Münchner Dogmatiker Bertram Stubenrauch antwortet auf Thomas Rusters Vorschlag

Dreiteilung des Priesteramts? – Es käme zu abstrusen Revierkämpfen

Veröffentlicht am 27.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

München ‐ Thomas Ruster hat auf katholisch.de eine Dreiteilung des Priesteramts vorgeschlagen. Der Münchner Dogmatiker Bertram Stubenrauch antwortet ihm nun in einem Gastbeitrag und betont: Die Kirche brauche aufgrund ihres Selbstverständnisses ein Amt, das treuhänderisch im Rekurs auf Christus agiert.

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Die Amtsfrage sei "sperrig", schreibt Thomas Ruster zu Recht. An ihr drohe "die Reform der Kirche zu scheitern". Praktizierende Gläubige haben Amtsträger unmittelbar vor Augen, zudem bieten die Medien für alle zugängliche Informationen und Mutmaßungen über sie. Es hängt also viel an der Amtsfrage, das wissen die sogenannten Konservativen in der Kirche genauso gut wie Gläubige, die auf Zeitgemäßheit setzen und gerne das Reform-Etikett für sich reklamieren. Aber sind Reformen ihrem Wortlaut nach nicht primär retrospektiv angelegt? Ein Jetzt-Stand soll ja in einen früheren, heilenden Zustand überführt werden – so jedenfalls sieht es das Zweite Vatikanische Konzil, auf das sich Ruster ausdrücklich beruft.

Es ist gewiss begrüßenswert, wenn konziliare Anstöße eine Fortschreibung erfahren. Doch mir drängt sich der Eindruck auf, dass der Kollege über das Ziel hinausschießt. Es wird kräftig aufgetragen, unbefangen kreativ. Doch wie legitimiert sich diese Souveränität, diese Leichtigkeit im Behaupten? Durch das Konzil?

Zunächst zur Grundthese Rusters: "Das Konzil hat den Klerikalismus schon überwunden"; es habe "die Unterscheidung zwischen dem geistlichen Stand und den Laien aufgehoben". Vorsicht: Die Unterscheidung von Berufungen und Diensten in der Kirche führt nicht schon an sich zum Klerikalismus. Klerikalismus heißt, dass ein geistlicher Auftrag zur persönlichen Verherrlichung umgelenkt wird. So gesehen sind alle Konzilstexte anti-klerikalistisch. Es gibt kein Überchristentum aufgrund von gewährter Ordination und kein zweitrangiges Christentum aufgrund von fehlender Ordination. Aber die kirchliche Gemeinschaft kennt die besondere Indienstnahme einzelner, wie sie sich in den prophetischen Zeichenhandlungen des historischen Jesus angebahnt hat. Der Bibeltheologe Gerhard Lohfink schreibt dazu: "Es gibt keinen Text [im Neuen Testament, B.S.], in dem Jesus ganz Israel zur Jüngerschaft beziehungsweise zur Nachfolge auffordern würde" (Jesus von Nazaret, 2011, 130 f).

Der katholische Dogmatiker Bertram Stubenrauch gestikuliert mit seinen Händen.
Bild: ©katholisch.de

Der Münchner Dogmatikprofessor Bertram Stubenrauch.

Wenn Jesu Vorbild in der Kirche weiter Bedeutung haben soll, wird sich dieser Sachverhalt auch im heutigen Gemeindeleben spiegeln. Das Konzil formuliert deutlich: "Die Bischöfe haben [...] das Dienstamt in der Gemeinschaft zusammen mit ihren Helfern, den Priestern und den Diakonen, übernommen. An Gottes Stelle stehen sie der Herde vor, deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung" (LG 20). Mit diesen Worten wird eine womöglich unliebsam gewordene Metaphorik transportiert (Hirt-Herde), aber es sind nun einmal Konzilsworte und sie sind nah an der Bibel. Werden neue Ansätze im Geist der Schrift und des Konzils vorgestellt, ist Integration unerlässlich. Diesen Schritt vermisse ich.

Entgegen der konziliaren Weisung – und damit anders als die römisch-katholische, aber auch orthodoxe Tradition – setzt Ruster hinsichtlich des kirchlichen Gottesvolkes auf ministerielle Eindimensionalität: Es gibt nur die Vollmacht der Getauften, die aufgrund von Charismen, das heißt für ihn aufgrund von "Begabungen und Neigungen" prinzipiell das Gleiche tun können und lediglich der öffentlichen Ordnung halber durch Ordination in besondere Ämter eintreten. Die Meinung, Amt und Ordination wären allein durch – freilich pneumatisch motivierte – Verwaltungsakte bestimmt, ist bezogen auf das konziliare Gedankengut eine Neuerfindung, keine Reform.

