Die Kirche muss in Sachen Homosexualität umdenken
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
"Menschen begehen nicht Suizid, weil sie homosexuell sind, sondern weil sie Angst davor haben, wie andere sie behandeln werden" sagt Alain Chambers. Er war 20 Jahre lang Präsident von "Exodus", einer christlich sich nennenden Organisation, die Konversionstherapien durchführt. Es ist der Satz eines reuigen Täters aus der erschütternden Arte-Dokumentation "Wie krank ist Homo-Heilung?" Sie lässt auch bornierte Täter aus evangelikalem und katholischem Umfeld ebenso zu Wort kommen wie Opfer, deren Eltern und deren soziales Umfeld.
Nicht nur evangelikale Gruppen praktizieren "harte Liebe" (so das Plädoyer eines katholischen Priesters) gegen homosexuelle Menschen. "Harte Liebe" – solche Vertuschungsformeln von Tätern sexualisierter Gewalt, die ihre Taten als Liebesakte, als Therapien oder gar blasphemisch als Hinführung in eine größere Nähe zu Gott tarnen, sind nur allzu bekannt. Katholische Gemeinschaften, Priester und Bischöfe hängen mit drin. Die Täter können sich dabei auf den katholischen Katechismus und das Lehramt berufen, wenn sie unter dem Vorwand von "Mitleid" (siehe Katechismus Nr. 2357) oder im hohen Verkündigungston der Umkehrpredigt des Evangeliums ("Bekehre dich!") Gewalt ausüben bis hin zu Exorzismen, die nichts anderes als spirituelle Vergewaltigung einschließlich physischer Vergewaltigung sind. Die Einblicke, welche die Dokumentation gewährt, sind unerträglich anzuschauen – und doch muss hingeschaut werden.
Es fügt sich, dass in diesen Tagen auch die Übersetzung von Frédéric Martels Buch (Sodom – Macht, Homosexualität und Doppelmoral im Vatikan) auf den deutschen Büchermarkt kommt. Es zeigt die andere, spezifisch katholische Seite der Medaille, die ja nicht einmal von den Päpsten Benedikt und Franziskus bestritten wird (Stichwort "Homo-Lobby"): Hass auf Homosexuelle als Außenseite einer ausgeprägten und zugleich verleugneten (was nicht automatisch bedeutet: nicht-gelebten) eigenen Homosexualität im Vatikan bis in die höchsten Kreise hinein. Würde der Autor seine 3000 Referenzen so wie die Namen seiner Gesprächspartner – darunter Bischöfe und Kardinäle – veröffentlichen, würde der Vatikan implodieren.
Das alles ist bekannt. Doch es folgen keine Taten. Der befreiende Satz von Papst Franziskus ("Wer bin ich zu verurteilen …?") kann nur ein Anfang sein für ein Umdenken, das zwingend notwendig ist, wenn diese Gewalt gestoppt werden soll. Die Betroffenen werden nicht schweigen. Dafür ist ihnen im Namen der Kirche zu danken. "Die Wahrheit wird euch frei machen", nicht steinernes Schweigen oder gar "harte Liebe", die unter dem Deckmantel frommen Vokabulars ihr Unwesen treibt.