Was passiert mit der Osterkerze des vergangenen Jahres?
Wer die St.-Anna-Kirche im niedersächsischen Twistringen betritt, kann sie sofort sehen: die Osterkerzen der vergangenen Jahre. Auf einer Empore der neugotischen Kirche im Bistum Osnabrück sind die halb abgebrannten Kerzen aufgestellt. "Wir haben vor einigen Jahren in der Pfarrei damit begonnen, weil wir nicht wollten, dass die gebrauchten Osterkerzen einfach im Schrank verschwinden", sagt Anke Lührsen. Die Vorsitzende des Pfarrgemeinderates der Kirchengemeinde räumt jedoch ein, dass die Idee zu dieser ungewöhnlichen Weiternutzung der Osterkerzen aus einem Kloster stammt.
In der etwa 45 Kilometer von Twistringen entfernten Benediktinerinnen-Abtei St. Scholastika in Dinklage werden bereits seit vielen Jahren die alten Osterkerzen in der Kirche des Klosters aufgestellt. "Dort stehen sie auf den Balken des Gotteshauses, das früher eine Scheune war", weiß Lührsen. In der St.-Anna-Kirche werden einige der fast abgebrannten Osterkerzen auch bei Andachten genutzt, berichtet die Lehrerin: "Wir entzünden sie für unsere Taizé-Gebete und stellen sie mit weiteren Kerzen, Ikonen und Tüchern vor den Altar auf der Empore." Doch nicht alle Pfarreien geben die gleiche Antwort wie die St.-Anna-Gemeinde auf die sich jährlich neu stellende Frage: Was passiert mit der Osterkerze des Vorjahres?
In einigen Kirchengemeinden oder Klöstern ist es Brauch, die alte Osterkerze einer Person oder Familie aus der Pfarrei zu schenken, die vor kurzem einen Todesfall zu beklagen hatte. Denn die in der Osternacht eingesetzte Kerze ist ein Symbol für den auferstandenen Christus und wird bei einem Requiem neben den Sarg eines Verstorbenen aufgestellt. Als Gabe an eine trauernde Familie kann die Osterkerze über die Zeit ihres liturgischen Gebrauchs hinaus ein Symbol der Hoffnung sein, das die Botschaft der Auferstehung angesichts des schmerzlichen Verlusts eines geliebten Menschen verkündet.
Für den Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier, Marius Linnenborn, ist es zudem denkbar, die alte Osterkerze an Gläubige zu verschenken, die sich im vergangenen Jahr verdient gemacht haben. "Aber auch für einen Küster, der aus dem Dienst scheidet, ist sie ein besonderes Geschenk zum Abschied", so Linnenborn. Schließlich habe er während seiner Arbeit oft mit der Osterkerze zu tun gehabt. Als weitere Möglichkeit für eine Weiternutzung schlägt Linnenborn die Übergabe der Kerze an eine Gruppe der Pfarrei vor: "Während eines Kindergottesdienstes oder bei einem Treffen der Seniorengruppe kann die Osterkerze mit ihrem Licht an Ostern erinnern." Oder aber die Kerze könne von den Mitarbeitern der Pfarrei oder Lehrern in den Religionsunterricht mitgenommen werden, um als Einstieg zum Thema Auferstehung zu dienen. Es gebe viele Möglichkeiten, der Osterkerze ein Weiterleben zu ermöglichen.
In der Pfarrei St. Marien im münsterländischen Ahlen ist seit mehreren Jahrzehnten genau geregelt, welches Gemeindemitglied die alte Osterkerze erhält. Jedes Jahr stiftet der Freundeskreis "Kiek es drin von 1904", die nach eigenen Angaben älteste Karnevalsgesellschaft in Ahlen, der Kirche die Osterkerze. Ein Jahr lang wird sie, wie jede Osterkerze, in der Kirche verwendet: Zunächst in der Liturgie der Osternacht; anschließend steht sie während der gesamten Osterzeit mit ihrer Flamme neben dem Ambo, dem Ort der Verkündigung der Osterbotschaft. Nach Pfingsten befindet sie sich bis zum kommenden Osterfest in der Nähe des Taufbeckens, da an ihr die Taufkerzen entzündet werden. Die Abmachung mit der Pfarrei sieht jedoch vor, dass die alte Kerze vor Ostern dem Freundeskreis zurückgegeben wird. Innerhalb des Vereins erhält das älteste Mitglied die Osterkerze als Geschenk. Es kann jedoch auch bestimmt werden, dass eine andere Person die Kerze bekommt.
"Eine Kerze soll brennen und nicht auf dem Müll landen"
In anderen Pfarreien werden hingegen die Zeichen für die fünf Wundmale Christi und die Buchstaben Alpha und Omega, die sich auf einer Osterkerze befinden, abgenommen. Danach wird die alte Osterkerze als einfache Kerze weiterverwendet. Einige Kirchengemeinden geben sie bei Kerzenherstellern für die neue Osterkerze in Zahlung oder lassen sie mit einem neuen Wachsüberzug, Verzierungen und einer Zuspitzung aufrüsten, um sie erneut als Osterkerze zu verwenden. Das funktioniert jedoch nur, wenn sie nur wenig heruntergebrannt ist.
Egal für welche Art der Weiternutzung sich eine Pfarrei entscheidet, wichtig ist für Liturgie-Experte Linnenborn vor allem, dass die alte Osterkerze weiterhin sinnvoll eingesetzt wird: "Eine Kerze soll brennen und nicht auf dem Müll landen oder in einem Schrank der Sakristei vergessen werden", fordert Linnenborn. "Erst recht nicht die Osterkerze."