass abends Fußball war", sagt er. Sogar Klassenfahrten habe er abgesagt, um am Wochenende bei Spielen aufzulaufen. In der Jugend spielt er für Paderborn 07 und Arminia Bielefeld und tritt gegen Borussia Dortmund und Schalke 04 an. Dann schafft er den Sprung zum Vertragsspieler bei Darmstadt 98. "So schlecht war ich halt nicht", begründet er mit ostwestfälischer Unaufgeregtheit.
Doch Fußball und Glaube waren für Patrick Kaesberg immer zwei getrennte Welten. Seine Teamkollegen hätten gewusst, dass er gläubig sei und in die Kirche gehe. Manchmal seien Mitspieler mit in die Messe gekommen. Andere hätten ihn dafür belächelt. In der Kabine in der Bibel gelesen oder gebetet habe er aber nicht. Ohnehin habe Gott nicht viel damit zu tun, ob eine Mannschaft gewinnt oder verliert. Andersherum habe er jedoch durch den Fußball – einer Branche, in der es immer jemanden gebe, der einen schlechtrede – gelernt, zu sich und damit auch seinem Glauben zu stehen.
Das tut er nun voll und ganz. Im Juni wurde er zum Priester geweiht. Eine Entscheidung fürs Leben. Seine zweite Sonntagsmesse als Priester feiert Patrick Kaesberg bei einem Nightfever-Abend im westfälischen Wallfahrtsort Werl. Vier Priester, zwanzig Messdiener, die Messe ist gut besucht. Die Decke und die gotischen Säulen der Propsteikirche werden mit blauen, grünen und gelben Strahlern gefärbt. Kaesberg ist Hauptzelebrant. Aufregung merkt man ihm nicht an. Der Priester gibt zu, dass er während der Weiheexerzitien täglich mit dem Messbuch draußen im Grünen geübt hat.
Kaesberg predigt über die Dreifaltigkeit Gottes. Über Gott Vater als Schöpfer, über den wir staunen können und anhand dessen wir uns als kleinen Teil seiner Schöpfung betrachten sollten. Über Jesus, der uns Menschen seine Liebe anbietet und dem wir nicht nicht antworten können. Und über den Heiligen Geist, der durch die Kirche wirkt. Kaesberg spricht frei und im selben Ton wie in einer persönlichen Unterhaltung: etwas nuschelig und vor allem schnell. "Ich bin ein Typ, der Vieles schnell macht, in einer hohen Geschwindigkeit durchs Leben geht und aufpassen muss, nicht zu übertreiben", sagt er über sich selbst. In seiner Predigt lässt er keine Kunstpausen, gibt dem Zuhörer wenig Zeit, die Gedanken kreisen zu lassen. Und doch bleiben seine Sätze hängen. Zum Beispiel dieser: "Dass es die Kirche überhaupt noch gibt, ist der größte Gottesbeweis." Er nennt die vielen unglaublichen Missstände, die in zwei Jahrtausenden jedoch nie dazu geführt hätten, dass die Kirche "gecrasht" sei. "Wäre die Kirche ein Wirtschaftsunternehmen", so Kaesberg, "hätte es in jedem Jahrhundert Gründe gegeben, Insolvenz anzumelden."
Ihn fasziniert das Katholische im eigentlichen Sinne
Er spricht – wie so viele Menschen heutzutage – über die Probleme der Kirche. Doch was fasziniert ihn an ihr? "Das Katholische im eigentlichen Sinne – das Weltumspannende", antwortet Kaesberg. Er berichtet davon, wie er als Praktikant in Kapstadt morgens um sieben Uhr in eine Messe ging und sich zuhause fühlte. "Wenn eine Unternehmensberatung fragen würde, was das Alleinstellungsmerkmal der Kirche ist, würde sie herausfinden: Ihr feiert überall auf der Welt das Gleiche, das ist ja unfassbar." Bei diesem Vergleich spricht nicht nur der Priester in Patrick Kaesberg, sondern auch der ehemalige BWL-Student.
