Jüdische Spuren in der Weihnachtsgeschichte
Als der Evangelist Lukas um das Jahr 90 seine Weihnachtsgeschichte verfasste, wusste er genau, was er tat: Er war mit dem Alten Testament und dem Frühjudentum bestens vertraut. Vielleicht zählte Lukas als Heide zu den sogenannten "Gottesfürchtigen", also zu den Nichtjuden, die aber in Kontakt zur Synagogengemeinde lebten. Oder aber er war sogar selbst griechischsprachiger Jude. Lukas schrieb sein Evangelium für Christgläubige, die zuvor Heiden gewesen sind. Dennoch wollte er, dass sein Werk zusammen mit dem Alten Testament gelesen wird. Für Lukas war klar: Ohne die jüdischen Schriften ist der jüdische Messias nicht zu verstehen. Dafür ahmte Lukas in seinem auf Griechisch verfassten Evangelium sogar den Stil der Septuaginta nach – der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Mit Liebe zum Detail zeichnet Lukas das Bild einer frommen jüdischen Familie, die alles tut, "was das Gesetz des Herrn vorschreibt" (Lk 2,39).
Eine (un-)verheiratete Frau
Und wo sollte solch eine Familiengeschichte (das obige Bild zeigt eine Szene der Heiligen Familie aus dem Film "Der junge Messias") beginnen – wenn nicht bei der Mutter. "Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria" (Lk 1,26f). Waren die beiden bis an ihr Lebensende nur verlobt? Dass Lukas auch in den folgenden Kapiteln keine Hochzeit erwähnt, hat seinen Grund: Aus damaliger jüdischer Sicht war Maria bereits vollgültig Josefs Ehefrau. Was hier mit Verlobung umschrieben wird, meint eigentlich die Unterzeichnung des jüdischen Ehevertrags. Zwischen einer offiziellen Eheschließung und dem gemeinsamen Eheleben konnte damals jedoch viel Zeit vergehen. Wenn Lukas Maria als Jungfrau beschreibt, dann hat sie noch kein Kind geboren, ist noch nicht schwanger und ist vermutlich noch nicht von ihrer Familie zu Josef gezogen. Wahrscheinlich ist Maria also erst zwischen 12 und 14 Jahre alt.
Als Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk werden bis heute jüdische Jungen am achten Tag beschnitten, wie es vorgeschrieben ist: "Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden […]" (Gen 17,12). Früher nahm der Vater selbst die Beschneidung vor. So handelt auch Josef als frommer Jude: "Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, bevor das Kind im Mutterleib empfangen war" (Lk 2,21). Die Verbindung der Namensgebung mit der Beschneidung setzt sich im ersten Jahrhundert durch und ist bis heute bei orthodoxen Juden verbreitet. Den zum Beschneidungsfest versammelten Freunden und Verwandten wird dann erstmals der Name des Neugeborenen verkündet. Bis zur Liturgiereform von 1969 feierte die katholische Kirche sogar ein eigenes Fest der "Beschneidung des Herrn". Natürlich immer am achten Tag – am 1. Januar.
Marias bescheidenes Reinigungsopfer
Auf die eigentliche Geburt folgt das Wochenbett. Ausführlich erläutert Lukas seinen nichtjüdischen Lesern die jüdischen Gesetzesvorschriften für diese Zeit und verweist auf das alttestamentliche Buch Levitikus: "Wenn eine Frau empfängt und einen Knaben gebiert, ist sie sieben Tage unrein […] und dreiunddreißig Tage soll die Frau wegen des vergossenen Blutes im Zustand der Reinigung bleiben. […] Wenn die Tage ihres Reinigungszustandes […] vorüber sind, soll sie ein einjähriges Schaf als Brandopfer und eine Felsentaube oder eine Turteltaube als Sündopfer zum Priester […] bringen" (Lev 12,16). Um diesen Ritus zu vollziehen, geht auch Maria zum Jerusalemer Tempel, als "sich für sie die Tage der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung erfüllt hatten" (Lk 2,22).
Maria und Josef aber sind so arm, dass sie sich beim besten Willen kein Schaf als Opfergabe leisten können. Für arme Familien gab es besondere Ausnahmen: "Wenn sie die Mittel für ein Schaf nicht aufbringen kann, soll sie zwei Turteltauben oder zwei Felsentauben nehmen, eine als Brandopfer und die andere als Sündopfer […]" (Lev 12,8). Darauf bezieht sich auch Lukas, wenn er Marias bescheidene Opfergabe im Tempel beschreibt (vgl. Lk 2,24).
Doch die beiden kommen nicht nur für den Reinigungsritus nach Jerusalem. Lukas betont, dass Jesus Marias "Erstgeborene[r]" (Lk 2,7) ist. Jeder erste Sohn aber galt als Eigentum Gottes und musste von seinen Eltern erst ausgelöst werden. Dafür war zur Zeit Jesu eine Abgabe in Höhe von fünf Silberschekeln für den Tempel zu entrichten. Das entsprach etwa dem Arbeitslohn von 20 Tagen. Immer am 2. Februar erinnert die katholische Kirche an den ersten Besuch dieser Familie im Jerusalemer Tempel. Der frühere Name "Mariä Lichtmess" betont mehr das Reinigungsritual Marias, während der neue Name "Darstellung des Herrn" den Fokus auf die Auslösung Jesu legt.
Bis heute befolgen gläubige Juden dieses Gebot, wenn sie das kurze Ritual "Pidjon Ha-Ben" (Auslösung des Sohnes) durchführen: Am 31. Tag nach der Geburt bringt der Vater seinen Erstgeborenen zu einem Kohen, also einem Nachfahren der früheren Priester, und überreicht eine symbolische Summe. Mit dem Akt des "Pidjon Ha-Ben" wird der Neugeborene vor Gott gebracht und in die Gemeinde eingeführt. Es ist ein Moment der Freude und Dankbarkeit.
Jerusalem spielt herausragende Rolle
Schon zur Zeit Jesu war der Gang nach Jerusalem nicht mehr Pflicht – weder für die Reinigung der Mutter noch die Auslösung des Erstgeborenen. Stattdessen konnten die Kosten für das Opfer direkt am Wohnort entrichtet werden. Und doch beschreibt Lukas, wie die kleine Familie den beschwerlichen Weg von Nazaret bis Jerusalem (immerhin über 100 km) auf sich nimmt. Das hat theologische Gründe, denn Jerusalem spielt bei Lukas eine herausragende Rolle. Er will seinen nichtjüdischen Lesern deutlich machen, wo das Heil, das nun auch ihnen geschenkt wurde, seinen Anfang nahm.