Theologe: Benedikt schränkt Handlungsspielraum von Franziskus ein
Der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück sieht durch die jüngsten Äußerungen Benedikt XVI. den Handlungsspielraum von Papst Franziskus beim Thema Zölibat eingeschränkt. Es werde für den Argentinier nun schwerer, Ausnahmen vom Zölibat zuzulassen, schreibt Tück in einer Stellungnahme, die katholisch.de vorliegt.
"Außergewöhnliche Diskursmacht" für Benedikt
Benedikt habe nach seiner Abdankung nicht einfach den Status eines emeritierten Bischofs angenommen, sondern sowohl im Titel als auch in der Kleidung nach wie vor papale Insignien für sich in Anspruch genommen. Das Konstrukt eines "emeritierten Papstes" aber befördere es, dass seinen Stellungnahmen in der Kirche eine außergewöhnliche Diskursmacht zukomme. Diese Diskursmacht sei institutionell nicht geregelt, glaubt Tück.
Gleichzeitig erinnert der Dogmatiker daran, dass die Aussagen Benedikts kirchenrechtlich kein Gewicht haben, sondern Ausdruck seiner persönlichen Sorge um die Zukunft der Kirche seien. Die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise beim Zölibat liege allein bei Franziskus. Wenn dieser es so wolle, könne er "getrost mit dem jungen Joseph Ratzinger über Benedikt XVI. hinausgehen und eine Lockerung des Pflichtzölibats in Regionen der Kirche anordnen, die vom pastoralen Notstand besonders betroffen sind", so Tück. Das wäre dann ein "mutiger" Schritt.
Als junger Theologe hatte Joseph Ratzinger im Jahr 1970 selbst "viri probati" vorgeschlagen – um gegen die "geistliche Versteppung ländlicher Regionen" anzukämpfen. Als Bischof und Kardinal hatte der spätere Papst seine Meinung jedoch geändert.
Veröffentlichung in Buch von Sarah "äußerst misslich"
Dass Benedikt seinen Aufsatz über den Zölibat jetzt ausgerechnet in einem Buch von Kardinal Robert Sarah veröffentlicht, empfindet Tück als "äußerst misslich". Sarah habe sich aus Anlass der Amazonas-Synode in einem "Verbalradikalismus" zum Zölibat geäußert, der Benedikt eigentlich fremd sei. Es stehe nun der Verdacht einer "theologiepolitischen Instrumentalisierung" des emeritierten Papstes durch Sarah im Raum: "Das Symbolkapital, das mit den Namen des Altpapstes verbunden ist, sollte durch die Buchveröffentlichung offensichtlich voll ausgespielt werden", folgert Tück. Auf dessen Cover hatte ursprünglich statt des Namens "Joseph Ratzinger" nur der Name "Benedikt XVI." stehen sollen. Inzwischen hat der emeritierte Papst jedoch darum gebeten, seinen Namen und Foto vom Bucheinband zu entfernen.
Dennoch hallte in das Vakuum nach der Amazonas-Synode nun statt eines klärendes Wortes von Papst Franziskus die Stimme von Benedikt, der doch eigentlich habe schweigen wollen, so Tück. Es sei noch nicht klar, was Franziskus über den Zölibat denke. Er habe sich widerholt gegen einen "optionalen Zölibat" ausgesprochen und beziehe sich immer wieder zustimmend auf Paul VI., der während des Zweiten Vatikanischen Konzils und danach den Zölibat stark verteidigt hatte. Das nachsynodale Schreiben, in dem sich Franziskus zur Amazonas-Synode äußern wollte, ist zwar angekündigt, aber noch nicht veröffentlicht.
Ähnlich wie Tück äußern sich auch andere Stimmen aus der Kirche. Auch für den Vatikan-Experten Ulrich Nersinger zeigt sich einmal mehr, dass der Status des "emeritierten Papstes" noch nicht genau definiert ist. Es sei nicht klar, welchem Kodex er zu folgen und wie er sich zu verhalten habe, sagte Nersinger dem Kölner Portal domradio.de. Hätte Benedikt nach seiner Emeritierung auf Symbole wie den weißen Habit und die Anrede "Heiliger Vater" verzichtet, wäre das laut Nersinger die bessere Lösung gewesen.
Linktipp: Der "emeritierte Papst": Eine Tradition wird gemacht
Ein emeritierter Papst ist fast eine Premiere. Über die Rolle von Benedikt XVI. wird auch Jahre nach seinem Rücktritt noch debattiert – ganz aktuell im Fall des Zölibat-Buches von Kardinal Robert Sarah. Droht der Eindruck eines Gegenpapstes? Gar ein Schisma? Ein Blick in Geschichte und Kirchenrecht hilft bei der Bewertung.Auch Kardinal Gerhard Ludwig Müller wies einen Sonderstatus als "emeritierter Papst" zurück. Es gebe nur einen Papst, und zwar Franziskus. Wer Benedikt und Franziskus einander gegenüberstelle, betreibe ein "antikirchliches Spiel", so der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation in einem Zeitungsinterview. Der Tübinger Theologe Albert Biesinger kritisierte, eine Gruppe um Kurienkardinal Robert Sarah wolle Benedikt XVI. als "Gegenpapst" aufbauen.
Als ein "letztes Aufbäumen, um die Abschaffung des Zölibats zu verhindern", sieht der Würzburger Theologe Wunibald Müller die Einlassung Benedikts. Das werde dem emeritierten Papst aber nicht gelingen, ist der ehemalige Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach überzeugt. Der Pflichtzölibat werde ohnehin "oft nicht mehr gelebt".
Laut Christian Schaller, dem stellvertretenden Direktor des Instituts Benedikt XVI. in Regensburg, taugt der Aufsatz des emeritierten Papstes dagegen überhaupt nicht für kirchenpolitische Interpretationen. "Es handelt sich dabei um einen theologisch-wissenschaftlichen Grundlagentext über das Priestertum. Dass darin auch der Zölibat vorkommt, ist nur logisch", sagt Schaller. "Der Text ist aber keinesfalls als Beitrag zu irgendwelchen aktuellen kirchenpolitischen Diskussionen zu verstehen".
Am Sonntag waren Teile eines neuen Buches von Kardinal Sarah vorab veröffentlicht worden. Nun tobt eine innerkirchliche Diskussion über die Rolle des emeritierten Papstes. Denn in dem Buch verteidigt Benedikt in einem Aufsatz vehement den Pflichtzölibat. Das wird von manchen als Agieren gegen Franziskus gewertet. Dagegen betont etwa das vatikanische Presseamt die Kontinuität zwischen Benedikt und Franziskus.
Amazonas-Synode für begrenzte Zölibatslockerung
Franziskus hatte nach der Amazonas-Synode im vergangenen Herbst ein nachsynodales Schreiben angekündigt, in dem es auch um den Zölibat gehen könnte. Die Teilnehmer der Synode hatten sich mehrheitlich für eine begrenzte ausnahmsweise Lockerung des Zölibats ausgesprochen, um gegebenenfalls Ständige Diakone zu Priestern weihen zu können. Das sei etwa in entlegenen Amazonas-Gebieten eine "pastorale Notwendigkeit". (gho)
15.1., 14:30 Uhr: Ergänzt um Statement von Wunibald Müller. 16 Uhr: Ergänzt um Statement von Christian Schaller.