Im Kino des Papstes
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Vis à vis grüßt die Kuppel des Petersdoms, rechts wohnt und wirkt der Papst in Santa Marta, links liegt die Einsatzzentrale der Vatikan-Gendarmerie nebst Tribunal und Beichtväter-WG, und gleich vor dem Eingang könnte man jetzt den Roller mit Benzin füttern, hier ist eine Tankstelle. Ja, alles im päpstlichen Zwergstaat liegt in wohlgeordneter Nähe zueinander, und es ist alles da, was ein großes Dorf so braucht. Sogar ein Kinosaal. Und der ist hier, im Palazzo San Carlo, in dem ansonsten noch die vatikanische Finanzaufsicht residiert und weiter oben der alte Kardinal Bertone, aber das ist eine andere Geschichte.
Wo der Hauch des Besonderen schwebt
Ins Vatikan-Kino darf man nur mit Einladung. Ich freue mich immer, wenn mir eine solche ins Mailfach flattert, meist von Claudia di Giovanni, der patenten Leiterin der vatikanischen Filmothek, zu der das Kino gehört. In diesem Vorführsaal schwebt immer der Hauch des Besonderen. Zunächst ist das Kino eigentlich eine Kapelle.
Sie lesen richtig: Im Vatikan laufen Filme in einer umgewidmeten Kapelle. Das mag vertretbar sein, weil die Kapellendichte im Papststaat ohnehin als überdurchschnittlich gelten darf, schon in jedem kardinalen Apartment ist mindestens eine. Andererseits würde vielleicht eine echte Kapelle das segensreiche Wirken der nebenan liegenden vatikanischen Finanzaufsicht erheblich befeuern, wir wissen es nicht. Jedenfalls, unsere Kino-Kapelle ist historisierend im Stil, mit Arkaden, Säulen, Pilastern und Tonnengewölbe. Schönes indirektes Licht illuminiert das Ambiente, Samtvorhänge dämpfen Geräusche, und statt auf Kirchenbänken sitzt man auf einem von etwa 60 ziegelroten Designersesseln aus Leder und schaut nach vorn und oben. An der erhöhten Stelle des Altars steht etwas verloren ein Holztisch, darüber in ganzer Breite die Leinwand, gekrönt von einem Kruzifix.
Unlängst bin ich hier in den Genuss einer eher singulären Veranstaltung gekommen. Claudia hatte mich zur Vorführung von "A Hidden Life" eingeladen, ein Epos über den österreichischen Bauern und Märtyrer Franz Jägerstätter, der den Eid auf Hitler verweigerte und dafür geköpft wurde. Ins Vatikan-Kino war auch der Regisseur gekommen, und hier wird es exklusiv, denn Terrence Malick gilt als die zurückhaltendste aller US-Filmgrößen. Interviews gibt er nie, und das Fotografieren ließ er an Ort und Stelle über einen Mitarbeiter mit einem Nachdruck verbieten, den ich anderswo im Vatikan so direkt noch nie erleben durfte. Zu unserer Überraschung fand sich der Regisseur am Ende des eindrucksvollen dreistündigen Filmdramas, in dem wenig passiert außer das Entscheidende, dazu bereit, Fragen zu beantworten. Die Antworten durften sogar mitgeschrieben werden. Franziska Jägerstätter sei für ihn eine Märtyrerin ebenso wie ihr Mann, erklärte Malick uns elektrisiert mitkritzelnden Medienleuten.
Der Papst segnet die Kamera
In dem Saal im Vatikan, in dem Franz Jägerstätters verborgenes Leben zu sehen war, hätte der Name des Österreichers auch in einem anderen Kontext genannt werden können, wäre seine Geschichte anders, nach Zeitgeist, gegangen. In den Jahren von Hitlers Krieg und noch bis 1947 ließ der Papst weltweit nach Verschollenen und Gefangenen suchen, und die Dienststelle war in dieser Kapelle untergebracht, lange bevor hier Filme über die Leinwand flimmerten. Riesige Karteikästen standen da, Schreibtische und Tonbandgeräte. Radio Vatikan schickte als Hauptverbündeter dieser päpstlichen Hilfsaktion mehr als eine Million Suchanfragen zu Kriegsgefangenen in den Äther.
