Die "Kathedra Petri": Worauf sitzt der Papst?
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Dieser Bischofsstuhl ist unbesitzbar. Sehen Sie ihn an: Er ruht nicht auf dem Boden, banal wie jeder Kaiserthron, sondern schwebt einige Meter darüber, irdischen Begehrlichkeiten entzogen. Aus Bronze ist er und wiegt bestimmt ein paar Tonnen, doch mit leichter Hand heben vier Männerfiguren ihn hoch, und dort, von oben, bekommt er Licht, und was für eines: Das Bild des Heiligen Geistes, heller Blickfang schlechthin im Petersdom, be- und erleuchtet das erhabene päpstliche Sitzmöbel. Goldene Wolken quellen, Engel steigen auf und nieder, alles ist bewegt und fest zugleich, wie auf ein Sekündchen eingefroren in einer gewaltigen Dynamik aus Bronze, Gold und warmem Licht.
Fürwahr: Ein glänzendes Schau- und Sinn-Spiel zum Stuhl des Bischofs von Rom hat der große Barockbildhauer Gian Lorenzo Bernini hier inszeniert. Eine Allegorie der päpstlichen Autorität. Die ist heutzutage schwer vermittelbar, wie Papst Benedikt XVI. seinerzeit einräumte, aber deshalb nicht weniger wahr. Päpste tun, was sie tun, mit Autorität, und genau das will ihr Sitz, die "Kathedra Petri", allen Betrachtenden begreiflich machen.
Der eigentliche, "wahre" Bischofsstuhl des Papstes steht nicht im Petersdom, sondern in der Lateranbasilika, denn die ist seine Bischofskirche (und sollten Sie diese Basics kennen, würde ich an Ihrer Stelle den vorliegenden Absatz überspringen, weil er Ihnen nichts Neues bietet). "Kathedra" heißt der Sitz des Bischofs in seiner Kirche, wovon das Wort "Kathedrale" herrührt. Nur der Ortsbischof selbst darf auf seinem Sitz in der Kathedrale sitzen. Von hier aus leitet er die Liturgie, verkündet das Wort und nimmt Weihehandlungen vor. Deshalb bezeichnet die Kathedra das Lehramt des Bischofs, seine Hirtengewalt sowie die Einheit im Glauben, der er verpflichtet ist. Von alters her repräsentiert der Sitz den Bischof in seinem Amt, und das Sitzen – nicht das Stehen, Knien oder Vorbeiziehen – gilt als die Körperhaltung schlechthin des Bischofs in seinem Dienst. Wer sitzt, besitzt Macht.
Wie sieht er also aus, so ein Bischofsstuhl? Jede Zeit hat ihre Formen gefunden. Den ersten Bischof, Petrus, dürfen wir uns auf einem Holzschemel sitzend denken, wie er die bescheidene römische Gemeinde im Glauben unterwies. Mit dem Erstarken des Christentums wurden auch Bischofsstühle massiver, unverrückbarer, reicher, mit Gold und Elfenbein gestaltet, mit Baldachinen überspannt. Sie glichen sich Kaiserthronen an.
Der heutige Bischofsstuhl des Papstes im Lateran sieht ganz klassisch aus. Eine Replik nach dem Original aus dem Mittelalter, steht er leicht erhöht, zentral und sichtbar in der Apsis. Zum Rücken hin lehnt die Kathedra an der halbrunden Wand, wo zwei schlanke, gewundene Säulen sie rahmen. Säulen, Apsis und Thron: alles aus Marmor. Ein herrschaftliches Setting. Das Volk ist auf Abstand, wer spricht und wer zuhört, ist klar zugewiesen. Diesen Stuhl im Lateran nimmt ein frisch gewählter Papst mit einer eigenen Liturgie in Besitz, und immer wenn er in seiner Bischofskirche zu tun hat, ist dies sein Platz.
Berninis Kunstwerk gibt seinen Sinn erst nach und nach preis
Nur weil es diese "echte" Kathedra im Lateran gibt, konnte Bernini im 17. Jahrhundert dem Petersdom eine derart entrückte, künstlerisch überhöhte Version des päpstlichen Bischofsstuhls verpassen. Das ist kein Sitzmöbel, das ist reine Botschaft. Am meisten daran fasziniert mich das Changieren zwischen Zeigen, Verbergen, Sehen und Nicht-Sehen-Können, das Bernini diesem Bildwerk eingearbeitet hat.
