Rechercheteam erhob Vorwürfe gegen Joseph Ratzinger

Missbrauchstäter aus "Frontal21": Priester H. ist weiter Kleriker

Veröffentlicht am 20.02.2020 um 09:53 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Das ZDF widmete dem Missbrauchspriester H. einen eigenen Bericht und stellte Fragen zur Rolle Joseph Ratzingers in dem Fall. Nachdem der emeritierte Papst die Spekulationen zurückwies, wurde nun bekannt: H. ist nach wie vor Kleriker.

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Der 1986 wegen Missbrauchs vom Amtsgericht Ebersberg verurteilte Priester H. ist bislang nicht aus dem Klerikerstand entlassen worden. Das hat eine Anfrage vom Mittwoch bei der Pressestelle der Erzdiözese München und Freising ergeben. Der Essener Diözesangeistliche hatte bereits in seinem Heimatbistum Kinder missbraucht. Er war 1980 vom Münchner Erzbistum in der Zeit von Joseph Ratzinger (später Papst Benedikt XVI.) als Erzbischof aufgenommen worden, unter der Auflage, eine Therapie zu machen.

Erst 2010 wurde H. vom Amt suspendiert. Der nach wie vor im Münchner Erzbistum lebende Geistliche sei seither mit Auflagen belegt und dürfe keine priesterlichen Dienste mehr ausführen, hieß es auf Nachfrage. Eine vollständige Entlassung aus dem Klerikerstand wäre nach dem Kirchenrecht die Höchststrafe, die gegen ihn verhängt werden könnte.

Das ZDF-Magazin "Frontal21" und das Recherchezentrum CORRECTIV hatten berichtet, Ratzinger sei dem Geistlichen im Jahr 2000 in Bayern zufällig begegnet, als er seinen sterbenskranken Studienfreund und einstigen Münchner Weihbischof Heinrich von Soden-Fraunhofen (1920-2000) privat besuchte. In der Nachbargemeinde war H. als Pfarrer im Einsatz. Die Begegnung mit dem Priester hat der emeritierte Papst am Mittwoch dementieren lassen. Auf Anfrage der Zeitung "Die Tagespost" erklärt er, dass es damals "weder eine Begegnung mit dem Priester H., noch ein Gespräch mit ihm gegeben" habe.

Versetzung in die Tourismusseelsorge

Nach Missbrauchstaten in Essen wurde der Geistliche im Münchner Erzbistum in mehreren Gemeinden als Seelsorger eingesetzt. Dafür übernahm 2010 der ursprünglich dafür zuständige Generalvikar Gerhard Gruber die alleinige Verantwortung. H. war zunächst in München, später in Grafing tätig, wo er rückfällig wurde. Dafür wurde er dann 1986 verurteilt, aber noch während der Bewährungsfrist schickte man ihn als Pfarrseelsorger nach Garching an der Alz. In der Nachbargemeinde Engelsberg lebte von 1993 bis 2000 der frühere Münchner Weihbischof von Soden-Fraunhofen, der ihn überwachen sollte. 2008 versetzte ihn der neu nach München gekommene Erzbischof Reinhard Marx in die Tourismusseelsorge nach Bad Tölz mit dem Verbot, Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zu haben. Doch daran hielt er sich nicht.

Die Staatsanwaltschaft München II, die bereits früher gegen H. ermittelte, prüft derzeit, ob es weitere Taten gibt und ob Ermittlungen aufzunehmen sind. Das Bistum Essen rechnet derweil mit weiteren Opfern. Namentlich seien bisher acht Betroffene bekannt, die der damalige Kaplan zwischen 1973 und Ende 1979 missbraucht habe, sagte Sprecher Ulrich Lota der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das Bistum vermute aber noch weitere fünf Opfer.

Die Entlassung aus dem Klerikerstand wird umgangssprachlich als "Laisierung" bezeichnet. Sie kann etwa vor einer Heirat auf Antrag des Betroffenen erfolgen. Bei schweren Vergehen von Geistlichen ist sie im katholischen Kirchenrecht die Höchststrafe. Im Kirchenrecht von 1983 heißt es, Verfehlungen von Klerikern gegen das sechste Gebot, insbesondere solche mit Minderjährigen, sollen "mit gerechten Strafen belegt werden, gegebenenfalls die Entlassung aus dem Klerikerstand nicht ausgenommen". Ein so bestrafter Priester darf weder klerikale Kleidung tragen noch seelsorgerisch tätig sein oder die Sakramente spenden. Es gibt unterschiedliche Verfahren, die zur Entlassung aus dem Klerikerstand führen. In jedem Fall müssen Ortsbischöfe oder Ordensobere die Fälle nach einer Vorprüfung rasch an die römische Glaubensbehörde melden. Diese entscheidet, ob der kirchliche Prozess am Ort oder im Vatikan stattfindet. (tmg/KNA)