Erzbischof Burger: "Eine Kirche ohne Frauen kann es nicht geben!"
Vor einer Woche endete die erste Synodalversammlung in Frankfurt am Main. Auch der Freiburger Erzbischof Stephan Burger war beim Auftakt des Synodalen Wegs dabei und zeigt sich im Rückblick beeindruckt von der dortigen Diskussionskultur.
Frage: Herr Erzbischof, die erste Synodalversammlung ist vorbei, der Synodale Weg hat gestartet. Während der Versammlung stand kurz das Scheitern des Reformprozesses im Raum. Haben Sie das auch so erlebt?
Burger: Nein, ich konnte kein Scheitern ausmachen – im Gegenteil: Ich habe diese Versammlung als ein Treffen erlebt, bei dem man intensiv um grundlegende Positionen gerungen hat. Im Kern geht es beim Synodalen Weg darum, sich gemeinsam bewusst zu machen, was Kirche bedeutet und wie sie in Zukunft aussehen soll. Es ist besonders durch bestimmte Wortmeldungen deutlich geworden, dass Kirche nicht bloß eine Gemeinschaft ist, in der alle mit derselben Vorstellung unterwegs sind. Vielmehr gibt es sehr unterschiedliche Positionen und teilweise divergierende Meinungen unter den Teilnehmern der Synodalversammlung. Jeder bringt zudem seine ganz persönliche Glaubenserfahrung ein. Ich habe das durchaus harte Ringen erlebt, sich auf das Gemeinsame zu verständigen und das Suchen danach, wie Kirche zukunftsfähig werden kann. Das ist nicht immer leicht, wie wir gesehen haben.
Frage: Haben Sie eine Polarisierung unter den Teilnehmern des Synodalen Wegs ausgemacht?
Burger: Natürlich gibt es bei den großen Fragen unterschiedliche Meinungen, was in den manchmal kontroversen Diskussionsbeiträgen deutlich wurde. Die verschiedenen Auffassungen etwa mit Blick auf die Zulassung der Frauen zu den Ämtern haben unterschiedliche theologische Sichtweisen gezeigt. Doch das Ringen um einen guten Weg gehört zur Synodalversammlung dazu.
Frage: Auf die zwei Jahre des Synodalen Wegs geschaut, was wäre ein Erfolg des Reformprozesses? Was muss er mindestens erreichen?
Burger: Wenn es uns trotz der so unterschiedlichen Positionen gelingt, uns als eine Kirche zu verstehen, als eine Glaubensgemeinschaft, die in die Zukunft voranschreitet, wenn deutlich wird, auf welcher Basis wir stehen, das wäre ein ganz wichtiges Ergebnis des synodalen Prozesses. Wir brauchen eine Kirche, die in der Lage ist, trotz der unterschiedlichen Meinungen und Spannungen dennoch den gemeinsamen Glauben zu leben und zusammen in die Zukunft zu gehen.
Frage: Eine konkrete Forderung an den Synodalen Weg ist etwa das Diakonat der Frau. Muss diese Entscheidung ein Ergebnis des Synodalen Wegs sein?
Burger: Wir könnten als Synodalversammlung ein entsprechendes Votum verabschieden oder Empfehlungen zu dieser Frage aussprechen. Aber die Beantwortung dieser Sache gehört in den weltkirchlichen Kontext und ist dem Papst vorbehalten. Franziskus hat schließlich vor einiger Zeit eine Kommission einberufen, die sich dazu Gedanken gemacht hat. Er hat aufgrund der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe noch keine Entscheidung gefällt.
Frage: Wenn man aber jetzt auf Forderungen schaut, die innerhalb der deutschen Kirche geregelt werden könnten, etwa die größere Teilhabe an kirchlicher Macht durch Frauen oder männliche Laien…
Burger: Ich bin lange genug als Pfarrer an der Basis gewesen, dass ich weiß, was die Frauen vor Ort in den Kirchengemeinden leisten. Eine Kirche ohne Frau kann es eindeutig nicht geben. Für mich ist es daher ein großes Anliegen innerhalb des Erzbistums Freiburg, in kurialen Gremien Frauen vermehrt Raum zu geben. Den Frauen, dort wo es schon möglich ist, Verantwortung zu übertragen, ist für mich selbstverständlich.
Frage: Gerade wenn es um das Thema Macht geht, kommt oft der sexuelle Missbrauch zur Sprache – auch in der Synodalversammlung. Der Missbrauchsskandal war schließlich ein Anlass für den Synodalen Weg. Wie kann die Kirche ihre verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?
