30 Jahre Mauerfall: Was die Kirche vom 9. November lernen kann
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Mit dem Jubiläum rücken die Bilder, Fernsehberichte und Zeitzeugen näher. Selbst Kardinal Marx und Bischof Feige wussten hier zu berichten, wie sie sich dank eines Hilfswerks regelmäßig treffen konnten, obwohl die Mauer noch stand. Ein Hoch auf jene wie den Leipziger Propst Gregor Giele, die den 9. November 1989 als Sahnehäubchen bezeichnen, aber zugleich darauf aufmerksam machen, dass die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung an vielen Orten in den Monaten zuvor keimte und sich Bahnen brach. Zugleich ist es mühselig, darüber zu streiten, wer letztlich die Friedliche Revolution zu verantworten hat. Die Ökumenische Versammlung, kirchliche Strukturen und ein Vertrauen, das nicht mit der Landesverfassung endet, gehören zur Wahrheit sicher dazu. Auch, dass die katholische Kirche sich damals mehr einbringen hätte können und sich ihre Helden nicht selten alleingelassen fühlten.
Was bleibt also – für uns als Kirchen – 30 Jahre danach, wenn wir die Geschichten von damals wieder aufwärmen und mit jedem Jubiläum stärker jene würdigen, die damals Mut hatten und Verantwortung übernahmen? Die Gefahr ist groß, dass mit jedem Jubiläum einerseits die Übersättigung steigt und andererseits die Wertschätzung des aufrechten Gangs inmitten der Willkür zum medialen Storytelling verkommt.
Stattdessen kann es der Kirche und dem Land etwas bringen, wenn ostdeutsche Erfahrungen für die Zukunft eine neue Bedeutung erlangen. Nicht aus Mitleid, sondern weil sie neue Perspektiven eröffnen. Es ist doch grandios, wenn die Europäische Bischofskonferenz den 9. November als historischen Moment versteht, den man fortschreibt, wenn man versteht, dass ein Miteinander voraussetzt, einander zuzuhören. Noch besser, den Gedanken fortzuführen und eine Synode für Europa anzudenken, wie es gestern Bischof Bode tat. Was aber, wenn es uns nicht mal als Kirche in Deutschland gelingt, auf adäquate Weise Erfahrungen aus Ost und West zusammen zu bringen, wie der Glaube künftig lebendig sein kann? Der Synodale Weg ist eine Chance, diese Kultur der Begegnung neu einzuüben. Immerhin hat das Ringen um Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden ebenso tiefe Wurzeln im Osten des Kontinents wie das Empfinden einer schmerzhaft klaffenden Lücke zwischen Lehre und eigener Lebenswirklichkeit. Anlass und Durchführung ließen sich mit diesen biografischen Erfahrungen anders im Horizont des Glaubens buchstabieren.
Der 9. November kann also zum Sahnehäubchen werden – für die Kirche von morgen: Lasst den Synodalen Weg mit zwei Lungen atmen, weil die Kirche in Deutschland diesen lebendigen Atem braucht. Der Dialog der Mentalitäten und Kulturen beginnt in unserem Land. Jetzt ist noch die Zeit dafür, für die Kirche in Europa ein Vorbild zu sein.