Amt repräsentiert soteriologisch bedingtes Gegenüber Christi zum Gottesvolk

Wer das christliche Gemeindeleben ministeriell eindimensional versteht, verabschiedet sich vom Kern dessen, was bischöflich-priesterliches Amt bedeuten will: Es repräsentiert das soteriologisch bedingte Gegenüber Jesu Christi zum Gottesvolk. Von daher dürfen die verschiedenen Berufungsmuster nicht ineinander verkleben. Niemals kann sich die Kirche in dem, was sie zum Sakrament der Erlösung macht, selbst versorgen. Weil deutlich bleiben muss, dass sie soteriologisch von ihrem Herrn abhängt, ist ein Amt notwendig, das nicht im Namen der kirchlichen Communio, sondern treuhänderisch im Rekurs auf den Erhöhten agiert. Bei der Adaption und Umsetzung des Durchgereichten ist amtliche Repräsentation hingegen unnötig, ja widersinnig. Die Liebe zum Beispiel kann nicht repräsentiert, nur gelebt werden. Sie zu üben ist kirchlicher Auftrag gemäß "Begabungen und Neigungen".

Das Konzil unterscheidet den personbezogenen Auftrag für die Lehre, den Kult und die Leitung von der prophetischen, priesterlichen und königlichen Würde der Kirche als ganzer. Es betont das besondere Priestertum, weil das gemeinsame Priestertum in Geltung gesetzt sein soll. Das gemeinsame Priestertum bringt zum Ausdruck, was als Frucht der Erlösung sozusagen zur zweiten, zur innersten, ureigenen Natur des Gottesvolkes geworden ist. Dennoch bleibt die Glaubensgemeinschaft unter anderem durch das besondere Priestertum heteronom bestimmt: Erlösung wirkt immer von außen her auf sie ein. Wird diese Differenz in der Kirche eingeebnet, kommt es unweigerlich zu einem eigentümlichen Ekklesizismus: Wir tun, was wir wollen, kraft dessen, was wir selbst sind. Wir brauchen den Erlöser nicht mehr. Sein Werk ist kirchlich absorbiert.

Einblick in die Kuppel der Metropolitankirche Agias Trias mit einer Christus-Ikone
Bild: ©katholisch.de

"Niemals kann sich die Kirche in dem, was sie zum Sakrament der Erlösung macht, selbst versorgen. Weil deutlich bleiben muss, dass sie soteriologisch von ihrem Herrn abhängt, ist ein Amt notwendig, das nicht im Namen der kirchlichen Communio, sondern treuhänderisch im Rekurs auf den Erhöhten agiert", betont Bertram Stubenrauch.

Damit komme ich zur praktischen Seite des Ruster-Vorschlags ("So könnte es konkret gehen"). Konsequent, was die von ihm postulierten Voraussetzungen betrifft und dafür bezeichnend, schreibt er: "Die Gemeinschaft der Berufenen spricht Berufungen aus". Was Bibel und Tradition vom historischen Jesus beziehungsweise vom erhöhten Christus sagen, ist zum Wesensmerkmal des Gottesvolkes erklärt: Nicht der Herr beruft, sondern die Geschwister tun es. Kirche sorgt für sich selbst. Amt ist Kirchenamt, nichts sonst. Amt ist Gabe von Gleichen unter Gleichen für die Gleichen. Aber warum dann die künstliche Auffächerung in feierliche Titulaturen? Und wozu die Ordination? Genügt nicht die Absprache vor Ort im Fluidum allgemeiner Geistbegabung, durch Gremien koordiniert?

Im pastoralen Alltag und zuerst in der Liturgie käme es schnell zu abstrusen Revierkämpfen. Unterschiedliche Gewänder? Unterschiedliche Abzeichen? Unterschiedliche Auftritte? Die einen begrüßen und sehen nach dem Rechten ("Einbindung des Gottesdienstes in das Leben der Gemeinde"), die anderen verlesen die Schrift und predigen, wieder andere nehmen sich der eucharistischen Gestalten an, alles schön der Reihe nach in ein- und derselben Feier – Unterscheidung pur.

Und da ist immer noch der Bischof, der die drei Ordinationsklassen je gesondert weitergibt, obwohl er sie selbst allesamt besitzt. Wie denn? Mit welchem Recht hat und tut er, was andere nicht haben und nicht tun dürfen? Weil er (Kirchen-)Beamter ist? Weil es ein Statut gibt – Kirchenrecht pur? Die Ämter, sagt Ruster, werden auf Zeit gegeben. Sie fluktuieren. Auch diese Vorstellung ist ekklesizistisch. Sie entkoppelt Amt und persönlichen Anspruch von Seiten des Kirchensouveräns. Ich kann nur warnen davor. Doch mir gefällt, dass Ruster an die evangelische Verantwortung aller Getauften erinnert und damit Einwände am Althergekommenen spruchreif macht: Selbstherrlichkeit, Erwählungsstolz, Kastendenken, fehlende Kommunikation, Abwehr wirklicher Kontrolle. Ja, Reform!

Von Bertram Stubenrauch

Der Autor

Bertram Stubenrauch (58) ist Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.