Priesterkleidung: Wenn Stoff zum Politikum wird
Die Bilder haben im Internet die Runde gemacht: Kurienkardinal Raymond Leo Burke prozessiert in der Slowakei zum Gottesdienst, in einer Cappa magna – eine lange rote Schleppe. Zusätzlich hat der gebürtige US-Amerikaner noch einen Hermelinmantel um die Schultern geschlungen. Auch seine Entourage ist festlich gekleidet: Auf den Fotos der Messe kann man die Spitzengewänder beinahe rascheln hören.
Ganz im Gegensatz dazu stehen manche von Konservativen kritisierten Gemeindepfarrer, die im Alltag Jeans und T-Shirt anstatt des priesterlichen Kollarkragens oder eines silbernen Kreuzes am Jackett tragen - dabei fordert die Kirche "eine geziemende kirchliche Kleidung" (Can. 284 CIC). In der Messe würden sie am liebsten nur zur Wandlung schnell die Stola überwerfen, sonst fänden sie an geistlichen Insignien nichts.
Zugegeben: zwei Extrembeispiele. Diese zeigen, dass die Kleidung von Priestern mehr ist als nur Stoff. Denn liturgische Kleidung hat ihre Funktion – und ihre Grenzen. Welche genau das sind, bestimmen zwei zentrale Dokumente: Die "Allgemeine Einführung in das Messbuch" und ergänzend das "Zeremoniale für die Bischöfe". Die Regelungen halten etwa die Grundausstattung eines Priesters für eine normale Messe fest: Zunächst zieht er ein weißes Untergewand an, die Albe. Darüber wird dann die Stola gezogen, ein schalartiges Kleidungsstück, das Geweihten vorbehalten ist. Darüber kommt dann die Kasel, ein ärmelloses Übergewand. Stola und Kasel sollen in den passenden liturgischen Farben gehalten sein. Wer was trägt, zeigt den Gläubigen, in welcher Zeit des Kirchenjahres der Gottesdienst stattfindet und welchen Dienst er in der Feier ausübt. Diakone etwa tragen die Stola zur Unterscheidung quer über den Oberkörper gezogen, Priester gerade mit beiden Seiten auf der Brust.
Diese Gewandung kommt nicht von ungefähr: In den ersten Jahrhunderten des Christentums gibt es keine spezielle Kleidung für den Gottesdienst, die Gläubigen kommen in der damals üblichen römischen Festkleidung. Als sich nach dem Zerfall des weströmischen Reiches durch den Einfluss der Germanen Hemd und Hose als Herrenbekleidung durchsetzen, setzt die Kirche auf Kontinuität und behält die Gewänder im Gottesdienst. Deshalb gehen die heute noch genutzten Stücke auf römische Textilien zurück.
Spezielle Kleidung für jedes Amt
Über die Jahrhunderte differenzieren sich die Paramente genannten Gewänder mehr und mehr aus: Es gibt eine spezielle Kleidung für Priester, Diakone, Bischöfe und Kardinäle. Ganz unterschiedliche Gewänder, Mäntel, Umhänge, Schuhe und Hüte etablieren sich. Zwar erinnern beispielsweise Anhänger der Bettelorden die Kirche immer wieder daran, dass eine gewisse einfache Schlichtheit angebracht sein sollte. "Das zeigt aber eher, dass die allgemeine Tendenz eine andere war: Die liturgische Kleidung weiter zu entfalten", sagt der Eichstätter Liturgiewissenschaftler Jürgen Bärsch. Mit der Zeit wird die Kleidung der Mode immer wieder angepasst.
Bis ins 19. Jahrhundert dient der Stoff zur Abhebung des Geistlichen von den Laien. Damit ist er Sinnbild für eine Kirche, die etwa nach den Umwälzungen der Französischen Revolution nach neuer Macht strebt. Eine Gewandform aus dem Gottesdienst, die Soutane, wird nun auch im Alltag getragen – als Identifikationsmerkmal. Ein großer Schnitt wird nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gemacht. Papst Paul VI., ein der Moderne gegenüber aufgeschlossener Mensch, sucht auch im Hinblick auf Paramente nach modernen, zurückgenommenen Ausdrucksformen. So schafft er in seiner Apostolischen Instruktion "Ut sive sollicite" (1969) so manche Kleidungsstücke ganz ausdrücklich ab, darunter der Galero (der Kardinalshut), rote Schuhe für die meisten Geistlichen, die Mantelletta (ein Umhang) etwa für Kardinäle oder mit Quasten versehene Schärpen. Die schlichteren nachkonziliaren Formen betonen nun die Gemeinschaft der Gläubigen, in der Priester zwar dem Gottesdienst vorstehen, ihren Gemeindemitgliedern aber auch Augenhöhe begegnen sollen. Ein solch radikaler Schritt ist neu: Vorher sind Stücke nie verboten worden, sondern schlicht aus der Mode gekommen. Durch den geänderten Geschmack verschwinden etwa Accessoires wie Pontifikalschuhe oder -strümpfe.
