Was die Corona-Krise für die Arbeit in Pflegeeinrichtungen bedeutet
Pflegerinnen und Pfleger rücken neben Personal in den Supermärkten, neben LKW-Fahrern, Ärzten und anderen systemrelevanten Berufen durch die Corona-Krise besonders in den Vordergrund. Tagtäglich arbeiten sie mit Risikogruppen zusammen, regeln den Arbeitsalltag zwischen Besuchsverbot und dem Versuch von Normalität. "Wir sind in einer schwierigen Situation, die uns alle belastet", sagt Frank Leßenich, Geschäftsführer des Altenheims Haus St. Anna in Düren. 95 Bewohner betreuen er und sein Team in vier Wohnbereichen.
Seit Neuestem arbeiten auch Leßenich, der Pflegedienstleiter und die Verwaltung im Schichtdienst und am Wochenende mit. Am Empfang kümmern sie sich um die Post, Lieferungen der Apotheken und den Kontakt mit Angehörigen. Das habe zwei wichtige Gründe, erklärt der Geschäftsführer: "Zum einen halten wir so die Kontakte in die Wohngruppen und damit auch das Infektionsrisiko so gering wie möglich. Zum anderen entlasten wir so das Pflegepersonal." Gerade jetzt werde deutlich, wie sehr es auf dieses Personal ankommt. Ausfälle gebe es zwar nur wenig, sie kämen aber dennoch vor. "Sobald Mitarbeiter Symptome haben wie Husten, Halsschmerzen, Schnupfen oder Fieber, stellen wir sie sofort frei", sagt Leßenich. War der Test negativ, können sie wieder arbeiten. Erkrankungen an Covid-19 gab es im Haus St. Anna bisher nicht – weder unter den Mitarbeitern noch unter den Bewohnern.
Seit Ausbruch der Corona-Krise und mit Einführung zahlreicher neuen Regelungen haben Pflegekräfte wesentlich mehr zu tun, erklärt Nora Roßner, Referentin im Referat Alter, Pflege und Behinderung beim Deutschen Caritasverband. "Aktuell ist viel zu desinfizieren und zu organisieren. Neue Handlungsanweisungen müssen umgesetzt werden, und und und. Es ist bei knapper Personaldecke noch eine zusätzliche Belastung." So habe etwa das Robert-Koch-Institut die Vorgaben dahingehend erweitert, dass bei der Pflege von vulnerablen, also verletzlichen Personengruppen ein Mundschutz getragen werden sollte. "Und das sind in Pflegeeinrichtungen im Grunde genommen alle, sonst wären sie ja nicht pflegebedürftig", sagt Roßner.
Das Tragen eines Mundschutzes sollte also ein Standard sein – wenn es genug Material geben würde, betont die Referentin. Bundesweit sei die Materialknappheit ein großes Thema, insbesondere der Mund-und-Nasen-Masken. "Hat eine Einrichtung erst kürzlich ihre Lieferung bekommen, stehen die natürlich besser da als eine, die im Januar bestellt, ihre Lieferung aber nicht bekommen hat. Da wird es richtig kritisch."
Vorrat ist da – doch wie lange wird er ausreichen?
Das Haus St. Anna in Düren hatte Glück, denn noch vor der Corona-Krise schaffte es sich einen Notbestand von 10.000 Masken an. Erst kürzlich orderte Leßenich weitere 10.000 Exemplare. Das Beschaffen sei noch nicht das Problem – aber die Kosten. "Da wird momentan auch mit vielen Dingen eine Preistreiberei getrieben – das ist pervers." Preissteigerungen zwischen 30 und 1700 Prozent beobachte der Geschäftsführer etwa bei Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel. Den Vorrat hat das Altenheim vorerst. Doch sollte es akut werden, sei dieser nach spätestens acht Wochen aufgebraucht. "Was dann passiert, kann derzeit niemand seriös beantworten."
Problematisch sei der Mangel auch in der ambulanten Pflege, wie Astrid Ginter, Fachbereichsleiterin der ambulanten Pflege der katholischen Pflegehilfe in Essen, bestätigt. Normalerweise sollte der Mundschutz nach jedem Kundenkontakt gewechselt werden. "Das kann momentan überhaupt nicht eingehalten werden." Die Pflegekräfte greifen bereits auf selbstgenähte kochfeste Mundschutze zurück, die sie den ganzen Tag tragen und anschließend für den nächsten Tag auskochen. Auch laute jetzt die Devise, bei körpernahen Pflegetätigkeiten, etwa bei der Mundreinigung der Patienten, auf Kommunikation zu verzichten – "auch wenn man gewöhnlich die pflegerische Zeit immer für Gespräche mit Kunden nutzt." Diese fallen nun weg. Die Oberflächen müssten die Pflegekräfte in den Wohnungen deutlich häufiger desinfizieren. Das koste zwar mehr Zeit, sei derzeit jedoch unabdingbar zur Sicherheit aller. Kompensiert werde es dadurch, dass etliche Kunden absagen. "Viele haben Berührungsängste. Sie haben Sorge, sich zu infizieren oder andersherum die Pflegekraft zu infizieren", sagt Ginter.
