Bernhard Letterhaus: Widerstand aus christlicher Überzeugung
Der Arbeiterführer und Widerstandskämpfer Bernhard Letterhaus zählte zu denjenigen, die aus christlicher Überzeugung und demokratischer Gesinnung bereit waren, Adolf Hitler die Stirn zu bieten. Der katholische Gewerkschaftsführer musste dies mit seinem Leben bezahlen. Am 14. November 1944 wurde er aufgrund seiner Mitwirkung und Mitwisserschaft des gescheiterten Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Letterhaus wurde am 10. Juli 1894 in Barmen geboren und wuchs mit zwei Brüdern in einfachen Verhältnissen in einer streng katholischen Familie auf. Sein Vater Johann Bernhard war in Barmen Schumacher und Lebensmittelgeschäftsinhaber. Das Wuppertal mit seiner Textilindustrie war geprägt von der typisch bergischen Industrialisierung: gepaart aus Heimarbeit und Fabrik. Dieses Umfeld bestimmte den beruflichen Werdegang von Letterhaus. Er begann eine Lehre als Bandwirker in einem Barmer Textilbetrieb und besuchte die Preußische Höhere Textilfachschule. Aufgrund seiner guten Leistungen wurde er Betriebsassistent in einer Maschinenfabrik. Er arbeitete als Textiltechniker. Zwischen 1914 bis 1918 war er Soldat im Ersten Weltkrieg und wurde mehrfach verwundet.
In den ersten Jahren der Weimarer Republik war Letterhaus hauptberuflich für die Zentrumspartei in Barmen als Parteisekretär tätig. Die Sympathie für das "Zentrum" ergab sich durch seine tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben – schon als Jugendlicher wollte er Priester werden, was ihm seine Eltern jedoch untersagten. Bereits 1919 galt er als große politische Hoffnung. Seit 1928 war er Abgeordneter im Rheinischen Provinziallandtag und im Preußischen Landtag. Er setzte sich für die Weimarer Demokratie ein und überzeugte mit seiner persönlichen Integrität und analytischen Schärfe. Im Landtag befasste er sich mit Wirtschaftsfragen und mit dem Problem eines modernen Strafvollzugs. Nicht für Rache und Abschreckung, sondern für Sühne und Erziehung setzte er sich ein und fand dafür gleichermaßen beim Zentrum wie bei der SPD Beifall. Letterhaus erkannte in der SPD den geeigneten Koalitionspartner, wenn er 1929 meinte: "Ohne die Sozialdemokratie in Deutschland regieren zu wollen, wäre eine Unmöglichkeit, und ein Regieren gegen sie eine politische Unklugheit." Zu Reichskanzler Heinrich Brüning entwickelte sich eine politische wie persönliche Freundschaft. 1932 wurde Letterhaus Mitglied des Fraktionsvorstands.
Christliche Vorstellungen gegen totalitäre NS-Ansprüche
Trotz seiner positiven Einstellung gegenüber der SPD in der politischen Praxis erkannte er gravierende Unterschiede zur sozialistischen Weltanschauung. Das christliche Menschenbild war für ihn unvereinbar mit den klassenkämpferischen Ansätzen und dem Atheismus der Sozialisten. Als Vizepräsident des Katholikentags 1930 stellte er fest: "Es gibt keine Brücke zwischen Christentum und Sozialismus, der nur von dieser Welt ist." Er sah eine gefährliche Nähe zwischen Sozialisten und Kommunisten, die mit dem päpstlichen Aufruf 1930 "Rom oder Moskau" im Grundsätzlichen unvereinbar war. Verurteilte Letterhaus einerseits den Kommunismus, misstraute er andererseits der politischen Rechten. Die Differenzen mit der NSDAP waren vorprogrammiert. 1930 warnte er hellsichtig: "Falsche Propheten mit einem Kreuz auf der Fahne, das aber nicht das Zeichen des Welterlösers ist, ziehen durch Städte und Dörfer. Sie verwüsten die Herzen des leidenden Volkes." Nur kurzzeitig unterschätzte Letterhaus die Nationalsozialisten als wirtschaftspolitische Laien, Demagogen und Erfüllungspolitiker, die von anderen Parteien hätten domestiziert werden können. "Rasch desillusionierte ihn die Erkenntnis, dass der christliche Anspruch auf Lebensgestaltung und Sinndeutung mit dem totalitären NS-Anspruch kollidierte", so die Historikerin Vera Bücker.
