Standpunkt

Ist das Thema "Neuevangelisierung" nur ein Ablenkungsmanöver?

Veröffentlicht am 04.09.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Foren für den "synodalen Weg" stehen eigentlich fest. Doch auf einmal mehren sich Stimmen, die sich auch das Thema "Neuevangelisierung" auf der Agenda wünschen. Aber schon der Begriff ist problematisch, meint Björn Odendahl.

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Die vier Foren des "synodalen Wegs" stehen schon länger fest. Gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wollen die deutschen Bischöfe über Macht, Sexualmoral, Zölibat und die Rolle der Frau in der Kirche sprechen – und am Ende im Idealfall verbindliche Reformen präsentieren. Doch kurz vor dem offiziellen Startschuss mehren sich die Stimmen – etwa von "Maria 1.0", aber auch von einigen Theologen –, dass ein wichtiges, wenn nicht sogar DAS wichtigste Thema auf der Agenda fehle: die "Neuevangelisierung".

Was erst einmal wie die ernsthafte Sorge darum aussieht, den "synodalen Weg" um eine geistliche Dimension zu erweitern, ist in Wirklichkeit allerdings eher ein Ablenkungsmanöver. Schließlich erscheinen die allzu weltlichen Strukturfragen – egal ob Zölibat oder Frauenweihe – als beinahe unbedeutend, rückt man das fast schon prophetische Verkünden des Wortes Gottes in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Doch schon der Begriff Neuevangelisierung ist problematisch, wie etwa die Definition von Kardinal Paul Josef Cordes (LThK) zeigt. Ihr Ziel sei es, "der im Säkularismus ermüdeten Christenheit den exemplarischen Eifer des Apostel Paulus neu zu vermitteln". Genau dieses konstruierte Gegenüber von der Kirche als "societas perfecta", die sich eigentlich selbst nicht verändern muss, und der als defizitär empfundenen, säkularen Gesellschaft hat viele der kirchlichen Probleme von heute überhaupt erst begünstigt und den Bedeutungsverlust von Kirche beschleunigt.

Hinzu kommt, dass das "Wie" der Neuevangelisierung stets abstrakt bleibt. Wer soll hier wen "neuevangelisieren"? Und was meint "neu"? Was passiert denn aktuell in den Katechesen, Jugendkirchen, bei Night-Fever und in den Tausenden Gottesdiensten in Deutschland?

Ja, über den Glauben zu sprechen oder – noch besser – ihn zu leben, wird auch künftig die große Herausforderung der Christen sein. Das war sie aber schon immer und hat deshalb erst einmal nichts auf einem "synodalen Weg" zu suchen, der die Antwort auf einen Missbrauchsskandal sein soll. Die Kirche muss Vertrauen zurückgewinnen, die Risikofaktoren für Missbrauch minimieren und dafür sorgen, dass sich die Gläubigen auch im 21. Jahrhundert mit ihr identifizieren. Wenn sie das Evangelium künftig in Deutschland noch glaubhaft verkünden will, braucht die Kirche deshalb zuallererst Reformen – und zwar bald.

Von Björn Odendahl

Der Autor

Björn Odendahl ist Chef vom Dienst bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.