Heiliger Stuhl habe immer Vertrauen in australische Justiz gesetzt

Vatikan begrüßt Freispruch für Kardinal Pell

Veröffentlicht am 07.04.2020 um 13:50 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Nach 400 Tagen Haft ist der frühere Finanzminister des Vatikan frei. Aus formalen Gründen hob Australiens Oberstes Gericht das Gefängnisurteil gegen Kardinal George Pell auf. Der Vatikan begrüßt die Entscheidung. Andere Stimmen fallen kritischer aus.

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Der Vatikan hat den Freispruch für Kardinal George Pell vom Vorwurf sexuellen Missbrauchs begrüßt. Der Heilige Stuhl habe immer Vertrauen in die australische Justiz gesetzt, teilte das vatikanische Presseamt (Dienstag) mit. Pell habe "stets seine Unschuld beteuert und darauf gewartet, dass die Wahrheit festgestellt wird". Zugleich bekräftigte der Vatikan sein Engagement für die Prävention und die Verfolgung jeglichen Missbrauchs von Minderjährigen. Ob eigene kircheninterne Ermittlungen gegen den inzwischen 78-jährigen früheren vatikanischen Finanzchef fortgesetzt oder eingestellt werden, wurde nicht mitgeteilt.

Australiens oberstes Gericht hatte am Vormittag (Ortszeit) in Brisbane Pells sechsjährige Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs aufgehoben. Die Jury hätte auf Grund der Beweislage Zweifel an der Schuld des Angeklagten haben müssen, hieß es in der via Twitter veröffentlichten einstimmigen Entscheidung der sieben Richter. Der Anfang 2019 zu sechs Jahren Haft verurteilte Pell wurde noch am Dienstag aus seinem Gefängnis in der Nähe von Melbourne entlassen. Pell selbst nahm das Urteil mit großer Erleichterung auf. "Ich habe stets meine Unschuld betont, während ich unter einer schweren Ungerechtigkeit gelitten habe", so der Kardinal in einer Erklärung per E-Mail. Ohne auf Pell ausdrücklich einzugehen, betete Papst Franziskus in seiner Messe am Dienstag für alle, die aus blinder Wut zu unrecht verurteilt würden.

Bischofskonferenz reagiert diplomatisch

Die Reaktion der Australischen Bischofskonferenz fiel diplomatisch aus. "Das heutige Ergebnis wird von vielen begrüßt, insbesondere von jenen, die während des gesamten langwierigen Verfahrens an die Unschuld des Kardinals geglaubt haben", so Erzbischof Mark Coleridge als Vorsitzender in einer Presseerklärung. "Wir wissen aber auch, dass die Entscheidung des High Courts für andere niederschmetternd ist." Anthony Fisher, Nachfolger von Pell als Erzbischof von Sydney und Zögling des Kardinals, ließ sich triumphaler vernehmen. "Das war nicht nur ein Prozess gegen Kardinal Pell, sondern auch gegen unser Rechtssystem und unsere Kultur", erklärte Fisher. Pells Rehabilitierung lade "zu einer breiteren Reflexion unseres Justizsystems, unseres Engagements für die Unschuldsvermutung und unserer Behandlung von hochrangigen Personen ein, denen Verbrechen vorgeworfen werden".

Viele Juristen nahmen die Entscheidung des High Court mit Verwunderung auf. Bislang war es sehr selten der Fall, dass der High Court den Schuldspruch von Geschworenen in Missbrauchsprozessen kassierte. "In dieser Berufung vor dem High Court ging es nicht darum, ob Pell die Straftaten begangen hat. Es ging darum, ob die Mehrheit der (drei) Richter des Berufungsgerichts in Melbourne bei der Zurückweisung von Pells Berufung einen Fehler hinsichtlich der Art der korrekten Rechtsgrundsätze oder ihrer Anwendung gemacht haben", schrieb Ben Mathews, Jura-Professor an der Technischen Universität von Queensland, in einer ersten fachlichen Analyse. Sie erschien nur eine Stunde nach der High-Court-Entscheidung unter dem Titel "Wie Pell heute durch eine juristische Formalität gewonnen hat". "Das Oberste Gericht hat den Behauptungen über eine mangelnde Gelegenheit [zur Tat] einen höheren technischen Rechtsstatus verliehen", schreibt der Kenner des "Falls Pell" für die unabhängige journalistisch-akademische Analyseplattform "The Conversation". Dieser Rechtsstatus habe schwerer gewogen als der Glaube der Jury an die Aussage des Klägers, so Mathews. Pells "behaupteten Mangel an Gelegenheit" habe die Jury offensichtlich gering geschätzt. Der angesehene Jurist Andrew Dyer sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "So überzeugend die Aussage des ehemaligen Chorknaben auch war, sie wurde nach Ansicht des High Court nicht (durch Beweise) gestützt."

Der Vater eines inzwischen verstorbenen angeblichen Opfers sei schockiert und wütend über den Freispruch, schilderte dessen Anwältin Lisa Flynn. "Sein Herz ist gebrochen", sagte Flynn und fügte hinzu: "Wir werden trotz der Entscheidung des Obersten Gerichts weiter eine Zivilklage für unseren Mandanten verfolgen."

Pell war im Dezember 2018 wegen des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs von zwei Chorknaben verurteilt worden. Die Jury fasste den Schuldspruch einzig auf Basis der Aussage eines der mutmaßlichen Opfer. Im Sommer 2019 bestätigte ein Berufungsgericht Pells Verurteilung durch die Mehrheitsentscheidung von zwei der drei Richter. Entlastungszeugen bekundeten Zweifel an den Schilderungen der angeblichen Übergriffe. Nach seiner Haftentlassung drohen Pell nun weitere, zivilrechtliche Klagen wegen Missbrauchs Jugendlicher. Auch sind weitere strafrechtliche Verfahren wegen Meineids und Behinderung der Justiz bei Pells Aussagen vor dem staatlichen Missbrauchsausschuss möglich. Belege für diese Vorwürfe könnten sich in den zwei Bänden des Abschlussberichts der staatlichen Missbrauchskommission finden, die nach dem jetzt abgeschlossenen Verfahren freigegeben werden. (tmg/cph/KNA)

7.4., 15:05 Uhr: Ergänzt um Anwältin.