Burger: Das ist ein steiniger Weg und wir Bischöfe sind gefordert, lückenlos die Vergangenheit aufzuarbeiten. Dementsprechend bin ich mit den von Missbrauch Betroffenen im Gespräch, das gehört für mich dazu. Wir Bischöfe müssen zu dem stehen, was an Schrecklichem passiert ist und Verantwortung dafür übernehmen.
Frage: In der Synodalversammlung ist die Stimme der Opfer sexuellen Missbrauchs kaum repräsentiert. Bedauern Sie das?
Burger: Es ist besonders wichtig, die Betroffenen beim Synodalen Weg miteinzubeziehen – das wurde auch in der Diskussion deutlich. Ob es sinnvoll ist, bei der Synodalversammlung Betroffene zu Wort kommen zu lassen, kann ich derzeit nicht beurteilen, weil es natürlich mit der Situation der Betroffenen zusammenhängt. Aber die Einrichtung von Betroffenenräten und das Gespräch mit ihnen ist mir persönlich ein Anliegen. Der Prozess der Aufarbeitung, unter Einbeziehung der Betroffenen muss deshalb innerhalb der Diözesen weitergehen.
Frage: Bislang haben die deutschen Bischöfe noch keine einheitliche Regelung für Entschädigungszahlungen an Missbrauchsopfer gefunden – und das, obwohl der Missbrauchsskandal schon vor zehn Jahren bekannt wurde. Warum ist es so schwierig eine Einigung zu finden?
Burger: Zum einen geht es bei der Diskussion über solche Zahlungen darum, die gesamtgesellschaftliche Situation in den Blick zu nehmen. Denn das Problem des Missbrauchs betrifft nicht die Kirche allein, sondern die ganze Gesellschaft. Wir müssen beim Thema der Anerkennungsleistungen in Deutschland einheitliche Regelungen erreichen. Zudem steht die Frage im Raum, wie konkret die Finanzierung aussehen wird. Wir Bischöfe können die Mittel dafür nicht einfach aus dem Ärmel schütteln, denn das Geld der Kirche stammt von den Gläubigen und ist der Kirche lediglich anvertraut. Deshalb muss man bei einer Entscheidung die zuständigen Gremien, die Kirchensteuerparlamente, die Ausschüsse miteinbeziehen sowie offen und transparent damit umgehen.
Frage: Verstehen Sie die Klagen der Betroffenen und der Opferverbände, denen die Diskussion viel zu lange dauert?
Burger: Ich kann die Ungeduld sehr gut nachvollziehen! Aber ich erlebe auch, dass Betroffene sehr wohl zufrieden sind und anerkennen, was Kirche bereits geleistet hat. Wir sind schließlich auf dem Weg zu einer Lösung. Ich möchte betonen, dass die Kirche dieses Thema massiv angeht. Außerdem gehe ich davon aus, dass wir innerhalb der Bischofskonferenz bald eine klare Lösung finden.
Frage: Im Erzbistum Freiburg haben Sie ein eigenes Modell, das es in anderen Diözesen so nicht gibt: Teilweise leistet die Diözese monatliche Zahlungen. Warum übernehmen andere Bistümer dieses Modell nicht?
Burger: Inwieweit es andere Bistümer übernehmen oder nicht übernehmen werden, kann ich derzeit nicht sagen. Ich hatte in persönlichen Gesprächen erfahren, dass Betroffene in existenzielle Notlagen geraten sind, weil sie Missbrauch ausgeliefert waren. Einige konnten keine Berufsausbildung machen, anderen war es aufgrund ihrer psychischen Situation nicht möglich, eine Familie zu gründen oder sich beruflich weiterzuentwickeln. Als mir dann jemand gesagt hat, dass er nach Abrechnung aller Fixkosten am Essen sparen muss, eben weil er ein von Missbrauch betroffener Mensch ist, wusste ich, dass ich in dieser existenziellen Situation möglichst schnell helfen musste. Deswegen habe ich in Freiburg dieses Modell gestartet, das eine regelmäßige Unterstützung beinhaltet. Ich weiß von anderen bischöflichen Mitbrüdern, dass sie auch auf caritativer Ebene unterwegs sind. Unser Freiburger Modell will den Menschen in ihrer konkreten Notsituation helfen – auch wenn es wahrscheinlich nicht die Lösung beim Thema Anerkennungsleistungen sein wird, die zukünftig in der Bischofskonferenz getroffen wird.