Organspende: Für welchen Weg entscheidet sich der Bundestag?
Dürften nur Vertreter der beiden großen Kirchen im Bundestag abstimmen, wäre das Ergebnis an diesem Donnerstag wohl eindeutig. Mit großer Mehrheit, das zeigen alle Wortmeldungen aus den Kirchen, würde sich das Parlament bei der Abstimmung über die Neuregelung der Organspende gegen den unter anderem von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eingebrachten Gesetzentwurf zur "Widerspruchslösung" aussprechen.
Da in der parlamentarischen Demokratie aber nicht in erster Linie Katholiken und Protestanten, sondern frei gewählte Abgeordnete über Gesetze entscheiden, dürfte das Ergebnis deutlich knapper ausfallen. Befürworter der Widerspruchslösung und Anhänger der konkurrierenden Entscheidungslösung halten sich unter den Abgeordneten bislang jedenfalls die Waage. Laut einer Umfrage der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sind von den insgesamt 709 Parlamentariern bisher 252 entschlossen, für die Widerspruchslösung zu stimmen, 221 Abgeordnete befürworten dagegen eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft.
Politik will den Mangel an Spenderorganen beheben
Doch worum geht es überhaupt genau? Die Politik will den seit Jahren anhaltenden Mangel an Spenderorganen in der Bundesrepublik mit neuen Gesetzen beheben. Eine erste Initiative in diese Richtung war im vergangenen Jahr die Änderung des Transplantationsgesetzes. Durch eine Reform der Strukturen und eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure bei der Organspende, so die Hoffnung des Gesetzgebers, sollte die Zahl der Spenden in Deutschland spürbar erhöht werden. Doch einigen Politikern und Gesundheitsexperten reichte dieser Ansatz nicht aus. Bereits kurz nach der Reform kamen deshalb Forderungen nach einem grundsätzlichen Systemwechsel auf. Das Ziel dabei: Die Bürger sollen stärker als bisher verpflichtet werden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ihre persönliche Position – Organspende ja oder nein – nachvollziehbar zu dokumentieren.
Ergebnis dieser Debatte sind zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe, die an diesem Donnerstag zur Abstimmung stehen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie die Zahl der Organspenden in Deutschland signifikant erhöht werden kann. Die derzeit geltende "erweiterte Zustimmungslösung" ist nach Auffassung der Initiatoren beider Entwürfe dafür nämlich nicht geeignet. Sie besagt, dass Organe nur dann entnommen werden dürfen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten einer Entnahme ausdrücklich zugestimmt hat – etwa in Form eines Organspendeausweises oder einer Patientenverfügung. Liegt keine entsprechende Zustimmung vor, sind laut Gesetz auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt, auf Basis des ihnen bekannten oder des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen über eine Organentnahme zu entscheiden. Die Kritiker dieser Regelung bemängeln, dass einer möglichen Organspende dadurch zu enge Grenzen gesetzt würden.
Eine Gruppe um Gesundheitsminister Spahn, den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und weitere Abgeordnete setzt sich mit ihrem Gesetzentwurf deshalb für eine Widerspruchslösung ein. Das Prinzip dabei: Hat ein Verstorbener zu Lebzeiten einer Organentnahme nicht ausdrücklich widersprochen, können die Organe zur Transplantation entnommen werden. Angehörige haben bei dieser Lösung kein eigenes Mitbestimmungsrecht; sie können eine Organentnahme nur dann verhindern, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Entnahme nicht dem letzten Willen des Verstorbenen entspricht.
Zweiter Entwurf will Entscheidungslösung stärken
Der zweite Gesetzentwurf firmiert dagegen unter dem Namen "Entscheidungslösung" und kommt weniger radikal daher. Der Entwurf von einer Gruppe um die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, und die Linken-Chefin Katja-Kipping möchte erreichen, dass die Organspende weiter eine freiwillige und bewusste Entscheidung bleibt. Die Bürger sollen künftig etwa bei der Verlängerung ihrer Ausweise nach ihrer Bereitschaft zur Organspende befragt werden. Hausärzten wird zudem die Aufgabe zugeteilt, ihre Patienten mindestens alle zwei Jahre über eine mögliche Spende zu beraten. Die Antworten sollen dann in einer zentralen Datenbank registriert werden.
