John Henry Newman – ein heiliger Unruhestifter
"Ihre Gemeinschaft ist von der Häresie angesteckt, wir müssen uns davor hüten wie vor der Pest." Mit diesen Worten beschrieb der anglikanische Theologe John Henry Newman 1833 die katholische Kirche. Knapp 190 Jahre später wird er von Papst Franziskus heiliggesprochen – als Katholik. "Die Heiligsprechung ist die Anerkennung eines großen Unruhestifters", sagt Roman Siebenrock. Er ist Vorsitzender der Internationalen Deutschen Newman Gesellschaft und Professor für systematische Theologie an der Universität Innsbruck. Newman habe das System der Kirche nicht unterstützt, sagt er. Er führte ein Leben zwischen Anerkennung und Ablehnung.
1801 in London geboren und in einem wohlhabenden anglikanischen Elternhaus aufgewachsen, zeigte John Henry Newman früh seine Begeisterung für Bildung und Wissenschaft. Er galt als fleißiger Schüler. Als er mit 15 Jahren das Buch "Die Macht der Wahrheit" von Thomas Scott las, erlebte er eine "erste Bekehrung", wie er es selbst später nannte. Er erkannte für sich die Bedeutung des Gewissens als unmittelbare Stimme Gottes. "Erst das Gewissen und dann der Papst", lautete später ein berühmter Spruch von ihm. Die Suche nach Gott und der Wahrheit des Glaubens bestimmte daraufhin sein Leben.
Bereits mit 16 Jahren begann Newman ein anglikanisches Theologiestudium in Oxford, drei Jahre später machte er seine Abschlussprüfung und wurde bald darauf Professor. Gleichzeitig entschloss er sich, Priester zu werden. 1825 wurde er in Oxford geweiht, drei Jahre später wurde er Pfarrer an der Universitätskirche und predigte dort vor Studenten und Professoren.
Versuchte Reform und Konversion
Gleichzeitig begann er, die Texte der Kirchenväter zu lesen. Die Lektüre begeisterte und erfüllte ihn so sehr, dass er zusammen mit anderen anglikanischen Geistlichen 1833 die sogenannte Oxford-Bewegung ins Leben rief. Sie wollten die anglikanische Kirche reformieren. Newman war der Ansicht, dass diese ein Kompromiss zwischen Protestantismus und Katholizismus sein sollte: Dem Protestantismus warf er vor, die Wahrheit der urchristlichen Kirche verworfen zu haben, am Katholizismus kritisierte er, sich durch Zusätze und Irrtümer von der urchristlichen Kirche entfernt zu haben. Dafür erntete er die Kritik der anglikanischen Bischöfe. Er zog sich nach Littlemore zurück.
Nach langem inneren Gebet und Kampf legte Newman sein anglikanisches Pfarramt nieder und konvertierte schließlich am 9. Oktober 1845 mit 44 Jahren zur katholischen Kirche. "Die Väter haben mich katholisch gemacht und ich werde die Leiter nicht mehr zurückstoßen, auf der ich in die Kirche hineingestiegen bin", schrieb Newman später über sein Studium der Kirchenväter. Für Roman Siebenrock ist Newmans Ideal von Theologie ein offener Diskurs über die Lehre der Kirchenväter. "Er sagt sogar: Theologen brauchen Ellenbogenfreiheit, damit sie in dieser Situation etwas entwickeln können", so Siebenrock.
Newmans Konversion war umstritten. Viele Anglikaner betrachteten ihn als Verräter. Seine eigene Schwester soll nie wieder ein Wort mit ihm gesprochen haben. Newman selbst ging für ein theologisches Studium nach Rom. 1847 wurde er dort erneut zum Priester geweiht – diesmal katholisch. Kurz darauf trat er dem Oratorium bei, eine von Philipp Neri gegründete Kongregation. Newman gründete das erste englische Oratorium und setzte sich für das Glaubenswissen und das Selbstbewusstsein katholischer Laien in seiner Heimat ein. Das waren seinerzeit vor allem arme irische Arbeiter. Er selbst formulierte es einmal so: "Ich möchte, dass der denkende Laie religiös sei und der fromme Geistliche ein denkender Mensch." Dieser Einsatz für die Laien führte schließlich zum Streit und Zerwürfnis mit seinen Mitbrüdern des Oratoriums.
Aufgrund seiner Begeisterung für die Wissenschaft wurde Newman daraufhin von den irischen Bischöfen mit der Gründung der ersten katholischen Universität in Dublin beauftragt und wurde ab 1851 für sieben Jahre deren erster Rektor. Weil er aber auch dort Laien in den Professorenstab aufnehmen wollte, kam es aber zu Spannungen mit den Bischöfen und zu Häresievorwürfen.
Durch sein 1864 erschienenes Buch "Die Geschichte meiner religiösen Überzeugung" erhielt Newman bei Katholiken und Anglikanern wieder Ansehen, da die Engländer wieder von seinem Glauben überzeugt waren. Im Buch zeigt Newman seinen Weg zum Katholizismus und wie Gottes Licht ihn geleitet hat. Heute wird es bisweilen in einem Atemzug mit den "Bekenntnissen" des heiligen Augustinus genannt. Newman gilt als bedeutender Akademiker und Literat. So schrieb er unter anderem den Text für den im englischsprachigen Raum bekannten Hymnus "Lead kindly light" und seine Schriften beeinflussten selbst die Mitglieder der Weißen Rose ihn ihrem Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime: Der Newman-Übersetzer Theodor Haecker war ein wichtiger Mentor und Ideengeber der Gruppe.
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Auch andere Anerkennungen bekam Newman erst spät – aber immerhin noch zu Lebzeiten: 1877 zeichnete in seine geliebte ehemalige Universität in Oxford als Ehrenmitglied aus. Papst Leo XIII. adelte ihn zwei Jahre später: Obwohl er vorher kein Bischof war, wurde Newman 1879 in den Kardinalsstand erhoben. Ab 1886 schwächte sich Newmans Gesundheit. 1890 verstarb er im Haus der Oratorianer von Edgbaston, das er einst selbst gegründet hatte.
Einfach zu fassen sei Newman nicht, sagt Roman Siebenrock. Nicht einmal für sich selbst: "Vielleicht ist es ein Symptom für die Modernität dieses Menschen, dass wir aus Notizen ungefähr 30 bis 40 autobiographische Versuche von ihm kennen. Er muss sich also immer wieder vergewissern: Wer bin ich denn?", so der Theologe. "Der Prediger mit seinen unterschiedlichen Facetten und dass er eine überragende geistliche Persönlichkeit ist, steht außer Streit", betont er.
Auch Joseph Ratzinger ist großer Fan seiner Theologie. Als Glaubenspräfekt zählte er Newman Anfang der 1990er Jahre zu den "großen Lehrern der Kirche". 2010 sprach er als Papst Benedikt XVI. Newman selbst selig. Am 13. Oktober wird Newman in Rom nun heiliggesprochen.
Interessant ist der Zeitpunkt: Denn momentan findet im Vatikan die Amazonas-Synode statt. Schon im Vorfeld gab es die Befürchtung, dass mögliche Lockerungen und Reformen bei den Themen Amtsverständnis, Sexualmoral oder der Frauenfrage einen häretischen Traditionsbruch bewirken könnten. Solche Vorwürfe kennt auch Newman. Er sei "in unserer Kirche noch immer nicht ganz angekommen, wenn man so tut, als ob sich in unserer Kirche nichts ändern dürfe", sagt Roman Siebenrock. Er glaubt, Newman hätte die Synode unterstützt.