Eine kirchenpolitische Standortbestimmung
Nicht zuletzt wegen den sich ändernden Regeln ist Priesterkleidung bis heute ein Politikum – und drückt etwa einen Machtanspruch aus. Nicht umsonst übernehmen die Bischöfe der Spätantike die Kleidung des römischen Hochadels und importieren das byzantinische Hofzeremoniell. "Die Gewandung ist ein Repräsentationsmittel. Sie zeigt nicht nur Dienste an, sondern verdeutlicht und verfestigt auch signifikant Machtpositionen", so Bärsch. Ob es also goldbestickter Brokat oder schlichter Leinenstoff sein soll, sagt etwas über das Selbst- und Kirchenbild des Trägers aus.
Wenn etwa Kardinal Burke bei einer Messe in der Slowakei eine imposante, mehrere Meter lange Schleppe trägt, setzt er damit ein vorkonziliares Kirchen- und Priesterverständnis ins Bild. Dazu nutzt er eine besondere Möglichkeit der geltenden Regeln aus: Das "Cappa magna" genannte Kleidungsstück soll ein Kardinal nur zu besonders hohen Festen tragen. Der Hermelinmantel ist sogar ganz verboten. So will es schon Paul VI. Durch eine Regelung aus dem Jahr 2007 ist der Hermelin bei der Feier der außerordenltichen Form des römischen Ritus für Kardinäle und Bischöfe möglich.
Das Symbol wirkt: Eigentlich hat sich die Cappa magna durch einhelligen Nichtgebrauch der Bischöfe mehr oder weniger selbst abgeschafft. Burke erweckt die Schleppe wieder zum Leben – und ist damit nicht allein: In seiner Amtszeit ließ Benedikt XVI. einige Kleidungs- und Ausstattungsstücke aus der "Mottenkiste" holen, um der Kirche wieder ein machtvolles, repräsentatives Image zu geben – wie vor dem Konzil.
Priesterliches Fingerspitzengefühl
Das ist möglich, weil die entsprechenden Dokumente den einzelnen Priestern eher basale Vorgaben machen. Es ist am jeweiligen Priester, für eine Situation die richtige Lösung zu finden. Bei einer Messe am Krankenbett, im Haus oder nach einer Wanderung im Freien kann auch mal nur die Stola über die Alltagskleidung gezogen werden. Zur sonntäglichen Messe sollte es dann aber schon mehr als nur die Stola über der Albe sein, die Grundausstattung aus Albe, Kasel und Stola ist schließlich für jede Messe festgeschrieben. "Da braucht der Priester Fingerspitzengefühl", so Bärsch.
Wie die Balance zwischen feierlich und schlicht ideal austariert ist, entscheidet auch jede Priestergeneration anders. "Nicht wenige Priester haben nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil das Ablegen der Priesterkleidung als Befreiung empfunden", sagt Bärsch. Sie wollten bewusst unter den Menschen im Alltag sein. Dagegen wollen viele heutige Seminaristen erkennbar im Gegensatz zu einer säkularer werdenden Welt stehen. Feiner und festlicher Stoff wird beliebter, auch die Soutane im Alltag feiert mancherorts ein Comeback.
Die Vorschriften lassen also einigen Handlungsspielraum für Priester. Ein normaler Gemeindegottesdienst im alten Brokatgewand wäre also möglich. Für Jürgen Bärsch ist das "Was?" der Gewandung aber weniger entscheidend als das "Warum?". "Der Priester soll nicht seinem eigenen Geschmack folgen, sondern das Wohl der Gemeinde im Blick haben." Gibt es beispielsweise ein einst gestiftetes Gewand in einer Gemeinde, darf das zum Stiftungsjubiläum auch getragen werden. "Jedes Gewand muss einen begründeten Sinn haben", findet Bärsch. Sonst wirke es nur rückwärtsgewandt.
02.01.2020, 12:30: Die Ausnahmeregelung für die Feier der außerordentlichen Form des römischen Ritus wird hinzugefügt und die Funktion der Stola präzisiert.