Dann wurde es wieder still in der Kapelle, ehe sich die Form der Kommunikation, die von hier ausging, radikal änderte. Suchen, Fragen und Vermitteln wurden abgelöst durch Sammeln, Sehen und Verstehen. 1959 gründete Papst Johannes XXIII. an diesem Ort das Vatikan-Kino, präzise: die "Filmoteca Vaticana".
Mehr als 8.000 Filme führt Claudia di Giovanni im Register, Doku-Aufnahmen ebenso wie preisgekrönte Kinoschöpfungen. Jesus Christus, Gandhi, Ben Hur, E.T. der Außerirdische, Eingeborene im Papua-Neuguinea der 50er Jahre, Nosferatu der Vampir und allerlei Päpste lagern einträchtig nebeneinander in den Kühlregalen des Archivs. Der älteste Film im Vatikan ist auf 1896 datiert und zeigt einen lächelnden Papst Leo XIII., dem erst jemand erklären muss, was es mit dem Bewegtbild auf sich hat, woraufhin er sogleich in eine berufstypische Geste verfällt: Er segnet in die Kamera. Das Medium Film war brandneu, genau das zeigt das früheste Filmdokument der vatikanischen Sammlung. Leo ist gewissermaßen Kinopapst 1.0.
Seither haben sich Päpste filmtechnisch gut entwickelt. Pius XII. ließ sich im Kriegsjahr 1942 unerschrocken über Monate von einem katholischen italienischen Filmteam begleiten. Daraus entstand die Doku "Pastor Angelicus", die sich in der Machart von zeitgenössischen Filmformaten à la Wochenschau abgrenzt und vielen Gläubigen in schwieriger Zeit das Gefühl einer nie dagewesenen Nähe zum Papst gab. Noch näher kommt eigentlich nur der Franziskus-Film von Wim Wenders, "Ein Mann seines Wortes" von 2018, auch wegen der Technik, die der deutsche Regisseur wählte: Der Papst scheint direkt zu mir als Zuschauerin zu sprechen.
Benedikt XVI. auf einem milchweißen Fauteuil
Franziskus ist also präsent im Kino, aber er geht nicht ins Kino, nicht einmal in sein eigenes. Es wären nur ein paar Schritte von seiner Wohnung, aber seit einem Privatgelübde, das er 1990 in Argentinien ablegte, sieht er nicht mehr fern und meint das Kino gleich mit, weshalb er immer nur ältere Filme loben kann (wie Gabriel Axels "Babettes Fest" von 1987 oder Vittorio de Sicas "Kinder sehen uns an" von 1943, ein Werk, das Jorge Mario Bergoglio als Kind sah). Auch Benedikt XVI. war nur ein einziges Mal in seinem Kino. 2008 konnte Claudia di Giovanni endlich den Papstsessel in den Saal schieben, der seinerzeit zusammen mit seinen ziegelroten Geschwistern angeschafft worden war und dann über Jahre hinterm Samtvorhang auf seinen ersten Einsatz wartete. Benedikt saß auf dem milchweißen Fauteuil von Poltrona Frau, Modell "Vanity Fair", und sah sich eine Doku über Paul VI. an.
So gerne ich Ihnen das Vatikan-Kino in die Kategorie "Geheimtipp" einsortieren würde: Leider ist das wenig sinnvoll, denn wir haben es mit einem quasi privaten Vorführsaal hinter bewachten Staatsgrenzen zu tun. Es ist kein Kino mit Spielplan, Trailern und Popcorn und überhaupt dem dauernden Versuch, Gäste zum Geldausgeben zu animieren. Im Gegenteil, alles dort ist gratis, und man wird beschenkt. Beschenkt mit dem Luxus von Zeit, Raum und meistens guten Filmen.