Wurde im Wuppertal der erste katholische Gesellenverein gegründet, sollte auch Letterhaus vom sozialkatholischen Umfeld her seine politische Orientierung finden. Er wurde zu einer führenden Persönlichkeit des deutschen Verbandskatholizismus. 1920 wechselte er zum Zentralverband christlicher Textilarbeiter nach Düsseldorf. Hier wirkte er für die christliche Gewerkschaftspresse. Abends besuchte er die Staatliche Fachschule für Wirtschaft. Die katholische Soziallehre sog er auf. Marktwirtschaft und Leistungsfähigkeit waren für ihn kein Widerspruch zur katholischen Soziallehre, wohl aber hatte das Wirtschaftssystem in erster Linie dem Menschen zu dienen.
Ein Herzensanliegen war ihm die Arbeiterbildung. Selbst Autodidakt, erachtete er Bildung als Grundvoraussetzung zur Lösung der "Arbeiterfrage". So verwundert es nicht, dass er 1927 von Otto Müller, Präses des "Westdeutschen Verbandes der Katholischen Arbeiterbewegung", zum Verbandssekretär in die Zentrale nach Mönchengladbach, seit 1929 im Kölner Ketteler-Haus, berufen wurde. Der neue Verbandssekretär erarbeitete Programme, verantwortete die Weiterbildung, hielt Vorträge und schulte die Arbeitersekretäre. International nahm er an Konferenzen katholischer Arbeitervereine teil. Zeitgleich wurde Nikolaus Groß Chefredakteur und Schriftleiter der einflussreichen "Westdeutschen Arbeiter-Zeitung", in der auch Letterhaus publizierte. Gemeinsam mit Präses Müller, Groß und dem Verbandsvorsitzenden Joseph Joos war Letterhaus faktisch verantwortlich für die Leitung der "Katholischen Arbeitnehmer Bewegung" (KAB). Gemeinsam sollten sie ab 1933/34 den Kern der konspirativen, christlich-sozialen Widerstandsgruppe "Kölner Kreis" bilden. "Niemand weiß von uns", meinte Letterhaus 1932, "wie lange noch Gelegenheit geboten ist, frei vor der Nation zu reden."
Offenes Unverständnis für das Reichskonkordat
Letterhaus erkannte bald das wahre Gesicht der NSDAP und Heinrich Brüning schätzte ihn als "Tapfersten und Unbeugsamsten", der die Lage am besten beurteile. Er handelte dabei aus christlichem Verantwortungsgefühl heraus und verurteilte die nationalsozialistische Grundhaltung. Sie lehne radikal und grundsätzlich die christliche Sittenlehre ab. Sein Engagement für einen öffentlich gelebten christlichen Glauben motivierte ihn zum Widerstand gegen das NS-System. Der Verbandssekretär lehnte entschieden das Ermächtigungsgesetz von 1933 ab und zeigte offen sein Unverständnis über den Abschluss des Reichskonkordats mit dem Vatikan. Die Verantwortlichen der katholischen Kirche kritisierte er scharf, da sie mit dem Abkommen die Aufwertung des Hitler-Regimes in Kauf nehmen würden. Die Enzyklika "Mit brennender Sorge" von 1937 begrüßte er dagegen ausdrücklich. Letterhaus setzte seine Hoffnung auf die katholischen Arbeitervereine. In ihnen erkannte er den Kern einer neuen demokratischen Zukunft.
Der "Kölner Kreis" wurde zum Sammelbecken derjenigen, die aus christlicher Überzeugung den Nationalsozialismus ablehnten. An den Diskussionen nahmen christliche Gewerkschaftler wie auch Mitglieder des Zentrums und der katholischen Verbände teil. Letterhaus vernetzte konfessionsübergreifend zivile und militärische Widerstandskreise. Über die christliche Arbeiterbewegung unterhielt er Kontakte zu Regimekritikern wie dem späteren NRW-Ministerpräsidenten Karl Arnold in Düsseldorf, dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler in Berlin sowie zum Grafen Helmuth J. v. Moltke, Kopf des Kreisauer Kreises. Beraten wurde eine freiheitlich politische Neuordnung Deutschlands. Letterhaus sprach sich gegen eine rein katholische, vielmehr für eine konfessionell übergreifende Volkspartei aus. Ebenso richtungsweisend setzte er sich für eine weltanschaulich und politisch neutrale Einheitsgewerkschaft ein. Unter den Vertretern des politischen Katholizismus fanden sich zahlreiche Personen, die für spätere politische Ämter in Frage kommen sollten.