Die Schutzausrüstung fehlt
Bisher hatte auch die katholische Pflegehilfe noch keinen bestätigten Corona-Fall. "Sollte es soweit kommen, muss man alles denken. Sollten weder Angehörige, Freunde oder Nachbarn vorhanden und alle Krankenhausbetten belegt sein, müssen wir vielleicht 'Corona-Touren' machen", sagt die Fachbereichsleiterin. Freiwillige Pflegekräfte, die zu Hause niemanden infizieren können, also alleinstehend sind oder keine Kinder haben, könnten so alle Kunden übernehmen, die infiziert sind und ohne fremde Hilfe nicht zurechtkommen. "So würde man die Betroffenen im worst case trotzdem versorgen können", so Ginter. In dem Fall sei jedoch mehr Schutzkleidung, bestehend aus Kittel, Schutzbrille und Spuckschutz, nötig, um die sich die Pflegedienstleitungen und die Hygienebeauftragte bereits bemühten. Doch der Markt sei "wie leergefegt", beobachte Ginter. Andernfalls müssten die Infizierten in ein Krankenhaus verlegt werden.
Die Kirche während der Corona-Krise
Gottesdienste werden abgesagt, Gotteshäuser geschlossen: Das Coronavirus hat auch die katholische Kirche in Deutschland und Europa erreicht. Wie geht es nun in den Bistümern weiter? Und was können die Gläubigen tun? Alles Wichtige zum Thema erfahren Sie hier.Seit Kurzem sind Besuche in Altenheimen gänzlich untersagt. "Die allermeisten Angehörigen haben dafür absolut Verständnis – so belastend es ist", sagt Leßenich. Ausnahmen gelten nur in Sterbefällen. Der Fall sei kürzlich im Haus St. Anna eingetreten. Auch dabei hatten die Angehörigen Verständnis dafür, dass sie nur in Schutzkleidung hereinkommen durften. Gleiches gelte bei der Sterbebegleitung.
Denjenigen Bewohnern, die geistig fit sind, konnten die Mitarbeiter gut erklären, welche Sicherheitsmaßnahmen nun gelten. "Die meisten sind da durch die Nachrichten sehr gut informiert. Wir informieren auch im Haus selbst." Nur wenige waren zunächst unbelehrbar, trafen sich mit anderen in der Stadt oder spazierten außerhalb des Altenheims. Nach "eindringlichen Gesprächen" hätten jedoch auch sie den Ernst der Lage begriffen, sagt Leßenich. "Wir haben zum Glück einen Innenhof, da gehen sie jetzt spazieren." Anders sei die Lage bei dementen Bewohnern: "Im Demenzbereich können sie das keinem beibringen. Das versteht keiner", sagt Leßenich.
Menschen mit Behinderung ganztags zu Hause
So sei es auch in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, sagt Nora Roßner. "Durch diese Kontakteinschränkungen fällt quasi die gesamte Tagesstruktur weg. Die Bewohner gehen normalerweise morgens in die Werkstatt und nachmittags zum Beispiel einkaufen mit den Betreuern." Das könne man diesen Menschen nicht vermitteln.
Der Caritasverband Freiburg-Stadt ist Träger mehrerer Wohneinrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung. "In den meisten Werkstätten gibt es derzeit allerdings einen Notbetrieb, sodass viele Bewohner ganztags zu Hause sind", sagt Sprecherin Nora Kelm. Dadurch müssten die Pflegekräfte in den Wohneinrichtungen eine neue Tagesstruktur schaffen, damit die Bewohner auch tagsüber beschäftigt sind: Jetzt bestimmten gemeinsames Spielen, Spaziergänge, Bastelangebote oder das Vorlesen den Alltag. Ebenso werde nun darauf geachtet, dass sich alle die Hände desinfizieren, nachdem sie draußen waren.
Hat ein Bewohner Symptome, wird er in seinem Zimmer isoliert, wo die Pflegekräfte nur mit Schutzausrüstung hereinkommen. Das löse ab und an Stress unter Bewohnern und Pflegern aus, denn manche Menschen mit Behinderung könnten das nicht nachvollziehen, so Kelm. Deshalb sei es wichtig, um Verständnis für die diese Maßnahmen zu werben, die die Betreuungskräfte mit Flyern in leichter Sprache und Piktogrammen erläutern. Einen Abstand von anderthalb Metern zueinander einzuhalten, sei in einer Wohneinrichtung besonders schwierig, denn "sie wohnen ja zusammen wie eine Familie", sagt die Sprecherin.
Auch im Altenheim Haus St. Anna spielt Nähe eine große Rolle. Zum einen sei Pflege ohne Körperkontakt ohnehin nicht möglich. Doch auch auf emotionaler Ebene sei es schwierig, diesen zu vermeiden, etwa durch das Halten der Hand. Auf der Demenzstation sei das unmöglich – erst recht in einer Zeit, in der keine Besuche von Angehörigen möglich sind. "Da kann man nicht einfach vorbeigehen, wenn jemand nach der Hand greift", sagt Leßenich. Mit dem Besuchsverbot sei ebenso dramatisch, dass einige demente Bewohner nach dem Ende der Corona-Krise womöglich ihre Angehörigen nicht mehr wiedererkennen. Der regelmäßige Kontakt habe dann möglicherweise zu lange gefehlt. Dennoch: Bisher sei die Stimmung durch das Verständnis von allen Seiten gut. "Wie lange das noch so bleiben wird, steht auf einem anderen Blatt", sagt Leßenich."Die Belastung ist bei allen hoch – Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeitern."
Deshalb würde er sich wünschen, dass mehr Menschen in Leitungspositionen der Einrichtungen ihren Mitarbeitern zur Seite stehen. Dass Pflegekräfte nach einem Ende der Corona-Krise höher wertgeschätzt werden, glaube der Geschäftsführer nicht. "Während die Menschen jetzt auf den Balkonen klatschen, ist meine Befürchtung, dass, wenn die Krise drei Wochen vorbei ist, alles in Vergessenheit gerät."