Kolumne: Mein Religionsunterricht

Ist Jesus zumutbar?

Veröffentlicht am 08.11.2019 um 16:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Trier ‐ Als Elisabeth Maximini-Kirchen in ihrer Klasse das Halbjahresthema "Jesus" vorgestellt hat, rollten die Schüler mit den Augen: Was soll ihnen das bringen? Auch wenn die Lehrerin diese Perspektive nachvollziehen kann – in ihrer Vorstellung wird ihnen das auf dem Weg zu mündigen Menschen nützen.

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Kolumnen und Unterricht haben für mich etwas gemeinsam: Nenne die richtigen Schlagwörter und ein Raunen ist dir sicher.

Glauben Sie nicht? Was haben Sie denn gedacht, als Sie die reißerische Überschrift gelesen haben? Haben Sie schon Bilder im Kopf und steigenden Puls?

Noch ein Beispiel: Ich nehme Sie dafür mit in meinen Religionsunterricht. 12. Klasse am Sozialen Gymnasium, Beginn des Schuljahrs. Mit meinen Schülern habe ich dieses Schlagwörter-Experiment nicht ganz freiwillig machen dürfen. Was ist geschehen? Ich habe unseren Fahrplan für das erste Halbjahr vorgestellt. Achtung, Schlagwörter: Jesus. Halbjahresthema. Klausurrelevant.

Glauben Sie mir. Das Raunen war mir gewiss. Augenrollen. Begeisterung sieht anders aus.

Manche Themen sind nunmal nicht "spannend"...

Ja, ich tue mir schon manchmal leid und meine Schüler mit mir. Es ist nicht immer "spannend", solche Themen zu machen. Aktuell steht übrigens auch noch in Deutsch "Emilia Galotti" auf dem Plan. Das hat zu ähnlichen Reaktionen geführt. Somit kann es also nicht nur am Fach liegen. Und jeder, der jetzt in begeistertes Fabulieren über die Lessing'sche Kritik in "der Emilia" oder die Tragweite der Bergpredigt ausbrechen will: Ja, sie haben vollkommen recht. Ich sehe das auch so. Ich persönlich finde beide Themen wichtig, kann daraus etwas für mich ziehen, sehe eine Relevanz für mein Leben und die Gesellschaft und möchte das anderen näherbringen.

Und dennoch verstehe ich meine Schüler und ihre Perspektive. Es ist eben auch totlangweilig, da erstmal Fakten, Hintergrundwissen und so weiter nötig sind. Es ist auch nicht immer möglich, eine aktuelle Situation zu finden, aus der ersichtlich wird, warum man das jetzt lernen sollte.

Bild: ©Steffen/Adveniat

Das Schüler einige Themen zunächst langweilig finden, kann Elisabeth Maximini-Kirche gut nachvollziehen.

Man muss doch nur das "Spannende" finden! Themen für heute sinnvoll nutzen… Kommen Sie schon! Das glauben wir uns doch selbst nicht. Machen Sie etwa freiwillig Ihre Steuererklärung? Oder noch schlimmer: Gehen Sie mit Freude zum Zahnarzt? Eben! Wir machen es erst dann, wenn wir einen Sinn dahinter sehen. Und der Sinn ist eben nicht immer sofort offensichtlich, sondern kommt manchmal erst dann, wenn der Zahn schmerzt. Oder der Stichtag kommt. Aber Moment. Das würde bedeuten, dass auch nur für einen Stichtag (Klausur!) gelernt wird. Das kann doch nicht das Ziel von Schule sein. Da muss es also mehr geben.

Es gibt Themen, die keinen direkten Nutzen für die aktuelle Lebenswelt zu haben scheinen. Die Forderungen, dass jedes Thema und jedes Fach unmittelbar "nutzbar" sein sollen, finde ich verkürzt und zudem gefährlich für unseren Bildungsanspruch.

