Können wir heute überhaupt noch Trost finden?
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Das schon beinahe etwas altertümlich klingende Wort "Trost" erfährt seit neuestem eine Art wundersame Wiederbelebung. Moderne Bestattungshäuser in Hamburg bieten ihre Dienste unter dem Namen "Trostwerk" an. Das klingt erst einmal besser als Beerdigungsinstitut, aber kann es so etwas wie Trost überhaupt geben für jemanden, der einen geliebten Menschen verloren hat? Für eine Mutter, die ihr Kind beerdigen muss? Wer in der unerhörten Verantwortung steht, einer solche Frau zur Seite stehen zu müssen, wird wissen, dass es für sie keinen Trost gibt. Allenfalls Beileid oder Anteilnahme.
Trost kleidet sich in Worte, in Aussagen mit Sinngehalt, die vielleicht helfen, Leid zu ertragen, den Verlust zu verschmerzen, im wahrsten Wortsinn. Zu trösten ist schwer, weil es eine metaphysische Aufgabe ist, aus Trauma und Schmerz einen Sinn für die Leidenden zu ziehen, schreibt der Autor Michael Ignatieff, der gerade an einem Buch über "Trost" arbeitet.
Die Abschaffung des Todes
Therapeuten, Ärzte und Heiler haben die Orte, in denen Geistliche einst Trost spendeten, in die Bedeutungslosigkeit verbannt: Kirchen und Klöster. Die Priester und Ordensleute hatten altehrwürdige Gebete und Rituale, die helfen sollten, das Unerträgliche annehmen zu können. Die traditionellen Sprachen des Trostes, die auf die Psalmen und das Buch Hiob zurückgehen, setzen allerdings ein Denken voraus, das der heutigen, Psychologie- und Medizin-fixierten Gesellschaft vollkommen fremd ist. Während die Medizin für sich in Anspruch nehmen kann, schon viel Leid aus der Welt geschafft zu haben, indem sie zum Beispiel den Wochenbett- und Kindstod in die Geschichtsbücher verbannte und weiterhin Krankheit und Leid aus dem Leben zu entfernen sucht, während sie also letztlich den Tod abschaffen will, erkennen die uralten biblischen Texte an, dass Schmerz, Qual und Vergänglichkeit zum Leben gehören, dass es Verluste gibt, die den Menschen zerschmettern können. Die Herausforderung besteht darin, einen Sinn für das alles zu finden, es als Teil der menschlichen Existenz zu akzeptieren.
Michael Ignatieff schreibt: Der Triumph des Therapeutischen ist sowohl eine Revolte gegen die passive Hinnahme von Leid als auch ein Aufstand gegen die Tugenden, die der religiöse Trost predigt: Ergebenheit, Unterwerfung und Versöhnung. Und dennoch: Der Verlust des Glaubens hat vielen Menschen nicht die Fähigkeit genommen, Trost in religiösen Traditionen zu finden. So ist im Christentum das Buch Hiob eine einzige, strenge Anklage gegen Gottes Ungerechtigkeit, und die Psalmen sind voll vom Wehklagen der Menschen, denen nur der Hilferuf zu Gott bleibt. Auch Christus am Kreuz rief am Karfreitag aus: "Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?"
Heute, in einer Welt, in der das Leid als unerwünschte Nebenwirkung geächtet ist, hat das Wort Trost beinahe etwas Anrüchiges. Weswegen es gern durch andere Begriffe wie Beistand ersetzt wird. Keine Frage, auch Therapeuten, Freunde und das Internet können Trost spenden, an guten Ratschlägen mangelt es nicht. Ganz hoch im Kurs steht die Ermunterung an Trostspendende: "Es ist in Ordnung, nichts tun zu können." Und das ist es auch: Wer gerade nichts Sinnhaftes aus dem Ärmel schütteln kann, um Trost auszusprechen, kann sich besser im Schweigen, im bloßen Dasein üben, als dem Leidenden beschwichtigende Plattitüden zu servieren.
Einem anderen Menschen dabei zu helfen, einen Seelenschmerz, der auch den Körper befallen kann, zu erdulden, ihn zu überstehen, ist eine der größten Herausforderungen des Erdenlebens.
Die Autorin
Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.