1939 wurde Letterhaus zur Wehrmacht eingezogen. Er nahm am Frankreichfeldzug teil und war 1941 Oberleutnant in Russland. An einen Sieg glaubte er von Anfang an nicht. Nachdem seinen Freunden aus dem Widerstand seine Versetzung nach Berlin ins Oberkommando der Wehrmacht gelungen war, erhielt er als Presseoffizier infolge der Auswertung ausländischer Presseberichte einen Überblick über die tatsächliche Kriegslage. Gleichzeitig war er aufgrund seines Wissens ein wichtiger Informant für die Widerstandkreise. Der Jesuit Alfred Delp versuchte vergeblich, Letterhaus für den Kreisauer Kreis zu gewinnen. Bei den konspirativen Treffen erfuhr Letterhaus von den oppositionellen Absichten des militärischen Widerstands. Für ihn kam Hochverrat, aber kein Landesverrat in Frage und mit dem Gedanken eines Tyrannenmordes freundete er sich schließlich an. Über die Absicht eines Attentats auf Hitler war er informiert. Im Falle eines politischen Neuaufbaus sollte Letterhaus "Oberpräsident" im Wehrkreis Münster oder Wiederaufbauminister werden. Die Beratungen führten zum Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Für Vera Bücker mündete seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und sein "Bemühen um ein auch öffentlich wirksames christliches Leben in ein Streben nach Befreiung vom System, wobei er auch das letzte Mittel des Attentates billigte."
Gegen Abend des 20. Juli 1944 erkundigte sich Letterhaus bei seinem Mitarbeiter Georg Holsten nach besonderen "Entwicklungen" – die zögernde Antwort signalisierte ihm, dass das Attentat gescheitert war. Bald darauf erhielt er den Rat, in die Niederlande zu flüchten, wovon er jedoch Abstand nahm. Aufgrund der Unterlagen, auf denen er für eine politische Neuordnung Deutschlands erwähnt war, wurde er am Abend des 25. Juli verhaftet. Von der Wehrmacht ausgeschlossen und in der Ermittlungszentrale "KZ Fürstenberg" verhört, fand er sich am 13. November 1944 vor dem Volksgerichtshof dem berüchtigten NS-Richter Roland Freisler gegenüber. Die Anklage lautete auf Landes- und Hochverrat. Sein Denken galt zugleich als "parlamentarisch befangen". Er gestand offen, ein politischer Neubeginn wäre für die Verschwörer nur durch eine "gewaltsame Änderung der Regierung an Haupt und Gliedern" möglich erschienen. Er gab freimütig seinen Glauben als Grundmotiv seines Widerstands an: An die Stelle der NSDAP sollte eine "möglichst viele Gruppen umfassende Volksbewegung mit dem Bekenntnis zum Christentum treten".
Treu seinem Gott
Bis zuletzt war Letterhaus überzeugt: "Vaterland und Welt können nur gerettet werden und bestehen, wenn im Kleinen und Großen Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe herrschen." Von der Verhaftung und Hinrichtung am 14. November erfuhr Letterhaus‘ Frau Grete, mit der er seit 1928 verheiratet war und eine Tochter hatte, trotz seiner Briefe aus dem Gefängnis, erst geraume Zeit später. Sie hatten sich zuletzt im Mai 1944 gesehen. Auf dem Totenzettel zitierte Grete Letterhaus das Wort des Barock-Lyrikers und Theologen Angelus Silesius: "Das Ende krönt das Werk, das Leben ziert den Tod. Wie herrlich stirbt der Mensch, der treu war seinem Gott."
Bernhard Letterhaus war ein Wegbereiter für ein neues Deutschland und erfährt bis in die Gegenwart Anerkennung. Der Historiker Jürgen Aretz bekräftigt: "Auf der Basis einer christlichen und demokratischen Grundeinstellung arbeitete Letterhaus, der unter den Arbeitern große Beliebtheit genoss, für die Idee der sozialen Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Ausgleichs. Dadurch bereitete er mit anderen den Boden für die Gründung der Einheitsgewerkschaft und die Bildung einer christlich-demokratischen Volkspartei im Nachkriegsdeutschland."