Nähe, aber mit Abstand: Trauer und das Coronavirus
Normalerweise besteht eine Beerdigung in ihrer Vollform aus drei Teilen: Der Eucharistiefeier in der Kirche, dann einer kleinen Feier in der Trauerhalle und abschließend den Riten am Grab. Doch in Zeiten von Corona fällt vieles davon aus: Öffentliche Gottesdienste sind verboten, größere Ansammlungen von Menschen auch. Beispielsweise im Bistum Aachen dürfen bei Beerdigungen nur noch maximal 20 Menschen teilnehmen, die jeweils eineinhalb Meter Abstand voneinander halten müssen. Aus der dreiteiligen Feier wird so manchmal nur ein kleines Gebet am Grab, nach dem sich die Angehörigen weder die Hand geben noch umarmen sollen und alle ohne Beerdigungskaffee wieder nach Hause gehen. Zudem darf mancherorts nur noch die Kernfamilie an einer Beisetzung teilnehmen: Schwiegerkinder, Enkel oder Geschwister müssen zu Hause bleiben.
Für die Angehörigen bedeutet das oft eine große Herausforderung. Denn in einer Gesellschaft, in der der Tod noch nicht in der Mitte der Aufmerksamkeit angenommen ist, sind Trauernde wie deren Umgebung schon unter normalen Umständen unsicher, wie sie sich verhalten sollen – unter den Sonderregelungen wird es noch schwieriger.
Da sind zum einen die Gesten direkt am Grab. Händedruck und Umarmung fallen weg, also braucht es andere Wege. "Wichtig ist es, dem jeweils anderen tief in die Augen zu sehen und auszudrücken, dass es eine besondere Situation ist", sagt Diakon Stephan Klinkhamels, der im Erzbistum Hamburg das Trauerzentrum St. Thomas Morus leitet. Zudem sollte auch die Körpersprache so weit wie möglich den Wunsch nach Nähe ausdrücken. Das könne auch in Form von Worten geschehen, müsse aber nicht. Da die Feiern unter freiem Himmel zudem vor allem bei schlechtem Wetter oft sehr kurz ausfallen, hat Klinkhamels einer Trauergemeinde seine eigentlich vorbereitete Ansprache auch schon einmal per E-Mail geschickt, damit die Auseinandersetzung damit dann zu Hause stattfinden kann.
Ein Brief zum Abschied
Auch für diejenigen, die nicht kommen dürfen, gibt es Möglichkeiten, ihre Trauer auszudrücken. "Man kann zum Beispiel einen Abschiedsbrief an den Verstorbenen schreiben ", empfiehlt Eva-Maria Will, die für die Trauerpastoral im Erzbistum Köln zuständig ist. Kinder könnten ein Bild malen. Wenn möglich, könnten Bilder und Briefe vor der Beisetzung in das schon ausgehobene Grab geworfen werden. Nach der Beerdigung könnten Angehörige dort ein Grablicht entzünden.
Auch der Kontakt zum Trauerhaus ist wichtig. Anstatt den Trauernden anzubieten: "Ruf mich an, wenn du was brauchst", empfiehlt Klinkhamels den umgekehrten Weg: "Man soll selbst anrufen, denn für die Trauernden bedeutet das viel Überwindung, weil sie niemandem mit ihrer Trauer zur Last fallen wollen." Doch gerade in dieser Situation sei Beistand wichtig, auch per Telefon oder Skype.
Wer nicht anrufen möchte, kann auch in anderer Form seine Anteilnahme zeigen. Während der Trauerfeier können die Daheimgebliebenen Kerzen anzünden und so innerlich dabei sein. Zudem können sie in die Trauerfamilie Blumen schicken – oder auch einfach nur eine heiße Suppe vor die Tür stellen. Es sind die kleinen Gesten, die zählen.
Zeitversetztes Gedenken
Nicht selten gibt es bei der Familie aber den Wunsch, doch noch eine größere Gedenkfeier zu veranstalten – besonders, wenn sich Verstorbene etwa mit großem Bekanntenkreis das gewünscht haben. Bei einer Urnenbestattung kann die Beerdigung verschoben werden, Voraussetzung dafür sind aber entsprechende Lagerkapazitäten der Bestatter. Bei Erdbestattungen ist das deutlich schwerer umsetzbar, denn der Leichnam verwest. Ein Weg sind in diesem Falle Gedenkgottesdienste nach der Corona-Krise, wenn größere Versammlungen wieder erlaubt sind. Sowohl individuelle Feiern wie auch ein gemeinsames Gedenken an mehrere Verstorbene ist möglich. In ihrer Form können diese Feiern vielfältig sein: Von einer Andacht über eine Wort-Gottes-Feier bis zu einer Messe. Wichtig ist das gemeinschaftliche Erinnern: "Um jemandem zu gedenken, braucht man weder einen Sarg noch eine Urne", fasst es Klinkhamels zusammen.
Doch auch andere Formen der Feier im Nachhinein sind vorstellbar. Dazu gehört, die traditionellen Totengedenktage im November zu nutzen, um an Allerheiligen, Allerseelen oder dem Ewigkeitssonntag eine Feier für die Verstorbenen auszurichten, in der jeweils die Namen verlesen und für jeden Verstorbenen eine Kerze angezündet wird. Doch auch ganz persönliche Formate sind denkbar: Etwa, wenn nach einer Familienfeier im Sommer die versammelte Verwandtschaft nach Kaffee und Kuchen auf den Friedhof fährt. "Dort könnte am Grab gemeinsam ein Vaterunser gesprochen oder sogar eine kleine Gedenkfeier abgehalten werden", schlägt Will vor.
Digitale Trauer
Daneben gibt es auch digitale Möglichkeiten, einen Raum der Trauer für alle zu schaffen: Eine Beerdigung mitfilmen und aufzeichnen oder gleich live übertragen zum Beispiel. Das ist sicher nicht für jeden etwas, doch besonders die Online-Affinen könnten das als Möglichkeit in Betracht ziehen. Will warnt aber: "Das müssen die Angehörigen vorher gut absprechen. In diesem sehr sensiblen Moment möchte nicht jeder gefilmt werden." Auch Friedhofsmitarbeiter könnten dagegen Einwände haben.
Wesentlich unproblematischer ist ein digitales Kondolenzbuch, wie es sie auf zahlreichen Plattformen gibt. Hier können Fotos und Texte über Verstorbene hochgeladen werden und Trauernde können ihre Gedanken an die Familie schreiben oder zum Teil auch virtuell eine Kerze anzünden. Damit kann ein geschützter Trauerbereich in die digitale Welt verlagert werden – für jene, die sich damit identifizieren können. Nicht zuletzt viele Ältere gehören aber oft nicht dazu.
Im Moment der Trauer ist Gemeinschaft für viele Menschen das wichtigste. In einer Zeit, die fast jede Art von physischer Nähe ausschließt, sind neue, kreative Wege der Anteilnahme gefragt. Auch, wenn viele den persönlichen Kontakt nicht ersetzen können, sind sie immerhin Zeichen für liebe Menschen in einer schweren Zeit.