Nach zwei Jahren Vollzeit-Fußball wechselte er in die Oberliga. Dank stattlicher Siegprämien war das Gehalt höher als zuvor, doch stand er vor der Frage: Was werde ich, wenn nicht Fußballprofi? Er entschied sich für ein BWL-Studium an einer privaten Fachhochschule. Nicht, weil ihn das Fach so interessiert habe, sondern weil das Studium viele Praktika einschloss. In viele Berufe reinschnuppern und hinterher wissen, welcher der Richtige ist – so lautete die Devise. Doch nach jedem Praktikum habe er gewusst: "Das kann ich nicht vierzig Jahre lang machen. Es muss doch mehr geben."
Dass dieses "Mehr" das Priestertum bedeutet, war eine schrittweise Entwicklung, gegen die er sich innerlich lange wehrte. Erst sei ihm klargewesen, dass er "etwas Sinnvolles" machen wolle. Dann war sein Ziel, "für das Reich Gottes zu arbeiten". Immer öfter hatte er dann das Gefühl, dass Jesus an seiner Tür anklopft und ihn zum Priestertum berufen möchte. Seine Reaktion: "Wie, ich? Klopf mal woanders! Es gibt genug andere, die Du fragen kannst". So habe er den Gedanken, Priester zu werden, weggeschoben. Doch er kam immer wieder. Zum Ende des BWL-Studiums fiel der Entschluss, ins Paderborner Priesterseminar einzutreten. Kaesberg rekonstruiert seine Gefühlslage so: "Ich hatte immer noch die Freiheit, 'Nein' zu sagen. Gott ist die Liebe, glauben wir Christen, und Liebe ist immer frei. Aber ich habe gespürt: Wenn ich das nicht mache, dann werde ich zurückschauen und es bereuen, weil ich verstanden hatte, was los war."
Wenn Kaesberg heute darüber spricht, was seine Berufung genau ist, fängt er damit an, dass alle Menschen die gemeinsame Sehnsucht nach einem gelingenden Leben hätten. "Und ich bin überzeugt davon, dass man dazu findet, wenn man Jesus Christus kennenlernt. Das habe ich erlebt, das würde ich gern weitergeben und Menschen einladen, auf diesem Weg mitzugehen", sagt er.
Bekannt als der Fußball-Priester
So fängt er nun seine erste Stelle als Vikar an – im Pastoralverbund Netpherland im Kreis Siegen-Wittgenstein. Er freue sich darauf, Messen zu feiern, die Beichte abzunehmen und somit "richtig arbeiten zu dürfen". "Wenn wir nicht glauben würden, dass das Heil durch die Sakramente bewirkt wird, dann bräuchten wir keine Priester", begründet Kaesberg. Für ihn sei es noch etwas verrückt, dass er jetzt die Sakramente spende. "Ich stehe jetzt da, bin irgendwie derselbe wie vorher und irgendwie auch nicht. Wenn ich bei der Beichte sage, dass die Sünden vergeben sind, dann spricht Christus durch mich. Das ist etwas, an das man sich nicht gewöhnen kann und vielleicht auch nicht gewöhnen sollte."
Woran er sich jedoch schon gewöhnt hat: dass seine Vorgeschichte als Fußballer bekannt ist. Dass er der Fußball-Priester ist. Als Diakon arbeitete Kaesberg in Dortmund am Phönixsee und wurde häufig darauf angesprochen. "Das war immer ein super Türöffner", sagt er. "Man war direkt mit den Leuten im Gespräch." Er berichtet davon, wie sehr das Leben in der Stadt von Borussia Dortmund geprägt sei. Bei manchen auch in einer Intensität, die er für "nicht mehr ganz gesund" hält. In der Zeit in Dortmund sei er öfter gefragt worden, warum er seine Karriere als Fußballer aufgegeben habe. "Wie kannst du jetzt Priester werden, bist du verrückt?", sei eine Frage gewesen. Als Reaktion darauf habe er schmunzeln müssen. Er sagt: "Ich denke, dass es jetzt so besser ist."