Standpunkt

Wir brauchen mehr wortstarke Obermessdiener

Veröffentlicht am 24.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nach dem Terroranschlag von Hanau ist die ganze Gesellschaft gefordert, kommentiert Claudia Nothelle. Niemand dürfe sich wegducken, wenn es darum gehe, Solidarität zu zeigen und Missstände deutlich zu benennen.

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Samstagabend – Vorabendmesse. Irgendwo in Deutschland. Der Priester spricht von den schrecklichen Ereignissen der vergangenen Tage. Da habe in Hanau jemand seine Mutter getötet. Und dann kommt er irgendwie zum Kyrie. Kein Wort von den anderen neun Opfern, kein Wort von Terror, von Rassismus. Nach der Messe darauf angesprochen, ist er sichtlich überrascht. Der Mord an der Mutter sei ja nun besonders schlimm gewesen, den habe er hervorheben wollen ... Aus dem rechtsextremen Attentäter wird ein Muttermörder.

Nein, ich möchte nicht darüber sprechen müssen, ob ein Mord schlimmer ist als der andere, kein Leid, keinen Schrecken gegeneinander aufwiegen. Ich kämpfe viel mehr dagegen an, die Geschehnisse nicht beim Namen zu nennen. Zu beschönigen, zu verniedlichen oder einfach wegzulassen. Gerade in den Tagen nach Hanau ist das eine entscheidende Aufgabe. Kann man es tatsächlich Fremdenfeindlichkeit nennen, wenn türkische Menschen erschossen werden, die in Hanau zuhause sind? Wer ist da wem fremd? Und Feind? Es geht um Terror, es geht um Hass, es geht um Rechtsextremismus vermischt mit kruden Verschwörungstheorien. Um Menschenfeindlichkeit.

Das, was passiert, nicht klar zu benennen, ist nicht besser als die Augen zu verschließen und feige wegzuschauen. Damit ist niemandem geholfen, am wenigsten den Betroffenen selbst. Das gilt im Einzelfall, das gilt aber noch viel mehr für eine ganze Gesellschaft. Sie kann nur so gut, so offen, so solidarisch sein, wie jede und jeder einzelne dazu beiträgt, sich nicht wegduckt und Missstände klar als Missstände bezeichnet.

Ein Obermessdiener hat am Freitag in der Mainzer Fastnacht dem  Publikum die Leviten gelesen, besonders denjenigen, die die AfD verharmlosen und rechte Auswüchse großzügig übersehen: "Es war millionenfacher Völkermord, ihr braunen Wichte, und kein Vogelschiss der deutschen Geschichte. Die Morde von Hanau, die Schüsse auf die Synagoge in Halle – ob Juden, Christen, Muslime, das war ein Angriff auf alle." Ich wünsche mir mehr solche wortstarke Obermessdiener, nicht nur im Karneval.

Von Claudia Nothelle

Die Autorin

Claudia Nothelle lehrt Fernsehjournalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ist Aufsichtsratsvorsitzende der katholischen Journalistenschule ifp und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.