Keine öffentlichen Gottesdienste mehr – ein Zeichen des Unglaubens?
Das Coronavirus hat schnell auch die katholische Kirche erreicht – und zu zahlreichen Diskussionen geführt. Insbesondere die Absage öffentlicher Gottesdienste erregt die Gemüter. Bereits am vergangenen Wochenende hatten einzelne Bistümer ihre Gottesdienste abgesagt; nun gilt diese Regelung deutschlandweit. Diese Einschränkung hat auch rechtliche Bedeutung. "Es ist eine Einschränkung von Grundrechten. Die Versammlungsfreiheit und die Religionsfreiheit werden eingeschränkt. Das kann nur auf Zeit sein", sagt etwa der Münchner Kirchenrechtler Stephan Haering. Durch den Schutz der Bevölkerung vor dem Virus und seiner mitunter tödlichen Folgen ist das allerdings gerechtfertigt.
Dabei gibt es auch Stimmen innerhalb der katholischen Kirchen, die bezweifeln, man könne sich durch die Feier von Sakramenten und Sakramentalien überhaupt anstecken. Dementsprechend äußerte sich etwa der Schweizer Weihbischof Marian Eleganti in einem Video. Weihwasser etwa würde gesegnet, um Heil zu bringen, nicht Unheil. "Wie können wir dann kapitulieren vor dieser übernatürlichen Wirklichkeit?", fragt Eleganti. Und weiter: "Wie kann ich mir vom Kommunionempfang Unheil, Kontamination und Ansteckung erwarten?" Eleganti darf sich nach diesen Worten mittlerweile nur noch in Rücksprache mit seiner Bistumsleitung öffentlich äußern. Ähnliche Worte liest man aber auch in sozialen Medien immer wieder. Der Vorwurf: Bischöfe und Priester, die die Heilige Messe nun nicht mehr öffentlich feiern, offenbaren damit Kleingläubigkeit und mangelndes Vertrauen in die Gegenwart Gottes im Sakrament.
Vergleich mit der Pest
Dabei finden sich immer wieder auch Hinweise darauf, die Kirche habe noch nie aufgehört, Messe zu feiern. In verschiedenen Bedrängnissen – etwa auch während der mittelalterlichen Pestepidemie – habe die Kirche im Gegenteil sogar mehr Messe gefeiert. Dabei muss man allerdings auch die fortschreitenden wissenschaftlichen Kenntnisse in Rechnung stellen: Im 21. Jahrhundert wissen Mediziner und Epidemiologen um die Verbreitung von Viren – und können Tipps geben, um die Ansteckungsrate wenigstens zu verlangsamen. Hilfreich ist, auf Distanz zu gehen und größere Menschenmengen zu meiden.
"Heute sind wir wesentlich besser in der Lage, uns über unseren Schutz zu informieren, als während der Pest", sagt auch der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Zwar treffe der Verzicht auf die Feier der Eucharistie die Kirche sehr schwer. "Wenn wir nicht mehr Eucharistie feiern, hört die Kirche auf zu existieren", bilanziert Schüller. Die Eucharistie ist "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens", wie die Konzilsväter auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil formulierten (Lumen gentium 11). Gleichzeitig aber hat die Kirche laut Schüller auch eine besondere Verantwortung: "Das höchste Gut ist das menschliche Leben. Als Christinnen und Christen haben wir eine Verantwortung für das Leben. Vielleicht sind wir sogar die letzten, die das Leben am Anfang und am Ende schützen wollen."
Katholiken dürften deshalb auf ihren Verstand nicht verzichten – und müssten dabei die kirchliche Lehre über die Sakramente ernst nehmen, so der Kirchenrechtler. "Wir feiern die Sakramente mit Gegenständen aus der Wirklichkeit, die verwandelt werden. Die Feier der Sakramente hebt nicht die Wirklichkeit dieser Gegenstände auf. Sakramente sind keine Zaubermaterialien, die uns gegen die Wirklichkeit immunisieren, aus denen sie besteht." Das bringt auch die sogenannte Transsubstantiationslehre der Kirche zum Ausdruck. Im Anschluss an Denkmodelle des antiken Philosophen Aristoteles formulierte etwa Thomas von Aquin, bei der Wandlung verändere sich die Substanz der eucharistischen Gaben. Aus Brot und Wein wird Leib und Blut Christi. Die "Akzidentien" von Brot und Wein aber bleiben gleich; damit sind zufällige, äußerliche Erscheinungsformen wie Geschmack, Aussehen, Farbe und Konsistenz gemeint. Nach außen hin bleiben Brot und Wein eben dies – auch wenn sie dem Wesen nach Leib und Blut Christi geworden sind. Damit aber bleiben diese Materialien den Naturgesetzen unterworfen. Der Augsburger Pastoraltheologe August Laumer resümiert daher, dass die eucharistischen Gaben verderben, verbrennen, verschimmeln könnten – und eben auch Krankheiten wie das Corona-Virus übertragen.
Bischof Kohlgraf: Versucher hat fromme Argumente
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf griff in einem Beitrag auf Facebook den Vorwurf des Kleinglaubens ebenfalls auf. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren, komme einer Versuchung Gottes gleich. "Der Versucher hat erstaunlich fromme Argumente", schreibt Bischof Kohlgraf. Dass die Kirche eine Verantwortung für den Schutz der Menschen hat, meint auch der Pastoraltheologe Laumer: "Es wäre eine schlimme Vorstellung, wenn gerade kirchliches Handeln zu einer Ausbreitung der Epidemie führen würde." Christen sollten gerade jetzt die aktuelle Situation mit in das Gebet nehmen. "Hier können wir Trost, Stärkung, Ermutigung finden."
Gleichwohl wird die Zukunft zu einer Herausforderung werden: Wie kann der Glaube weiter gefeiert werden? Ist es eine sinnvolle Lösung, wenn Priester ohne die Beteiligung der Gemeinde alleine die Messe feiern? Der Würzburger Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser hofft auf kreative Lösungen – etwa, dass Priester mit sehr wenigen Gläubigen stellvertretend für die ganze Gemeinde Messe feiern. "Wir müssen Formen finden, bei denen sich die Menschen nicht anstecken", sagt er. Mehr Fantasie bei der Gestaltung der Gottesdienste würde sich auch der Regensburger Theologieprofessor Thomas Schärtl wünschen – etwa durch mehr Messfeiern und genügend Abstand zwischen den Gläubigen. Dann hätten möglicherweise weiter Gottesdienste stattfinden können. Aber auch Schärtl betont: "Natürlich kann Virologie nicht durch Transsubstantiationslehre ersetzt werden".
Ein Teil der Lösung für die kommenden Wochen könnte es nun sein, auf das Lesen der Heiligen Schrift zu setzen. "Wir müssen die Leute ermächtigen, in ihren Familien die Heilige Schrift zu teilen und zu beten", betont Kirchenrechtler Schüller. Das entspreche auch der Lehre des Konzils vom "Tisch des Wortes", wie es in Artikel 7 der Liturgiekonstitution "Sacrosanctum concilium" heißt. Die Zeit verlange zudem nach vernünftigen Argumentationen – aber auch nach Gottvertrauen: "Gottes Gnade ist größer als unsere Angst", sagt Schüller.