Ist Papst Franziskus nicht mehr "Stellvertreter Christi"?
Handelt es sich es nur um eine andere Typographie oder um eine Selbstentmachtung? Anders als in früheren Ausgaben des Päpstlichen Jahrbuchs sind die verschiedenen Titel des Papstes in der jetzt veröffentlichten Ausgabe für 2020 nicht mehr über dem Namen des Amtsinhabers, Jorge Mario Bergoglio, aufgeführt. Stattdessen stehen sie auf der entsprechenden Seite unten, mit einem Strich abgegrenzt und kursiv überschrieben: "Titoli storici" - "historische Titel".
Als da sind: "Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des Fürsten der Apostel, Pontifex maximus der universalen Kirche, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der Provinz Rom, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Diener der Diener Gottes". Auf der Seite davor steht: "Franziskus, Bischof von Rom".
Zwar ist das jährlich vom vatikanischen Staatssekretariat herausgegebene "Annuario Pontifico" nur ein Adressverzeichnis; es hat weder rechtlich noch lehramtlich verbindlichen Charakter. Gleichwohl sorgt die Veränderung im Layout - die Titelliste selbst ist unverändert - verbunden mit dem Zusatz "historische Titel" für Diskussionen.
Zwei mögliche Lesarten
"Das irritiert mich schon etwas", gesteht der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf auf Nachfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Seiner Ansicht nach gibt es für diese redaktionelle Veränderung zwei Lesarten: Erstens: Die genannten Titel sind dem Bischof von Rom in der Geschichte zugewachsen, sie gelten weiterhin, werden aber dieses Mal mit dem Vermerk "historisch" unter den biografischen Daten des Amtsinhabers aufgeführt. Damit änderte sich nichts.
Anders bei einer zweiten Lesart: Die folgenden Titel sind historisch im Sinne von vergangen und haben heute keine Bedeutung mehr. Dann wäre "Nachfolger des Apostelfürsten" so etwas wie "Erbtruchsess" oder "Münzmeister" - einst bedeutende, heute verschwundene Ämter. Das aber hätte, so Wolf, gravierende dogmatische und rechtliche Konsequenzen. Das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes etwa wird mit seiner direkten, ununterbrochenen Nachfolge des Apostelfürsten Petrus begründet. So formulierte es das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870).
Aus diesem Grund etwa spricht Kardinal Gerhard Ludwig Müller in der "Tagespost" (Freitag) von einer "theologischen Barbarei". Hier würden Wesensbestimmungen des päpstlichen Primates als bloß "historische Titel" unter die biographischen Daten des aktuellen Amtsinhabers eingeordnet. Zudem würden sie vermischt mit Titeln, die nichts mit dem Primat des Papstes zu tun hätten, wie etwa "Souverän des Vatikanstaates".
"Mit welcher Vollmacht spricht der Papst, wenn die genannten Titel heute irrelevant wären?", fragt Wolf. So seien sie nie allein begründet worden mit dem Amt des Bischofs von Rom. Dies aber ist der einzige Titel, der in der neuen Ausgabe des Jahrbuchs unmittelbar unter dem Namen "Francesco" steht. "Damit würde Franziskus sein Amt in einen Zustand versetzen wie in den ersten drei Jahrhunderten, als der Bischof von Rom unter den anderen Bischofssitzen den 'Vorsitz in der Liebe' hatte, wie Franziskus es am Abend seiner Wahl auf dem Balkon des Petersdomes verkündet hat", so Wolf. Ein Primat der Liebe aber sei "ohne juristische Kompetenz".
Andere Experten messen der neuen Präsentation weniger Bedeutung bei. Das bedeute erst einmal nichts, sagt ein Kirchenrechtler der Kurie. Schließlich sei das Annuario doch kein rechtsverbindlicher Text. Ähnlich gelassen reagiert der italienische Historiker Roberto Regoli von der Päpstlichen Universität Gregoriana: "Was dort gesagt wird, ist letztlich trivial. Welcher Titel ist nicht historisch?" Andererseits will Regoli ausschließen, dass dies allein aus "Unwissenheit und Oberflächlichkeit" geschah.
Diskussion erinnert an Benedikt XVI.
Das aber würde bedeuten: Wer immer die redaktionell-satztechnische Änderung durchführte, wollte "offensichtlich eine Botschaft aussenden, die mit theologischen und politischen Visionen verbunden ist". Das wird teils auch so wahrgenommen. Wolf rechnet damit, dass irgendwann das Staatssekretariat sich meldet und erklärt, "das sei alles nicht so gemeint gewesen", das Amt und die Vollmachten des Papstes blieben unverändert.
Die Diskussion erinnert daran, als Benedikt XVI. den Titel "Patriarch des Abendlandes" ablegte. Damals fehlte dieser Titel im Päpstlichen Jahrbuch 2006. "Der Verzicht auf den Titel ist ein Akt historischen und theologischen Realismus", erklärte damals der Päpstliche Rat für die Einheit der Christen. "Die Aufgabe des Anspruchs auf den Titel könnte den ökumenischen Dialog fördern."
Die Änderung im Jahrbuch 2020 wurden bisher offiziell nicht kommentiert. Ganz unwahrscheinlich ist es nicht, dass Franziskus - oder jemand anders - mit der typographischen Veränderung eine Diskussion anregen wollte, um zu sehen, welche Reaktionen es dazu gibt.