Zunächst, die Kathedra Petri ist eigentlich sofort beim Betreten der Peterskirche von ganz hinten sichtbar. Trotzdem kann man sie nicht erkennen. Auch dieser Bischofsstuhl ist in der Apsis, wie sich's gehört, er wird aber glatt überstrahlt vom lichten Heiligen Geist, dem oberen Teil der Kathedra-Komposition. Erst wer näher kommt, sieht, dass der Heilige Geist einen darunter schwebenden Stuhl erleuchtet. Jetzt erkennt man ihn da oben als Thron, aus schwerer dunkler Bronze mit Goldreliefs, eines zeigt Jesus, wie er Petrus aufträgt, seine Lämmer zu weiden. Papstkrone, zwei Schlüssel, alles da. Dennoch ein Kunstwerk, das seinen Sinn erst nach und nach preisgibt.
Wer sind sie, die vier bronzenen Männer, die den Sieben-Meter-Thron so mühelos nach oben heben? Die Evangelisten? Nein. Es sind die wichtigsten Kirchenväter des Westens und des Ostens: Augustinus, Ambrosius, Athanasius und Johannes Chrysostomos. Ihre entschlossenen Gesichtszüge verweisen künstlerisch auf die Laokoon-Gruppe (Priester und Söhne wehren sich gegen die sie erwürgende Schlange) und programmatisch auf die Gegenreformation. Mit barocker Siegesgewissheit ist hier der Kampf gegen die Häresie aus dem Norden und die Vormachtstellung Roms gegenüber dem Orient ausgesagt. Westen und Osten stehen unter der Autorität des Papstes, das Kirchenoberhaupt sitzt sicher auf dem erhobenen Thron, den Gott selbst erleuchtet. Leer ist der Thron, weil das Kunstwerk keinen bestimmten Papst meint, sondern die überzeitliche, von Gott verliehene absolute Autorität aller Päpste, wie die Gegenreformation sie sah und in Stein meißelte.
Ein Zweites bleibt Betrachtenden verborgen: Die Kathedra Petri im Petersdom ist, technisch gesprochen, ein Reliquienschrein. Berninis Bronze-Stuhl umschließt einen zweiten, viel älteren Stuhl. Generationen frommer Leute hielten ihn für den Sitz des Apostels Petrus, bis Untersuchungen ergaben: Der Thron im Thron kommt aus Franken, wo er im 9. Jahrhundert aus Holz und Elfenbeinplättchen gefertigt wurde. Wohl Karl der Kahle brachte das gute Stück, zerlegt in Einzelteile, nach Rom und schenkte es dem Papst zum Dank dafür, dass dieser ihn 875 zum Kaiser krönte. Im alten Petersdom überdauerte das Sitzmöbel Päpste, Kriege, Krisen und Umbauten. Da Zweifel nicht verstummen wollten, ob auf diesem Elfenbeinstuhl wirklich der Fischer aus Galiläa gesessen hatte, hielten Bernini und sein päpstlicher Auftraggeber es für geraten, das Objekt prüfenden Blicken zu entziehen, indem sie es in Bronze gefasst entschweben ließen.
Die Kathedra, "Symbol der Macht und der Verantwortung des Bischofs": Papst Benedikt XVI. hat mehrfach über die Verbindung zwischen Papstamt und Autorität reflektiert, namentlich bei seiner Inbesitznahme des Bistums Rom und auch einige Male zum Fest Kathedra Petri. Nur im Blick auf Christus, so sagte der deutsche Pontifex am 7. Mai 2005, ließe sich überhaupt verstehen, worin die Macht des Papstes liege: im Dienst. Jeder Träger des Petrusamtes müsse klar sehen, "dass er ein zerbrechlicher und schwacher Mensch ist, der ständiger Läuterung und Umkehr bedarf". Ebenso dürfe jeder Papst sich gewiss sein, "dass er vom Herrn die Kraft erhält, seine Brüder im Glauben zu stärken". Schon bei Benedikt zeigte sich, wie vielschichtig päpstliche Autorität im 21. Jahrhundert geworden ist und wie wenig triumphal sie daherkommt, auf geläuterte Weise selbstbewusst. Da hat jemand mit filigranen Worten Berninis wuchtig-abgehobene Kathedra auf den Boden eines zeitgenössischen Amtsverständnisses zurückgeholt. Und der Nachfolger Franziskus, der das Fest Petri Stuhlfeier in seinen Homilien bestenfalls streift, setzt gern noch eins drauf. Wie letztens, als er in seinem Schreiben "Querida Amazonia" auf das Ausüben päpstlicher Autorität gelassen verzichtete. Was ein Papst der Gegenreformation davon gehalten hätte, darf man sich in barocken Farben ausmalen.