Erzbischof Gänswein fordert "Glaubensvertiefung" in Deutschland
Kurienerzbischof Georg Gänswein (63) warnt die katholischen Christen in Deutschland vor "Selbstmitleid" und mahnt eine "Glaubensvertiefung" an. "Selbstmitleid, Schimpfen auf andere, enttäuscht sein bringt gar nichts", sagte er am Donnerstagabend in Frankfurt am Main. Mit Blick auf mögliche strukturelle Reformen in der deutschen Kirche sagte er: "Wenn wir nicht mit der Glaubensvertiefung anfangen, laufen wir Gefahr, dass die Enttäuschung in zwei Jahren noch größer ist als heute." Wörtlich ergänzte er: "Wenn die Glaubenskraft der Kirche in Deutschland so groß ist wie die Finanzkraft, wäre alles in Ordnung." Es gebe kirchliche "Funktionäre" in Deutschland, die keine "innere Glaubensfreude" ausstrahlten.
Den Dokumentarfilm "Verteidiger des Glaubens" über den emeritierten Papst Benedikt XVI. und die Missbrauchskrise in der katholischen Kirche kritisierte Gänswein scharf. Auf die Frage von Journalisten, was er von dem Film des britisch-deutschen Regisseurs Christoph Röhl halte, sagte er: "Das ist eine Sauerei, ein Debakel - ich kann es nicht anders sagen." Die These des Films sei letztlich, dass Benedikt XVI. nicht Verteidiger des Glaubens, sondern Ursache des Missbrauchs sei. Er könne vor diesem "geschickt gemachten", "nicht objektiven", "miserablen" Film nur warnen, sagte Gänswein. Deutscher Kinostart des bereits uraufgeführten Films ist der 31. Oktober.
Gänswein äußerte sich vor Journalisten nach der Vorstellung seines Buches "Vom Nine-Eleven unseres Glaubens" (fe-medienverlag) im Haus des Deutschen Ordens. Zuvor hatte er ein Pontifikalamt in der Deutschordenskirche in Frankfurt gefeiert. Gänswein ist als Privatsekretär für den emeritierten Papst Benedikt XVI. (2005-2013) sowie als Präfekt des Päpstlichen Hauses für Papst Franziskus tätig.
Gänswein "eine der einflussreichsten Persönlichkeiten" der Weltkirche
Das Buch wurde von dem äthiopisch-deutschen Publizisten Prinz Asfa-Wossen Asserate (70) vorgestellt, dem Großneffen des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie. Im Vorwort des Buches nennt er den Erzbischof "eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der katholischen Weltkirche". Gänsweins Maxime sei es, "der Diktatur des Zeitgeists zu widerstehen und entschieden aus der Wahrheit des christlichen Glaubens heraus zu leben", so Asfa-Wossen Asserate. Die Frage nach der christlichen Wahrheit sei ein "roter Faden" im Leben von Benedikt XVI. und auch von Erzbischof Gänswein, so Asfa-Wossen Asserate. Darin sehe er auch die Motivation für die insgesamt 19 Predigten, Vorträge und Interviews aus den Jahren 2014 bis 2019, die in dem Buch gesammelt sind.
Der Buchtitel "Vom Nine-Eleven unseres Glaubens" bezieht sich auf eine in dem Band aufgeführte Äußerung Gänsweins von 2018, wonach die Missbrauchsskandale die katholische Kirche in ähnlichem Maß wie die Terrorattacken vom 11. September 2001 die USA erschüttert hätten.
Am Mittwoch hatte sich Gänswein gegenüber der "Tagespost" auch über die Ansichten Benedikts XVI. zur Lage der Kirche in Deutschland geäußert. Der emeritierte Papst liebe die Kirche des Landes, doch "vieles von dem, was er nun von dort erfährt und erlebt", schmerze ihn, sagte der Privatsekretär Benedikts. "Am meisten bedrückt ihn wohl jene Gottesfinsternis, von der er schon früh und warnend zu sprechen begonnen hat", erklärte Gänswein. Dass Benedikts Befürchtungen sich bestätigten, sei für ihn keine Genugtuung oder Trost – diesen finde der emeritierte Papst jedoch im Gebet für die Kirche seiner Heimat. (tmg/KNA)
18.10., 10:30 Uhr: Ergänzt um Absatz 2.