Bildung kann "Infotainment" sein. Lernen darf Spaß machen. Das ist zum Glück in der modernen Pädagogik und Didaktik angekommen. Aber Bildung ist eben auch Selbstzweck und keine Instrumentalisierung à la "Was braucht ein Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt?", sondern auch: "Was braucht ein mündiger Mensch, etwa um Entscheidungen treffen zu können?"

Auf welches gemeinsames Wissen und welche Werte wollen wir uns dabei festlegen? Ich befürchte, dass der Anspruch, dass alles sofort nutzbar sein soll, genauso extrem ist, wie Bildungsinhalte, die man gefühlt nie wieder braucht. Das meine ich mit Verkürzung. Und eine solche wäre es, wenn es nur noch um die Klausur ginge.

Zurück zu Jesus. Ich frage mich, welche Inhalte wir als Bildungskanon festlegen möchten. Ich gebe darauf hier keine Antwort, denn ich finde, dass es Wert ist, sich darüber Gedanken zu machen und selbst auf Antwortsuche zu gehen.

"Die Rückkehr des verlorenen Sohns" von James Tissot, 1862
Bild: ©picture alliance / akg-images

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist ein beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte: Hier eine Darstellung der Rückkehr des verlorenen Sohns von James Tissot aus dem Jahr 1862.

Bleibt das Problem vom Anfang und die Reaktion, die ich in den Augen meiner Schüler abzulesen glaubte. Meine Lösung in diesem Fall: Die Mischung macht's.

Die Unterrichtsreihe war wirklich manchmal anstrengend. Aber in meiner Vorstellung wird das irgendwie, irgendwo, irgendwann etwas bringen. Gespickt war das mit Stunden, die provozierten und schon eher zu aktuell lebensweltlichen Erfahrung einluden. Etwa bei den Gleichnissen. Wie lesen wir heute den "verlorenen Sohn"? Hören wir da nicht eine eigene Angst vor dem Scheitern raus? Ist aus heutiger Sicht der andere Bruder verloren? Lesen wir es auch mal ganz profan als literarisches Zeugnis und begegnen dem Text somit von einer anderen Richtung. Oder die "Arbeiter im Weinberg"! Wie gerecht ist diese Lohnverteilung? Was könnte ohne eine Bedingung dem Menschen zuteilwerden? Talkshows zum Bedingungslosen Grundeinkommen lösen auch das ein oder andere Augenrollen aus – aber hier als Ausgangspunkt für eine hitzige Diskussion. Versuchen Sie das mal privat in Runden, in denen es Ihnen zu langweilig zugeht – der Abend ist gerettet!

Zumutung oder Zumuten?

Falls Sie bis hierher heruntergescrollt haben, weil Sie Antwort auf die Überschrift wollen: Ist Jesus zumutbar?

Er war noch nie zumutbar, glaube ich. Heute wie damals können seine Forderungen als Anmaßung und Respektlosigkeit verstanden werden, weil sie das kritisieren, was damals wie heute schief läuft. Etwa Liebe zu propagieren, wo doch mit Hass gehandelt wird. Es ist angenehmer zu hören, dass man alles richtig macht. Und dass unsere Welt gerecht sei. Wir sind ja nun mal eher die Gewinner im globalen Vergleich.

Kolumnen und Unterricht haben noch etwas gemeinsam, merke ich gerade: Manchmal bringt's mehr, Impulse (und Fragen) zu geben, als meine Antworten. Hier also Fragen zur Ausgangsfrage: Wollen wir denn in unserer Komfortzone bleiben? Und das den nächsten Generationen vermitteln? Oder ihnen zutrauen, sich etwas zuzumuten, was sie zum Nachdenken und Nachmachen motiviert?

Von Elisabeth Maximini-Kirchen

Die Autorin

Elisabeth Maximini-Kirchen ist Religionslehrerin an einer berufsbildenden Schule in Trier.

Linktipp: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

Wie funktioniert Religionsunterricht heute? Genau dieser Frage geht die neue katholisch.de-Kolumne nach. Lehrer verschiedener Schulformen berichten darin ganz persönlich, wie sie ihren Unterricht gestalten, damit sie die Jugend von heute noch erreichen.