Welcher der beiden Gesetzentwürfe am Ende eine Mehrheit im Bundestag findet, ist – das zeigen die Zahlen der "Neuen Osnabrücker Zeitung" – noch nicht absehbar. In der teilweise kontroversen Debatte der vergangenen Monate wurde aber vor allem über die Widerspruchslösung diskutiert. Deren Befürworter argumentieren, dass durch diese Lösung der Kreis potenzieller Spender sofort deutlich erhöht würde. Das zeige sich zum Beispiel auch in Ländern wie Spanien, in denen die Widerspruchslösung bereits gelte.
Kritiker bezweifeln diesen Zusammenhang jedoch: Spanien etwa habe bereits 1979 die Widerspruchslösung eingeführt – ohne Ergebnis. Erst Maßnahmen der Vertrauensbildung und der Einbeziehung der Angehörigen hätten dort für stark wachsende Spenderzahlen gesorgt, dank derer das Land bei der Zahl der Organspenden heute europaweit an der Spitze steht. Die Kritiker halten die Widerspruchslösung zudem für kontraproduktiv, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte. Sie verweisen darauf, dass in Deutschland eigentlich auch kleinste medizinische Eingriffe der Zustimmung des Patienten bedürfen. Der Spahn-Lauterbach-Entwurf käme damit einem Paradigmenwechsel gleich.
Widerspruchslösung für Kirchen nicht akzeptabel
Auch für die beiden großen Kirchen in Deutschland ist die Widerspruchslösung nicht akzeptabel: Nach ihrer Ansicht muss die Organspende eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben. Das Kommissariat der deutschen Bischöfe und der Bevollmächtigte der evangelischen Kirche sprachen im vergangenen Jahr in einer gemeinsamen Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestags mit Blick auf die Widerspruchslösung von "erheblichen rechtlichen und ethischen Bedenken". Die Organspende als "Akt der Nächstenliebe und Solidarität über den Tod hinaus" solle weiterhin von einer freiwilligen Entscheidung getragen sein.
"Es gibt aus christlicher Sicht sehr überzeugende Gründe, die eigenen Organe anderen Menschen zur Verfügung zu stellen – etwa die Dankbarkeit für das eigene Leben", so die beiden Kirchen in ihrem Papier. Aber auch als Akt von hohem moralischem Wert könne eine Spende nicht erzwungen werden: "Es besteht keine moralische Pflicht, seine Organe posthum zu spenden. Eine rechtliche Pflicht kann es aus diesem Grund erst recht nicht geben." Aus der grundsätzlich positiven Haltung der Bevölkerung zur Organspende lasse sich keine pauschale Spendenbereitschaft aller Menschen und erst recht keine generelle Zustimmung zur Organentnahme schließen. In einem Brief an alle Abgeordneten des Bundestages bekräftigten die Kirchen kurz vor Weihnachten diese Bedenken.
Unterstützung findet bei den Kirchen dagegen die Entscheidungslösung. Die im Baerbock-Kipping-Gesetzentwurf vorgeschlagenen "Modifikationen im bestehenden System" seien geeignet, das Vertrauen in die Organspende zu erhöhen und Menschen zu befähigen, eine informierte Entscheidung zu treffen.
Marx: Freiheit und Würde des Einzelnen als "absolute Grenze"
Ähnlich äußerte sich auch der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst. In einem Interview sagte der Vorsitzende der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz, dass die Kirche den Entwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft für den "ethisch besten" Vorschlag halte. "Er setzt darauf, dass sich die Menschen proaktiv mit der Frage der Organspende befassen und dann eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung treffen. Dazu bietet er sehr praktische Lösungen an", so Fürst.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, forderte ebenfalls, dass die Organspende ein freier Akt der Nächstenliebe bleiben müsse. Die Freiheit und Würde des Einzelnen seien die "absolute Grenze" auch gegenüber Ansprüchen des Gemeinwohls, so Marx. "Der Körper ist nicht ein Ersatzteillager, sondern hat seine eigene Würde." Dabei verweisen die Kirchen zugleich darauf, dass die Organspende nicht nur den toten Körper betrifft. Die Entscheidung zur Spende beeinflusse wegen der notwendigen intensivmedizinischen Maßnahmen "grundlegend den Sterbeprozess und das Abschiednehmen für die Angehörigen". (mit Material von KNA)