Standpunkt

Wir können sexualisierte Gewalt nur offen und angstfrei aufarbeiten

Veröffentlicht am 31.01.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nach wie vor ist die Erschütterung über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche groß. Simon Linder denkt, dass der Synodale Weg der Aufarbeitung eine neue Qualität gibt. Gelingen kann das aber nur unter einer bestimmten Voraussetzung.

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Der Skandal sexualisierter Gewalt hat die Kirche in Deutschland schwer erschüttert. Den Bischöfen war rasch klar: Kleriker und Laien müssen ins Gespräch kommen, um Veränderungen herbeizuführen und Vertrauen wiederherzustellen. Zum Auftakt der Foren sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz: "Wir werden ungeschminkt ausleuchten, wie wir als Kirche in Wort und Tat mit dem Vorwurf umgehen müssen, es gebe in ihr zu wenig Transparenz und zu viele Denk- und Diskussionsverbote. Gelingen kann das jedoch nur, wenn wir offen und angstfrei miteinander reden. Der neue Aufbruch, den wir suchen, beginnt bei uns selbst!"

Szenen aus den vergangenen Tagen und Monaten? Nein – das alles passierte in den Jahren 2010 und 2011. Das Zitat stammt also nicht etwa von Kardinal Marx – sondern vom damaligen DBK-Vorsitzenden, Erzbischof Zollitsch, aus dessen Eröffnungsrede zum Dialogprozess.

Neue Qualität durch Synodalen Weg

Jetzt beginnen in Frankfurt die Beratungen der Synodalversammlung des Synodalen Wegs. Der Ausgangspunkt ist derselbe wie vor neun Jahren: die Erschütterung über sexualisierte Gewalt in der Kirche, nun nach dem Erscheinen der MHG-Studie. Weil beim Dialogprozess die Diskussionen zerfaserten, konnten die strukturellen Probleme für geistlichen Missbrauch und sexualisierte Gewalt in der Kirche nicht beseitigt werden. Es ist gut, dass mit dem Synodalen Weg auf breiter Basis die Aufarbeitung eine neue Qualität gewinnt.

Falls der Synodalversammlung Informationen fehlen, um Entscheidungen über Veränderungen der missbrauchsermöglichenden Strukturen zu fällen, muss sie sich diese beschaffen: etwa, indem sie wissenschaftliche Untersuchungen zu spezifisch kirchlichen Risikofaktoren in Auftrag gibt, oder indem sie dafür Sorge trägt, dass Betroffenenvertreterinnen und -vertreter in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Der Fokus der Diskussion muss auf die spezifischen Gründe für sexualisierte Gewalt in Kirche erhalten bleiben. Lösungen für diese Fragen zu finden ist Aufgabe der Versammlung. Gelingen kann das jedoch nur, wenn wir offen und angstfrei miteinander reden.

Von Simon Linder

Der Autor

Simon Linder hat Katholische Theologie und Allgemeine Rhetorik studiert und arbeitet an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt zum Thema "Streitkultur".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.