Debatte um Opferentschädigungen aus Kirchensteuermitteln "scheinheilig"

Kirchenrechtler: Keine Komplett-Entschuldung der Laien bei Missbrauch

Veröffentlicht am 30.01.2020 um 11:41 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Zwar fehle den Bischöfen jedes Recht "zum Fingerzeig in Richtung Laien", so Kirchenrechtler Norbert Lüdecke. Doch er warnt vor einer "Komplett-Entschuldung" – auch mit Blick auf die Frage nach Entschädigungen aus der Kirchensteuer.

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Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke kritisiert die Debatte um Entschädigungen für Missbrauchsopfer aus Kirchensteuermitteln als "scheinheilig". In einem Beitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag) schreibt er: "Mit der "Parole 'Entschädigung aus Kirchensteuern' wird eine Diskussion darüber provoziert, wer welche Verantwortung hat. Bis das dann ausdiskutiert ist, redet keiner mehr über Entschädigung. Nein, solch mieses Spiel mit der Zeit der Betroffenen darf nicht länger funktionieren."

Lüdecke äußerte sich mit Blick auf kritische Einlassungen etwa aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zu entsprechenden Aussagen des Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann. So begründete ZdK-Vizepräsidentin Claudia Lücking-Michel in der Zeitschrift "Publik-Forum" ihre Ablehnung mit den Worten, in der Kirche sollten jetzt offenbar Laien für Straftaten von Klerikern verantwortlich gemacht werden, "obwohl wir keine Handhabe besitzen, um Machtmissbrauch zu verhindern".

Warnung vor "Komplett-Entschuldung" der Laien

In seinem Beitrag warnte Lüdecke vor einer "Komplett-Entschuldung" der Laien. "Klar ist: Den Bischöfen fehlt jedes Recht zum Fingerzeig in Richtung Laien, jedem derartigen Versuch ist sofort und energisch zu widersprechen", betonte der Kirchenrechtler: "Aber zu behaupten, der Laienstand als solcher stehe hier rein und ohne jede moralische Mitverantwortung da, bedeutet erneut Entschuldung auf Kosten der Betroffenen - die übrigens nicht irgendwelche Fremden, sondern meist katholische Mitlaien sind."

Man könne nicht einerseits die Solidarität mit Missbrauchsopfern beschwören "und sich andererseits pauschal aus jeder Verantwortung stehlen", schreibt er weiter. Auch "Ermittler mit Beißhemmung", "Staatsanwälte mit Verfolgungsnachsicht" und "Journalisten mit mangelndem Verständnis für das katholische Kirchensystem und/oder geringem Recherche-Elan" seien Laien gewesen.

Das Gleiche gelte für die "Insider in den kirchlichen Verwaltungen, im pastoralen Dienst, in den katholischen Räten und Verbänden". Er bezweifle, so Lüdecke, dass keiner von diesen Laien in den vergangenen Jahrzehnten jemals etwas von sexuellem Missbrauch mitbekommen habe: "Für viele, vielleicht die meisten, mag das ja durchaus stimmen, aber für alle?" Der Kirchenrechtler weiter: "Die Frage nach der Mitverantwortung der Laien entlastet nicht die Bischöfe, sondern muss Teil der bislang noch nicht einmal begonnenen Aufarbeitung sein."

Ackermann hatte im November gesagt, dass er zur Zahlung von Entschädigungsleistungen für Missbrauchsopfer aus der Kirchensteuer keine Alternative sehe, und damit für Diskussionen gesorgt. Auch wenn es vielen Gläubigen widerstrebe, mit ihren Beiträgen für Verfehlungen einzelner Geistlicher einzustehen, seien die Kirchenmitglieder als Solidargemeinschaft in der Pflicht, sagte der Missbrauchsbeauftragte. Verschiedene Bistümer hatten daraufhin erklärt, Entschädigungen nicht aus der Kirchensteuer leisten zu wollen. (tmg/KNA)