Standpunkt

Evangelisierung: Kirche muss auf Besserwisserei verzichten!

Veröffentlicht am 18.11.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Jesus rechnet mit dem Reich Gottes dort, wo viele es nicht vermuten, glaubt Peter Otten. Daher dürfe bei der Evangelisierung nicht vergessen werden, dass es "Inseln der Echtheit" gibt, an den das Heil schon am Werk ist – jenseits von kirchlicher Besserwisserei.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Eins meiner Lieblingsbücher heißt "An jedem verdammten Sonntag. Deutschlands Kreisliga-Helden." Der Fotograf Christian Werner zeigt mit seinen Momentaufnahmen des Amateurfußballs einen bedeutsamen sonntäglichen Kosmos: Die Welt der Aschenplätze und der matschigen Sechzehnmeterräume. Die Welt von Vereinen wie USF Wacker 73 Saarbrücken und von Kickers Emden II. Es sind mal stille, mal zu Herzen gehende, dann wiederum sehr amüsante Bilder. Sie zeigen ungefiltert die Rauheit und Schönheit des Kreisligafußballs: Spieler in Aschewolken. Trikots beim Trocknen. Kibitze auf weißen Gartenstühlen. Streuselkuchen im Vereinskabuff. Platzwart im Regen. Eine krumme Torauslinie. Ballsuchen im Wald.

Der Kabarettist Frank Goosen schreibt im Klappentext: "In den Ozeanen der sterilen Perfektion muss es Inseln der Echtheit geben. Genau die hat Christian Werner auf Fotos eingefangen, die man nicht nur mit den Augen erfasst, sondern die man schmeckt und riecht und hört." Damit hat er perfekt beschrieben, warum mir dieses Buch gerade so wertvoll ist. Der Fotograf blickt neugierig und wertschätzend auf eine Welt, die vielen Menschen rätselhaft, vorgestrig und gewöhnlich erscheint. Und in der viel Heilsames geschieht: Gemeinschaft, Teilhabe, Spiel, Struktur, Solidarität, Wettkampf, Sports- und Teamgeist. Sein Blick ist offen, beobachtend, nie verurteilend, interessiert, aufmerksam, mal amüsiert, mal melancholisch. Sein Blick beeindruckt, weil er völlig frei von Ironie und Zynismus ist.

In der Krise der Kirche sprechen ihre Verantwortlichen wieder häufig von Evangelisierung, sogar von Neuevangelisierung. Damit ist mal ein "Aufbruch zu Christus" gemeint, mal eine "pastorale Bekehrung", mal will man die Menschen "neu für Christus begeistern". (Neu-)Evangelisierung scheint als verführerisches Konzept: Gottes Heil zu heilsbedürftigen Menschen tragen.

Der jesuanische Blick ist ein anderer: Er rechnet mit dem Reich Gottes gerade dort, wo ich es nicht vermute. Der Charme des beschriebenen Buches ist der Charme recht verstandener Evangelisierung: Es nicht immer besser wissen. Sondern die "Inseln der Echtheit" erspähen, in denen das Heil längst am Werk ist.

Von Peter Otten

Der Autor

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.